
Dass die Welt auch damals nicht in Ordnung war, wird im ersten rundschreiben des Jahres 2000 hinreichend deutlich. Es berichtet von der wachsenden „Diktatur der Armut“, einer Flutkatastrophe in Mosambik und den Repressionen des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung. Gleichwohl gibt es in der Ausgabe eine Reportage, die nur so vor Hoffnung glüht. Sie erzählt von einem Projekt, das zu einem der prägendsten in der Geschichte von medico werden sollte; und sie erzählt von Freddy, einem Bauern, der 444 Tage nach einer Katastrophe „das Fest seines Lebens“ feierte.
Worum ging es? Im Herbst 1998 wütete Hurrikan „Mitch“ in Mittelamerika mit tödlicher Wucht. Im Westen Nicaraguas löschten Schlammlawinen ganze Dörfer aus, auch das von Freddy. Die Not war groß. Doch viele der Überlebenden hatten während der sandinistischen Revolution Selbstwertgefühl, Stärke und Unabhängigkeit entwickelt – Erfahrungen, die sich auch jetzt mobilisieren ließen. So kam es, dass Freddy und Genoss:innen die Hacienda El Tanque besetzten. Hier wollten sie sich nicht nur ein neues, sondern auch gleich ein besseres Leben aufbauen. Dabei wandten sie sich auch an eine durch ihre Arbeit vor Ort bestens und lange bekannte Organisation aus dem Ausland: medico international. Gemeinsam wurde besprochen und besorgt, was nötig war. Das Anliegen war komplex, aber es ging voran. Am 18. Januar 2000 wurde El Tanque, das „Dorf der Mutigen“, mit besagtem Fest eröffnet. Nach und nach entstanden ein demokratisches Gemeinwesen, eine gemeinwohlorientierte Infrastruktur – von Bildung bis Gesundheit – und eine genossenschaftliche Landwirtschaft. El Tanque war nie ein Idyll. Aber es hat den Nachweis erbracht, dass „entwicklungsorientierte Nothilfe“ möglich ist. Sie wirkt bis heute.
Nicaragua wurde längst wieder in eine Diktatur verwandelt. El Tanque aber gibt es noch. Es ist die letzte verbliebene Kooperative im Landkreis. Trotz großen Drucks weigern sich die Bewohner:innen bis heute, ihr Land dem Agrobusiness zu verkaufen und damit aus der Hand zu geben, was sie einst selbstorganisiert geschaffen haben.
Das rundschreiben erscheint seit 1982. Die vergangenen 25 Jahre lassen sich digital nachlesen: medico.de/rundschreiben-archiv