Armutsbekämpfung ist ein Generationenprojekt. Ein Erfahrungsbericht von Katharina Lange und Dominik Müller.
Von Oktober 08 bis Januar 09 haben wir im Rahmen eines ASA-Stipendiums täglich die Gemeinde La Palmerita besucht. Wir nahmen an psychosozialen Workshops der Frauengruppe Movimiento María Elena Cuadra (MEC) teil und nach anfänglichen Kommunikationsproblemen gaben uns einige Palmeriteños Einblicke in ihr Leben. Vor unserem Aufenthalt waren wir uns sehr unsicher, was uns erwarten würde. Wie kann man Handlungsmuster begreifen, die in einem Kontext völlig anderer Lebensbedingungen entstehen?
Um Erklärungen zu finden, die nicht auf Zuschreibungen und eingeübten Urteilen basieren, führten wir acht Interviews, in denen unsere Gesprächspartner ihre Arbeit, ihre aktuellen Sorgen und ihre Zukunfswünsche mitteilten. Im Anschluss daran gaben wir ihnen Einwegkameras, damit sie Motive und Ereignisse ihres Alltags fotografisch festhalten.
Seit sieben Jahren gibt es La Palmerita, und seit drei Jahren fördert medico dort insbesondere die Arbeit von MEC. Unsere Interviewpartner sind zwar stolze Hausbesitzer, aber noch immer gibt es keine Landtitel. Das verunsichert sie. Als wir die Gespräche führten, hatten die Bauern vier schwierige Anbauzyklen hinter sich und blickten erfolgreich auf eine inzwischen abgeschlossene Alphabetisierungskampagne zurück. Unterschiedlichste interne Konflikte, aber auch gemeinsam erreichte Veränderungen durchlebten sie, und diejenigen, die bleiben wollen, sehen sich vor neuen Aufgaben für ihre Zukunft in La Palmerita.
Diesen Wandel in seinem Leben formulierte Don José Abilio Molina, 56 Jahre alt, so: "Jetzt sind wir die Besitzer und sind nicht mehr vom ‚Patron' abhängig, sondern nur von uns selbst, das ist eine große Sache, die mich mit Freude erfüllt." Er denkt nicht wie andere daran, sein Land nach dem Erhalt des Titels zu verkaufen und plant die Erträge in seinem Garten durch die Bewässerung mit elektrischen Pumpen zu vergrößern, sobald es Strom in La Palmerita geben wird.
Yorleniz López Aguilar ist 17 Jahre alt und das jüngste Mitglied im Gemeinderat. Das Amt hat ihr nicht nur Ehre eingebracht. Ihr wurde an den Kopf geworfen, sie sei doch noch grün hinter den Ohren und könne nicht einmal lesen.
Was sie in diesem Gremium zu suchen habe? Die Missachtung, die in diesen Worten steckte, ärgert Yorleniz, die zudem Lehrerin in der Erwachsenenbildung ist: "Manchmal hören die Erwachsenen nicht zu, sie beachten und achten uns nicht. Die Frau, die mich beschimpfte, akzeptiert doch im Grunde nicht, dass ich zur Schule gehe und sehr viel lerne." Yorleniz möchte trotzdem in Palmerita leben, von dort aus studieren und nicht in der Landwirtschaft arbeiten. Dieser Konflikt zeigt deutlich, dass der Wandel in La Palmerita auch zwischen den Generationen ausgehandelt wird. Für Yorleniz und ihre Altersgenossen ist die Gemeinde inzwischen ganz selbstverständlich zur Heimat geworden. Die Gründergeneration, die sich immer auf das gemeinsame Leid der Anfangsphase bezieht, sieht aber in den Jugendlichen keine legitime Stimme. Obwohl oder gerade weil diese zu vielen neuen Impulsen anregen.
