Von Anne Jung
Jüngst sorgte ein Gerichtsurteil für internationales Aufsehen: Geklagt hatte der Tabakriese Philip Morris gegen die Regierung Uruguays. Mit einem Gesetz zum Nichtraucherschutz habe diese das in einem Freihandelsabkommen verankerte Recht des Unternehmens auf Profit verletzt. Doch nach mehrjähriger Prozessdauer schmetterte das zuständige Schiedsgericht die Klage ab. „Es ist nicht zulässig, kommerzielle Aspekte über die Verteidigung der Grundrechte auf Leben und Gesundheit zu stellen“, so die Begründung. „Wir haben einen Präzedenzfall geschaffen“, jubelte Uruguays linksgerichteter Präsident Tabaré Vázquez. Im Wirtschaftsteil vieler Zeitungen wurde das Urteil als Beleg dafür genommen, dass sich Freihandels- und Investitionsschutzabkommen über private Schiedsgerichte doch demokratisch kontrollieren lassen. Zu Recht? Keineswegs. Der Skandal besteht darin, dass ein Gerichtsverfahren überhaupt zugelassen wurde, in dem darüber entschieden wurde, ob eine Regierung die Gesundheit ihrer Bevölkerung schützen darf. Genau darum geht es auch in den Debatten um TTIP & Co.
Wenn man diesen geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU eines zugutehalten kann, dann das: Es hat Millionen Menschen für so komplexe Themen wie Freihandel und Investorenschutz und dafür, wie solche Abkommen die Demokratie zugunsten von Profitinteressen aushöhlen können, sensibilisiert. Mit der ständig wachsenden Protestbewegung ist deutlich geworden, dass in den Freihandelsabkommen sehr grundsätzlich um den Gegensatz zwischen dem Recht auf universellen Zugang zu Gesundheit und einem Recht von Unternehmen, Konzernen und Investoren auf Profit gerungen wird.
Abkommen sichern Dominanz
Freihandelsabkommen sind keine neue Erfindung, im Gegenteil. So drängen die westlichen Industriestaaten im Kontext der WTO die Länder des Südens seit Jahrzehnten dazu, ihre Märkte zu öffnen und Handelshemmnisse abzubauen. Heute haben mehr als 180 Länder über 3.200 solche Abkommen geschlossen. Die größten Nutznießer sind transnationale Konzerne, da sie durch die Verträge ungehinderten Zugang zu Rohstoffen, billiger Arbeitskraft und lukrativen Absatzmärkten erhalten. Der Abbau von Zöllen, Subventionen, Exportsteuern und Ausfuhrbeschränkungen hat die Arbeitsteilung zementiert, wonach die Länder des Südens ihre Bodenschätze zu für sie nachteiligen Bedingungen unverarbeitet exportieren, während der Großteil der Verarbeitung und damit der Wertschöpfung in den Ländern des Nordens erfolgt. Können traditionelle Bereiche der heimischen Wirtschaft mit den Importwaren – beispielsweise subventionierte Agrarerzeugnisse aus Europa – nicht mithalten, sinkt die Wirtschaftskraft und es kommt zu einer Spirale aus Einkommenserosion und Deindustrialisierung. In Kombination mit Steuervergünstigungen verkleinern Freihandelsabkommen den fiskalischen Spielraum armer Länder und erschweren Investitionen der öffentlichen Hand in Wirtschaftsentwicklung und Daseinsfürsorge. Diese Abhängigkeit trägt auch dazu bei, dass sie keine Infrastruktur mit hohen Arbeits-, Gesundheits-, Umwelt- und Sozialstandards aufbauen.
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Wie Freihandelsabkommen die globale Gesundheit ruinieren. medicos Rede auf der Stop-TTIP-Demo am 17.09. in Frankfurt am Main
Schiedsgerichte schaffen Paralleljustiz
Freihandelsabkommen wirken sich etwa dadurch auf die globale Gesundheit aus, dass sie Produktions- und Konsumgewohnheiten verändern. Das zeigt das Beispiel Mexiko. Das Land hat unzählige Freihandels- und Investitionsabkommen geschlossen, darunter 1994 das größte: Seit NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft getreten ist, haben industrielle Fertigprodukte und überzuckerte Softdrinks den mexikanischen Markt überschwemmt. Mexiko ist Weltmeister beim Konsum von Coca Cola und anderen Softdrinks. Auch dadurch ist die Zahl stark übergewichtiger Menschen so stark gewachsen wie nirgendwo sonst auf der Welt. Knapp 70 Prozent der Gesamtbevölkerung leiden an Übergewicht, 14 Prozent der Erwachsenen an Diabetes, Zehntausende sterben daran.
