Wie die systematische Exklusion die Stimmung in den Townships aufheizt und welche Rolle dabei überkommene Apartheid-Stereotypen spielen. Ein Interview mit der Direktorin der Khulumani Support Group, Marjorie Jobson.
medico: Khulumani hat ca. 70 Selbsthilfegruppen von Apartheid-Opfern, die vorwiegend in den Townships aktiv sind. Wie habt ihr die rassistischen Angriffe auf Migranten erlebt?
Marjorie Jobson: Khulumani-Mitglieder waren in ihren "kommunalen Sicherheitsforen" aktiv, die es seit längerem gibt, um Gewaltprävention vor Ort zu betreiben. Im Township Khutsong in der Nähe von Johannesburg ist es gelungen, die lokalen Führer zu Aufrufen gegen die Gewalt zu bewegen, das hat zur Deeskalation beigetragen. Das glückte jedoch nicht in vielen Townships. Wir haben uns auch an der Demonstration der Zivilgesellschaft im Geschäftsbezirk von Johannesburg beteiligt, die dort gegen diese schrecklichen Angriffe protestierte. Wir sind uns aber auch dessen bewusst, dass solche Aktionen die öffentliche Wahrnehmung bei uns und im Ausland verändern, aber wenig an der organisierten Gewalt und Xenophobie in den Townships.
Was sind aus deiner Sicht die Ursachen für diese Gewalt?
Die meisten armen Menschen hängen bei uns vom informellen Handel ab. Gerade auf diesem Sektor ist deshalb die Konkurrenz sehr groß und hart.
Viele Einwanderer sind in diesem Bereich zum Teil erfolgreich tätig. Sie sind häufig besser ausgebildet und haben durch ihre Auswanderung eine höhere Motivation. Die eskalierende Gewalt gegen Einwanderer ist ein seit Jahren schleichender Prozess. Denn migrantische Händler im informellen Sektor werden bereits seit vielen Jahren attackiert Die Medien interessierten sich dafür ebenso wenig wie die Polizei, die nichts unternimmt, um die Betroffenen zu schützen. Im Gegenteil, der Staat kriminalisiert diese Händler ebenfalls. Täglich geht die örtliche Polizei gegen sie vor, konfisziert ihre Stände, verhängt drastische Geldbußen, die die Händler nicht bezahlen konnten. Die konfiszierten Waren werden zerstört oder von den Polizisten selbst weiterverkauft. Diese ununterbrochenen Angriffe und Misshandlungen, denen die migrantischen aber auch alle anderen informellen Händler ausgesetzt sind, haben dazu geführt, dass die ökonomische Apartheid zwischen Besitzenden und Habenichtsen verschärft worden ist. Die Konkurrenz unter den Allerärmsten ist dadurch noch größer geworden. Dieses Vorgehen gegen den informellen Sektor ist keine südafrikanische Erfindung. Mugabe hat 2005 in Simbabwe mit dem Slogan "Weg mit dem Dreck" eine solche Kampagne durchgeführt und so die Lebensgrundlage und die Siedlungen von 700.000 Menschen zerstört.
Die jüngsten Angriffe waren aber von einer ungleich härteren Qualität als die der staatlichen Polizei?
Ja, zum Beispiel die Verbrennung der beiden mosambikanischen Einwanderer im Atteridgeville Township in Pretoria. Das war ein entsetzliches und höchst symbolisches Fanal. Die beiden wurden bei lebendigem Leib in einer Art exorzistischem Akt verbrannt, quasi geopfert. Ein Zeichen, das rasend schnell Nachahmer fand. Angesichts der ohnehin aufgeheizten Atmosphäre in den Townships verbreitete sich dieses Gewaltritual wie ein Lauffeuer. Ein Funke genügte. Beteiligt sind daran vorwiegend junge Männer, die nicht mehr über traditionelle Wege verfügen, ihre Männlichkeit zu behaupten, weil sie arm sind und keine Arbeit haben, die ihnen Anerkennung verschafft. Die Gruppengewalt ist für sie ein wirklicher Energiespender.
Südafrika ist ein Einwanderungsland, und war während der Apartheid zeitweise ein Auswanderungsland. Warum kommt es trotzdem zu solchen Angriffen gegen Einwanderer?
