Gonoshasthaya Kendra ist eine nichtstaatliche Vorreiter-Organisation, die sich der ländlichen Gesundheitsvorsorge in Bangladesch widmet. Ihre Erfahrung lehrt, dass Müttersterblichkeit selbst in abgelegenen Regionen reduziert werden kann – und zwar zu geringen Kosten, wenn traditionelle Geburtshelfer angemessen fortgebildet werden. Zudem muss das staatliche Gesundheitswesen funktionieren, damit dieses Ziel erreicht wird. Die Verantwortlichen zur Rechenschaft auf der örtlichen Ebene gezwungen werden.
Von Rafiqul Huda Chaudhury und Zafrullah Chowdhury
In den letzten Jahrzehnten ist es in Bangladesch gelungen, die Müttersterblichkeitsrate zu reduzieren. Von 650 Todesfällen auf 100.000 Lebendgeburten in den 80er Jahren und 547 im Jahr 1990 ist die Zahl im Jahr 2000 auf 322 gesunken (Bangladesh Health Watch 2006). Trotzdem ist diese Rate immer noch eine der höchsten Südasiens.
Im Jahr 2000 benannte die UNO die Millennium Entwicklungsziele (MDGs). Eines davon ist die Reduzierung der Müttersterblichkeit um 75 Prozent bis zum Jahr 2015 – ausgehend vom Jahr 1990.
Es ist eine schwierige Aufgabe, die Müttersterblichkeit in Bangladesh zu senken. Aber die Erfahrungen von Gonoshasthaya Kendra (GK) im ländlichen Bangladesch zeigen, dass es möglich ist. In den Dörfern, in denen die Organisation aktiv ist, lag die Müttersterblichkeit zwischen 2002 und 2005 bei nur 186.
Gesundheitszentrum an der Basis
„Gonoshasthaya Kendra“ bedeutet wörtlich übersetzt „Gesundheitszentrum des Volks“. GK ist eine der größten nichtstaatlichen Gesundheitsorganisationen. Sie wurde kurz nach der Unabhängigkeit des Landes 1972 gegründet. Heute betreut sie mehr als eine Millionen Menschen in fast 600 Dörfern im ganzen Land. Schwerpunkt ist die primäre Gesundheitsfürsorge – so wie in der Alma Ata Deklaration der WHO von 1978 vorgesehen.
GK hat ein pro-poor Sozialversicherungskonzept entwickelt, leitet eine Pharmaproduktionsstätte zur Herstellung von Generika, und ist in vielen weiteren Bereichen aktiv. Hier behandeln wir jedoch nur Aktivitäten, die direkt mit Mütterversorgung in Zusammenhang stehen. GK kümmert sich um:
– Geburts- und Sterberegister,
– Erfassung von Schwangerschaften,
– Identifizierung der Blutgruppe,
– Impfung werdender Mütter gegen Tetanus,
– Feststellung von und regelmäßige Untersuchung bei Risikoschwangerschaften (um rechtzeitige Behandlungen zu gewährleisten),
– Einweisung ins Krankenhaus (wenn nötig)
– Aufklärung werdender oder stillender Mütter und ihrer Familien durch eine ausgewogene Ernährung und Nahrungsergänzungsmittel und
– Unterstützung bei der Familienplanung.
GK deckt die primäre Gesundheitsfürsorge durch ein Netzwerk von Pflegepersonal auf lokaler Ebene ab. Meist sind es Frauen mit Sekundarschulabschluss. Zunächst werden sie sechs Monate lang in Grundlagen der Physiologie, Anatomie und anderen Basiskenntnissen der primären Gesundheitsfürsorge geschult. Nach erfolgreicher Beendigung dieser theoretischen Ausbildung werden sie 12 Monate lang in einer GK-Zentrale praktisch ausgebildet. In dieser Zeit arbeiten sie eng mit erfahrenen Kollegen zusammen. Die Gesundheitseinrichtungen von GK in den einzelnen Dörfern kooperieren mit Krankenhäusern, um auch sekundäre und tertiäre Pflegestufen abzudecken. Einige dieser Krankenhäuser werden von GK geführt, andere sind staatlich.
Lokale Präsenz
Dem Bangladesh Demographic and Health Survey (NIPORT 2007) zufolge werden nur 13 Prozent der Entbindungen auf dem Land von Ärzten oder Hebammen betreut. Aus diesem Grund beschloss GK, etwas gegen den akuten Mangel an ausgebildeten Geburtshelfern zu unternehmen und bezog traditionelle Geburtshelfer in das lokale Trainingprogramm ein. Die traditionellen Geburtshelfer müssen Fachkenntnisse über Schwangerschaft erwerben und lernen, fachgerecht zu entbinden. Entsprechende Übungen werden regelmäßig wiederholt, vertieft und nach aktuellem Erkenntnisstand modifiziert.