Doch NAFTA befeuert nicht nur solche negativen gesundheitlichen Entwicklungen – es verhindert auch Gegenmaßnahmen. 2001 etwa belegte die mexikanische Regierung alle Produkte, die den gesundheitsschädlichen Maissirup Isoglucose enthielten, mit einer Strafsteuer. Der Zuckerersatz, der noch schneller dick machen soll als herkömmlicher Zucker, wurde in großem Stil von den USA eingeführt. Auf Grundlage des NAFTA-Abkommens aber konnten US-Unternehmen gegen das Verbot klagen. Sie bekamen Recht und Mexiko musste Entschädigung in Millionenhöhe zahlen.
„Es geht in dieser Welt etwas auf fundamentale Weise schief “, sagt die Generaldirektorin der WHO, Margaret Chan, „wenn Unternehmen politische Maßnahmen anfechten können, die die Öffentlichkeit vor gesundheitsgefährdenden Produkten schützen sollen.“ Tatsächlich ermöglichen es die in Freihandelsabkommen verankerten Investitionsschutzklauseln transnationalen Konzernen, immer dann gegen Staaten zu klagen, wenn diese Gesetze zum Verbraucher- oder Gesundheitsschutz der Bevölkerung einführen möchten, die potenziell die Gewinnerwartungen verringern können. Über solche Klagen entscheiden Schiedsgerichte. Diese bestehen nicht aus unabhängigen Richtern, sondern aus von den Streitparteien ernannten privaten Anwälten. Diese prüfen allein auf Grundlage des jeweiligen Investitionsschutzabkommens, ob die Maßnahmen eines Staates mit den Investorenrechten im Einklang stehen. Investoren haben hier grundsätzlich nur Rechte, aber keine Pflichten – etwa zur Einhaltung von Menschenrechten oder Umwelt- und Sozialstandards.
Zwei Drittel der Klagen richten sich gegen Schwellen- und Entwicklungsländer, 85 Prozent der Kläger kommen aus reichen Ländern. Auch wenn es in der aktuellen TTIP-Debatte anders erscheint: Deutschland gehört zu den Pionieren, aktivsten Betreibern und bislang größten Nutznießern von Schiedsgerichten. Oft geklagt wird zum Beispiel von der Pharmabranche. Der Patentschutz treibt die potenziellen Gewinnerwartungen teils in unermessliche Höhen, während er in ärmeren Ländern eine Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten gegen Krebs, Zuckerkrankheit, Aids oder Hepatitis C vielfach unerschwinglich macht. Mit Kampagnen haben Protestbewegungen wie die lang von medico unterstützte Treatment Action Campaign erreicht, dass patentgeschützte Medikamente in armen Ländern günstiger produziert oder importiert werden dürfen. Diese Errungenschaften drohen allerdings mit dem Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen EU und Kanada (CETA) verloren zu gehen.
Politik entmachtet sich selbst
In der breiten Öffentlichkeit haben Freihandelsabkommen hierzulande erst für größeres Aufsehen gesorgt, als sich die Klagen mit TTIP nicht nur gegen Regierungen der Länder des Südens, sondern auch gegen europäische Regierungen richteten oder zu richten drohten.
Die Politik selbst ist es, die das parlamentarische Prinzip der öffentlich kontrollierten politischen Entscheidungsfindung zugunsten von privaten Renditeinteressen bewusst beschneidet und sich ihrer eigenen politischen Gestaltungsmöglichkeiten beraubt. Gegen diese Politik von Selbstentmachtung und Unternehmensbegünstigung gilt es den Protest zu richten! Das wahrscheinliche Scheitern von TTIP kann dabei nur der Anfang des Protests gegen zahlreiche andere Abkommen sein, mit denen der Westen seine wirtschaftliche Dominanz sichert und dabei Kollateralschäden für die globale Gesundheit billigend in Kauf nimmt.
Der Beitrag basiert auf der gerade erschienenen Broschüre „Recht auf Profit? Wie Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen Armut, Hunger und Krankheit fördern“.