Auch Santiago Hilario Castro Rosario, 18 Jahre alt, gehört zum Gemeinderat. Er sieht seine Zukunft allerdings in der Landwirtschaft, auch wenn er diese Pläne noch mit sehr viel Vorsicht und Unsicherheit vorträgt. Er arbeitete schon als Kind in der Kaffee-Ernte und betrieb nebenbei einen Kräutergarten. Stolz erzählt er von der Petersilie, die er angebaut hat. Auch in Palmerita hat er bereits Gemüse gezogen. Aus Zeitgründen kann er sich jedoch nicht immer um seinen Garten kümmern: Er geht zur Schule und unterrichtet in der Erwachsenenbildung. Seine Eltern unterstützen sein Interesse in die Kooperative einzusteigen und eine Manzana Land zu mieten. "Ja, die Landwirtschaft gefällt mir sehr. Für das kommende Jahr denke ich - mit Gottes Hilfe - Soja und Sesam zu säen, es mal auszuprobieren. Ein kleiner Anfang, um mal zu sehen, was daraus wird." Er möchte Agraringenieur werden, damit könnte er dann seine Eltern und die ganze comunidad in ihrer Entwicklung unterstützen.
Santiago und Yorleniz sind Beispiele dafür, dass der Ausstieg aus dem Teufelskreis der Armut gelingen kann, wenn man in Generationen denkt. Aber ihr Schicksal wirft auch die Frage auf, woher die Anbaufläche für die nächste Generation kommen soll. Denn bei der Landvergabe wurden nur die zu diesem Zeitpunkt Volljährigen erfasst.
Doña Carmenza Sentena, 42 Jahre alt, ist alleinerziehende Mutter, besitzt ein Haus, ist in der Kooperative aktiv und kann mit ihrem Einkommen die Familie ernähren. Ihre Nachbarin ist ebenfalls allein mit ihren kleinen Kindern, weil ihr Ehemann zum Geld verdienen in Costa Rica lebt. Als Zeichen gegenseitiger Solidarität haben sie ihre Grundstücke gemeinsam eingezäunt. Doña Carmenza ist froh um das, was sie erreicht hat: "Ich bin so stolz, ein eigenes Haus zu besitzen, obwohl ich alleinerziehend bin." Und sie erkundigt sich auch gleich bei uns, ob sich ihr Grundstück von den anderen unterscheidet. Ja, ihr großer Küchenraum, den sie selbst aus Lehmziegeln angebaut hat und ihre großen Bäume, die sie mit "viel Liebe" hier in "der Wüste" gepflegt hat, beeindrucken uns.
Der Stolz auf die Ernte ist eine wichtige Ressource für diejenigen, die in der Kooperative anbauen. Aber die Landwirtschaft muss nicht die einzige Ernährungsquelle in Palmerita bleiben. Don Santos Reyes denkt für seine Familie bereits einen Schritt weiter: "Unser Leben hat sich hier verändert, wir freuen uns sehr darüber, dass wir ein Dach über dem Kopf haben und jetzt konstruieren wir auch einen Hühnerstall, um die Vögel aus dem Haus zu haben." Er und seine Frau wollen zusätzlich in die Viehwirtschaft einsteigen, um die Ernährung zu verbessern und Nebeneinkünfte zu erwirtschaften. Mit den Tieren, die ihm durch das Regierungsprogramm "hambre cero" geschenkt wurden, möchte er eine kleine Zucht beginnen und Milchprodukte und Eier verkaufen. "In den Jahren im Projekt wurde ich reichlich weitergebildet, jetzt kann ich kalkulieren und ich weiß, dass es möglich ist!"
Planungsfähigkeit ist auch nach drei Jahren in La Palmerita noch nicht in allen Familien vorhanden, oft wird nach dem schnellen Geld oder dem kurzfristigen Vorteil geschaut. Aber die meisten Familien, die hier auch für ihre Kinder eine Zukunft sehen, erkennen inzwischen den Wert der Gemeinschaftsarbeit.
Wir haben die Interviews mit den Aktivisten der Gemeinde geführt. Zu anderen Bewohnerinnen und Bewohnern fiel es uns sehr schwer Kontakt aufzunehmen. Viele sind auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten in der ganzen Region und in Costa Rica unterwegs. Eine Vertrauensbasis mit ihnen ist in der kurzen Zeit nicht herzustellen. Vor allem in den Gesprächen mit den Jugendlichen gelang uns ein Dialog "auf Augenhöhe", denn obwohl unsere Lebensrealitäten grundverschieden sind, hatten wir mit den jungen Leuten Palmeritas die Frage nach unserer Zukunft gemeinsam.