Die Delhi-Erklärung will die Forderungen nach dem Recht auf Gesundheit und sozialer Gerechtigkeit in globale politische Handlungsoptionen übersetzen
Anfang Mai kamen auf Initiative von medico international, der indischen Gesundheitsorganisation Prayas, der Community Health Cell Bangalore, dem People's Health Movement und der Public Health Foundation India Vertreter und Vertreterinnen von Organisationen und Institutionen in Neu Delhi zusammen, die sich für Gesundheit und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Ziel des Treffens war es, eine gemeinsame Vision für die Durchsetzung des Menschenrechts auf Gesundheit zu erarbeiten, auf deren Grundlage sich weltweit vernetzte Aktivitäten unter dem Motto „Gesundheit für alle“ entwickeln können. Dort entstanden ist die Delhi-Erklärung, die bei der wenige Wochen später tagenden Weltgesundheitsversammlung der WHO für Aufsehen sorgte. Hier Auszüge.
Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entfaltung des Einzelnen und für die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt. Das Recht auf Gesundheit ist deshalb in der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation, im Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und in den Verfassungen von mehr als 130 Ländern festgeschrieben.
Globale Gesundheit und Armutsbekämpfung sind heute wichtige Themen auf der internationalen politischen Agenda. Mit verschiedenen Programmen haben Regierungen der Armut den Kampf angesagt. Dennoch wächst die Kluft im Zugang zu Gesundheit zwischen den Ländern und in den Ländern selbst. Anhaltende Armut und wachsende Ungleichheit halten sich trotz aller Programme und Politiken hartnäckig. Sie sind ein Beweis dafür, dass die wirtschaftliche Globalisierung und die Liberalisierung der Märkte keine Grundlagen für eine nachhaltige und faire gesellschaftliche Entwicklung geschaffen haben.
Gesundheit ist ein Gemeingut, das kollektive Verantwortung fordert. Die Realität aber ist eine andere. Die herrschende Marktdynamik und der unkontrollierte Einfluss profitorientierter transnationaler Unternehmen, unterstützt durch die Politik internationaler Finanz- und Handelsinstitutionen, wie des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation, verursachen strukturelle Verletzungen des Rechts auf Gesundheit. Hinzu kommen weitere systematische Verletzungen anderer Rechte: des Rechts auf Gleichberechtigung der Geschlechter, des Rechts auf Wasser und Nahrung, auf Arbeit und Einkommen, auf Unterkunft und Bildung. Daher kann das Engagement für das Recht auf Gesundheit nicht isoliert von der Notwendigkeit gesehen werden, universelle soziale Sicherungssysteme zu entwickeln. Denn sie sind Schlüsselelemente in einer Politik der menschlichen Entwicklung.
Der WHO ist als Gesundheitsorganisation der Vereinten Nationen die „führende und koordinierende Instanz” zur Durchsetzung des Rechts auf Gesundheit sowie einer allen Menschen zugänglichen Versorgung im Krankheitsfalle. Diese Rolle ist in der Verfassung der WHO völkerrechtlich bindend festgeschrieben. Sie muss heute mit aller Kraft gestärkt werden. Denn in den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche neue Akteure auf den Plan getreten. Sie haben zwar Gesundheit zu einem zentralen Anliegen gemacht und bestimmen die globale Agenda mit, aber zugleich haben sie die globalen Gesundheitsstrukturen erheblich fragmentiert. Die wachsende Bedeutung privater Akteure ist nicht ohne Folgen für die institutionelle Kultur. Die Prinzipien des Marktes werden in Bereichen wirksam, in denen sie traditionell eigentlich keine Rolle spielen.
Die immer dringlichere Frage nach einer neuen globalen Gesundheitssteuerung und - damit einhergehend - der Reform der WHO spielten während der Debatte des WHO Executive Boards im Januar 2011 eine zentrale Rolle. Wir begrüßen das. Nun muss die WHO durch ihre Mitgliedsstaaten die Verantwortung für den begonnenen politischen Dialog übernehmen.
Wir sind überzeugt, dass die WHO ihre grundlegende multilaterale Identität wieder entdecken muss. Sie muss sich auf ihre Stärken rückbesinnen und den Reformprozess dafür nutzen, sich als DER führende Akteur in einer erweiterten globalen Steuerung für Gesundheit zu definieren und zu behaupten. (...) Gesundheitssteuerung heißt, sich der Notwendigkeit einer soliden öffentlichen Politik als Antwort auf die neoliberalen Rezepte bewusst zu sein. Die Globalisierung auf der Grundlage der zentralen Werte von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit zu gestalten, ist die zentrale Aufgabe der WHO.
Wir, die Teilnehmer der Neu Delhi Beratung,
- rufen die Mitgliedsstaaten auf, die Durchsetzbarkeit des Rechts auf Gesundheit und aller anderer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu stärken;
- sind überzeugt, dass für die Umsetzung des Rechts auf Gesundheit zunächst die nationalen Regierungen verantwortlich sind. Ohne die Mobilisierung der Bevölkerung können Menschenrechte nicht umgesetzt werden. Das Recht auf Gesundheit stellt hier keine Ausnahme dar;
- kritisieren mit Nachdruck den zunehmenden und unverhältnismäßigen Einfluss der Privatwirtschaft auf die WHO, und dies umso mehr als es keinerlei robusten Mechanismus zur Kontrolle und Vermeidung von Interessenskonflikten gibt. Die WHO muss einen umfassenden Rahmen entwickeln, der die Zusammenarbeit mit kommerziellen Akteuren regelt. Solche Maßnahmen beinhalten eine klare Definition von institutionellen Interessenskonflikten, sowie klar definierte Teilnahmekriterien und Auslaufklauseln;
- drängen die Mitgliedsstaaten darauf, eine gerechte Besteuerung als zentrales politisches Instrument zur Steigerung von Einnahmen zu nutzen. Die Welt schwimmt im Geld, und es ist Zeit, den erreichten Wohlstand als Chance dafür zu nutzen, Sozialpolitik wieder mit entsprechender Wirtschafts-und Steuerpolitik zu verknüpfen;
- erinnern daran, dass die internationale Solidarität für viele Länder unerlässlich ist, denen es an finanziellem Potenzial zur Sicherstellung der personellen und materiellen Ressourcen für die Realisierung des Rechts auf Gesundheit fehlt. Um eine solche Unterstützung langfristig zu sichern und kalkulierbar zu machen, müssen die bestehenden unverbindlichen Übereinkünfte in verpflichtende Absprachen überführt werden; ermutigen die Mitgliedsstaaten, ihre finanziellen Beiträge für die WHO zu erhöhen und ihren Einfluss auf die Organisation zu verstärken.
Unterzeichnet von:
Salud y Desarollo, Bolivien; Wemos - Health for All, Belgien; Prayas, Indien; medicus mundi, Schweiz; Geneva Health Forum; Community Working Group on Health, Zimbabwe; Partners in Health, USA; Training and Research Support Centre, Zimbabwe; Section 27, Südafrika; O´Neill Institute for National and Global Health Law, USA; Southern and Eastern African Trade, Information and Negotiations Institute, Zimbabwe/Uganda; World Social Forum, Brasilien; Tax Justice Network, Kenia; Community Health Cell, Indien; Equinet, Südliches Afrika; World Council of Churches, Genf; Action Group for Health, Human Rights and HIV/AIDS, Uganda; Diver Women for Diversity, Indien; medico international, Deutschland; People's Health Movement.