Wenn man so will, haben alle Südafrikaner einen Migrationshintergrund. Bis zu den Wahlen 1994 trug die Einwanderung allerdings ein weißes Gesicht. Erst in den letzten Jahren wurden die schwarzen Einwanderer zur Mehrheit. Es ist nicht einfach, die tiefen Ursachen für diese ausländerfeindlichen Angriffe zu nennen. Wir als südafrikanische Zivilgesellschaft können ein paar Faktoren aufzeigen, die zu diesem Gewaltausbruch beigetragen haben. Dazu gehört, dass die südafrikanische Regierung nicht imstande war und ist, die Ursachen von Armut und ökonomischer Ausgrenzung zu bekämpfen. Die wachsende Inflation hat bei den geringen Einkommen in den Township-Gemeinden die Überlebenssituation noch verschärft. Die Erwartungen nach 1994 auf ein besseres Leben wurden nicht erfüllt. Viele Südafrikaner schreiben ihre prekäre ökonomische und soziale Lage nicht der Regierung zu, sondern der Anwesenheit von Ausländern in ihren Gemeinden. Die internalisierten Stereotypen aus der Apartheid-Zeit kommen hier nach wie vor zum Tragen. Das Apartheid-Regime hatte ein perfektes System von Spaltungsstrategien gegen die ausgegrenzte Mehrheit der Bevölkerung entwickelt und realisiert. Ohne sie zu hinterfragen, wurden aus dieser Zeit stammende Stereotypen vom Schwarzen als Dieb, Vergewaltiger und Dummkopf auf die Einwanderer übertragen. Hinzu kommt, dass die großen Erzählungen der Wahrheits-und Versöhnungskommission (TRC) und die nachfolgenden Strategien zur Nationenbildung darin bestanden, dass "wir alle eins sind", dass wir uns gegenseitig verziehen haben. Die sozialen Unterschiede wurden weggeredet. Dabei hätte man ehrlich über die Notwendigkeit einer sozialen Versöhnung reden müssen, statt die politische Versöhnung der Eliten für allgemeingültig zu erklären.
Was unternimmt Khulumani konkret in dieser Situation?
Gemeinsam mit dem südafrikanischen Zentrum für Folteropfer (SACST) haben wir ein Sofortprogramm für informelle Siedlungen entwickelt, die einen Fokus der Angriffe darstellen. Dort führen wir mit Konfliktmediatoren in kleinen Gruppen Trainingsprogramme mit Bewohnern durch. Sie haben die Aufgabe zu deeskalieren, um die Rückkehr der Migranten zu erreichen. Die Moderatoren bleiben in den Gemeinden und reden mit den Leuten. Wir nennen das einen "diffusen Dialog", bei dem es erst einmal darum geht, Denkanstöße zu vermitteln. Das geht nur in kleinen Gruppen, in denen sich Menschen sehr persönlich mit anderen möglichen Haltungen auseinandersetzen können. Große Versammlungen würden zum jetzigen Zeitpunkt nur zur Verfestigung der Vorurteile führen. Auf lange Sicht muss es uns gelingen, eine soziale und ökonomische Entwicklung zu gestalten, die in den ärmsten Gemeinden beginnt und die deren direkte Partizipation sicherstellt. Die Armutsbekämpfung muss in der Art eines staatlichen Marshallplanes in den einzelnen Gemeinden ansetzen. Unsere Losung: Nothing about us without us – nichts über uns ohne uns – trifft auch hier zu. Wir müssen die Menschen an der Basis aktivieren, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und ihre Partizipation an Entscheidungen sicherzustellen.
Projektstichwort
Gleich nach den Angriffen und Vertreibungen der afrikanischen Einwanderer in Südafrika hat medico Nothilfemittel zur Versorgung der Flüchtlinge in den Notunterkünften zur Verfügung gestellt. Nun geht es darum, die südafrikanischen Partner, die alle in den Armenvierteln arbeiten, insbesondere in ihren psychosozialen, gemeindeorientierten Programmen zu unterstützen, um die Rückkehr der Vertriebenen zu ermöglichen. Dafür bitten wir Sie um Spenden unter dem Stichwort: Südafrika.