Watch the Med deckt auf: Am Vormittag des 11. Oktober erhält die Italienische Küstenwache einen Notruf, erklärt sich aber zunächst für nicht zuständig. Als endlich italienische Schiffe am Unglücksort eintreffen, kommt die Hilfe für mehr als 200 Menschen zu spät.
Acht Tage nach der Bootstragödie vor Lampedusa ertranken am 11. Oktober 2013 über 200 syrische Flüchtlinge, darunter über 100 Kinder, bei einem weiteren Unglück in ca. 100 Kilometern Entfernung vor der italienischen Insel. Nur durch die hartnäckige Recherche des italienischen Journalisten Fabrizio Gatti sowie Nachforschungen des Monitoring Projektes WatchTheMed kommen nun die skandalösen Umstände dieses tödlichen Dramas ans Licht. Das Boot startete am Vorabend aus Libyen und wurde in der Nacht von einem libyschen Schnellboot verfolgt und beschossen. Dadurch geriet das Boot in Seenot und drohte zu sinken. Die am Vormittag des 11. Oktobers per Satellitentelefon abgesetzten Notrufe wurden - so beklagen später Überlebende in Interviews - von den italienischen Behörden zunächst ignoriert.
Eine Überprüfung der Notwarnsysteme durch WatchTheMed ergab, dass die sich in der Umgebung befindlichen Schiffe informiert wurden, der Rettungseinsatz durch das nur wenige Seemeilen entfernte italienische Marineschiff LIBRA aber erst um 17:14 Uhr angeordnet wurde, viereinhalb Stunden nach dem von Rom bestätigten eingegangenen Notruf um 12:26. Zu diesem Zeitpunkt war das Flüchtlingsboot schon gesunken, mehr als 200 Menschen ertranken. Sie alle hätten überleben können, wenn die Rettungsmaßnahmen sofort in Gang gesetzt worden wären. Doch der Leiter der Hafenkommandantur und der Küstenwache Italiens, Felicio Angrisano, rechtfertigt sich laut des italienischen Nachrichtenmagazins Espresso mit Verweis auf die Zuständigkeit von Malta: Das Flüchtlingsboot habe sich in der maltesischen Seenotrettungszone (SAR) befunden. Doch Stefan Schmidt, der frühere Kapitän der Cap Anamur und Mitglied der Menschenrechtsorganisation borderline-europe bekräftigt: "Das Verhalten der italienischen und maltesischen Behörden widerspricht allen Regeln des Seerechts."
"Es macht fassungslos, dass Flüchtlinge sterben müssen, weil die zur Rettung verpflichteten Einsatzkräfte zweier EU-Staaten über Zuständigkeiten streiten", kommentiert Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL, die Geschehnisse. Die Beweiskette im vorliegenden Fall erscheint so dicht, dass die Verantwortlichen auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
"Left to die, das Sterbenlassen auf See, gehört offensichtlich nach wie vor zur EU-Abschreckungspolitik gegenüber Flüchtlingen", kritisiert Helmut Dietrich von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration. Dokumentiert sind von „Fortress Europe“ über 18.000 Todesfälle aus den vergangenen 20 Jahren, Menschen, die zu Opfern des europäischen Grenzregimes wurden. Die meisten starben im Mittelmeer und immer wieder gibt es den Vorwurf unterlassener Hilfeleistung.
Das Monitoringprojekt WatchTheMed wird unterstützt von: medico international, Afrique-Europe-Interact, Welcome to Europe, PRO ASYL, Forschungsgesellschaft Flucht und Migration und borderline-europe