Die traditionellen Geburtshelfer, die diese Kurse absolviert haben, können fortan unbeaufsichtigt Entbindungen vornehmen – außer, es gibt Komplikationen, die aber meist rechtzeitig erkannt werden. Zwischen 2002 und 2005 wurden fast 90 Prozent der Geburten in GK-Dörfern von kompetentem Personal begleitet. Der nationale Durchschnitt liegt bei nur 18 Prozent. Und darin sind die Fälle berücksichtig, bei dem medizinisches Personal wegen Komplikationen zugegen war. Nur zehn bis zwölf Prozent der Entbindungen in Gegenden, in denen GK tätig ist, wurden von unausgebildeten Geburtshelfern begleitet, etwa von Verwandten, ungeschulten traditionellen Geburtshelfern und Scharlatanen. Der nationale Vergleichswert liegt bei 68,7 Prozent (NIPORT 2007).
In Bangladesch werden meist Hausgeburten vorgenommen. Aus Kostengründen wird das auch erst einmal so bleiben. Wie die Erfahrungen von GK zeigen, lässt sich die Müttersterblichkeit dennoch reduzieren. In Gebieten, wo GK aktiv ist, werden 70 Prozent aller Kinder zu Hause entbunden. Der nationale Anteil liegt bei 85 Prozent.
GK berät auch in Ernährungsfragen: Werdende und stillende Mütter haben einen erhöhten Bedarf an ausgewogener Ernährung und Zusatzstoffen. Zu diesem Zweck organisiert GK zum Beispiel „Bou-Shasuri“ (Schwiegertöchter und Schwiegermütter) Treffen. Bei diesen werden unter anderem Arbeitsbelastung und Ernährungsbedarf werdender Mütter diskutiert, auch ihr Bedarf an hinreichenden Ruhepausen wird thematisiert. Schwiegermütter werden aufgefordert, ihren Schwiegertöchtern zu erlauben von Anfang an gemeinsam mit ihren Kindern zu essen, anstatt der Tradition zu folgen, nach der die Frauen abwarten, bis die Familie fertig ist, um dann deren Reste aufzuessen.
Verantwortlichkeit einfordern
GK kultiviert aktiv die Teilnahme an der Gesundheitsfürsorge auf lokalem Level. Dazu zählt der Aufbau dörflicher Gesundheitskomitees. Diese Ausschüsse bestehen aus Mitgliedern verschiedener Gesellschaftsschichten. Üblicherweise hat ein weibliches, gewähltes Mitglied des zuständigen Gemeinderats (Union Parishad) den Vorsitz.
Um Verantwortlichkeiten zu schaffen, werden die Gesundheitspromotoren von GK für jeden Tod einer Mutter oder eines Kindes in dem Ort, in dem sie arbeiten, zur Rechenschaft gezogen. Dazu werden so genannte „Todestreffen“ einberufen. Familienmitglieder, Lehrer, Geistliche und gewählte Repräsentanten nehmen daran Teil, natürlich auch Mitglieder des dörflichen Gesundheitskomitees. Die möglichen Todesursachen werden besprochen und es wird überprüft, ob der Tod zu verhindern gewesen wäre.
Zusätzlich und unabhängig davon müssen GK-Pflegekräfte auch innerhalb von 72 Stunden, nach dem ein Tod gemeldet wurde, ihrem jeweiligen Vorgesetzten einen Fallbericht vorlegen. Der Bericht soll aufzeigen, ob der gemeldete Todesfall hätte verhindert werden können. Die Vorgesetzten überprüfen solche Berichte eingehend – und werden ihrerseits von Vorgesetzten kontrolliert.
Mit diesen Mitteln ist es GK gelungen, Müttersterblichkeit und dieser zugrunde liegende Faktoren erheblich zu reduzieren. Von April 2002 bis April 2005 sammelten GK-Mitarbeiter systematisch Daten, die die Verläufe verschiedener Schwangerschaften dokumentieren. Die Daten erfassen den Gesundheitszustand der Frauen vom Tag der Empfängnis bis 42 Tage nach der Entbindung.
Es wurden 46 320 Lebend-Geburten verzeichnet. Bei 1000 Geburten starben durchschnittlich 1,86 Mütter. 48 362 Schwangerschaften endeten vorzeitig; in diesen Fällen starben 1,78 von 1000 Frauen. In Gegenden, wo GK aktiv ist, starben auf lange Sicht wesentlich weniger Frauen – über 300 Frauen pro 100 000 Lebendgeborenen waren es zwischen 1993 und 1997, nur noch 186 zwischen 2002 und 2005. Zuletzt lag die Müttersterblichkeit in GK-Gegenden um 42 Prozent unter dem nationalen Durchschnitt.
Alle Frauen, die im Verlauf von Schwangerschaft, Geburt oder im Kindsbett starben, waren vor der Geburt zu Hause untersucht worden, durchschnittlich fünf Mal. Darüber hinaus identifizierten Pfleger von GK gefährdete Mütter, überwachten ihren Gesundheitszustand und versorgten sie entsprechend. Dazu zählt auch die frühzeitige Einweisung komplizierter Fälle in Krankenhäuser. Auf nationaler Ebene werden Vorsorgeuntersuchungen erheblich seltener durchgeführt. Während zuletzt bei 100 Prozent der Hochschwangeren in von GK betreuten Dörfern Vorsorgeuntersuchungen gemacht wurden, war das landesweit nur bei 60,3 Prozent der Fall. Nur 21 Prozent der Frauen wurden mehr als drei Mal vorgeburtlich untersucht, in GK-Regionen hingegen waren es 91 Prozent der werdenden Mütter.
Die medizinische Überwachung von Risikoschwangerschaften ist auf nationaler Ebene nicht routinemäßig möglich. Die Voruntersuchungen von Schwangeren, wie in den GK-Gegenden praktiziert, tragen dazu bei, die Müttersterblichkeit im Vergleich zu anderen ländlichen Gebieten Bangladeschs deutlich zu senken.
Politische Lehren
Die Strategie von GK und die der Regierung unterscheiden sich in zwei Punkten fundamental, die sich unmittelbar auf das Leben von Müttern im ländlichen Raum auswirken.
– Traditionelle Geburtshelfer: Während man von der Regierung eines sehr armen Landes vielleicht nicht erwarten kann, dass sie eine intakte Gesundheitsinfrastruktur mit Ärzten, Krankenpflegern und Sanitätern auf lokaler Ebene bereitstellen kann, wäre es sinnvoll, auf traditionelle Geburtshelfer zu setzen. Bislang tut der Staat das nicht. Die Erfahrungen der NGOs zeigen, dass es darauf ankommt, traditionelle Geburtshelfer einzubeziehen und zu schulen. Die Regierung sollte diesen Ansatz nachahmen. Flächendeckende professionelle Gesundheitsversorgung bleibt in Bangladesch in absehbarer Zukunft Utopie. Daher ist jeder Versuch, die traditionellen Geburtshelfer zu marginalisieren, verantwortungslos.
– Rechenschaftspflicht: Pflegepersonal und Sanitäter von GK sind nicht nur gegenüber ihren Vorgesetzten rechenschaftspflichtig (und diese wiederum ihren Vorgesetzten), sondern auch gegenüber der Gemeinde, in der sie arbeiten. Deshalb hat GK dörfliche Gesundheitskomitees eingerichtet, in die auch die Gemeinderäte einbezogen wird. Das staatliche Gesundheitswesen hat dagegen keinerlei Rechenschaftspflicht gegenüber der Kommunalpolitik oder den örtlichen Gemeinschaften. Es untersteht vielmehr der aufgeblähten Bürokratie der Zentralregierung. Es würde das öffentliche Gesundheitswesen grundlegend verändern, wenn Pfleger auf lokaler Ebene zur Verantwortung gezogen werden könnten.
Zafrullah Chowdhury ist Gonoshasthaya Kendras Gründer und Projektkoordinator. www.gkbd.org
Rafiqul Huda Chaudhury ist ein ehemaliger UN-Regionalexperte für Bevölkerung und Entwicklung. Ehrenamtlich berät er nun die Forschungsabteilung von Gonoshasthaya Kendra.
Quellen:
The State of Health in Bangladesh 2006: Challenges of Achieving Equity in Health. Dhaka, December 2006.
National Institute of Population Research and Training (NIPORT), Mitra and Associates, Measure DHS, Macro International, (USA). 2007: Bangladesh Demographic and Health Survey 2007, Dhaka
erschienen in E+Z, Nr. 9, 2008/09, Seite 320-322 http://www.inwent.org/ez/articles/079241/index.de.shtml