Anlässlich des Besuchs von nicaraguanischen Zuckerrohrarbeitern in Deutschland, die über die gesundheitlichen Folgen von Monokultur berichten, fordern das Nicaragua-Forum Heidelberg, medico international, FIAN, IZ3W und Nicaragua-Initiative sowie Städtepartnerschaften den Importstopp für Agrotreibstoffe.
In den letzten Jahren starben in Nicaragua über 4000 Zuckerrohrarbeiter an chronischem Nierenversagen. Tausende weitere Arbeiter sind erkrankt und arbeitsunfähig, ihrer Existenz beraubt. Die Vereinigung der von chronischer Niereninsuffizienz betroffenen Zuckerrohrarbeiter (ANAIRC) macht für die ungewöhnlich hohe Zahl von Erkrankungen und Todesfällen die extrem belastenden Arbeitsbedingungen und den jahrelangen Einsatz von Pestiziden verantwortlich. Die Zuckerbetriebe (Nicaragua Sugar Estates Ltd. und Pantaleon Sugar Holdings) weisen bisher jede Schuld für die Erkrankungen zurück, die erkrankten Arbeiter werden in der Regel einfach entlassen. Immer häufiger erkranken auch im Produktionsgebiet lebende Kinder und Jugendliche an Nierenversagen, denn auch sie sind oft von klein auf den negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen der Zuckerrohrproduktion ausgesetzt.
Besonders brisant werden diese Zusammenhänge vor dem Hintergrund des zunehmenden Imports von aus Zuckerrohr gewonnenem Ethanol - unter anderem auch aus Nicaragua. Die kritische Beurteilung der neue Beimischungsverordnung E10, die vielfach als klimapolitisch ineffizient, ökologisch problematisch und ernährungspolitisch katastrophal eingeschätzt wird, erhält eine neue Facette: Für tausende von Arbeitern sind die Produktionsbedingungen schlicht tödlich.
Schon vor der Einführung des E10-Kraftstoffs wurden über 30 Prozent des Biosprits für die Beimischung nach Deutschland aus Ländern des Südens importiert. Mit der Erhöhung der Quote steigt vor allem der Anteil der Importe und damit auch die Gefahr von negativen Auswirkungen stark an. Die bisher gültige Zertifizierung von Agrotreibstoffen sieht den Ausschluss eines Anbaus auf Flächen mit hohem Naturschutzwert, auf Flächen mit hohem Kohlenstoffbestand und auf trockengelegten Torfmoor-Flächen vor. Diese Vorgaben reichen nicht aus. Der Anbau von Energiepflanzen verdrängt beispielsweise den Nahrungsmittelanbau, indirekt wird die Abholzung von Regenwäldern weiter angeheizt.
Der aktuelle Weltagrarbericht kommt zu dem klaren Urteil „Die Landwirtschaft in ihrer heutigen Form hat keine Zukunft.“ Zumindest wenn es darum geht, weltweit das Menschenrecht auf Nahrung umzusetzen und den Klimawandel aufzuhalten. Auch wenn in der Vergangenheit durch die industrielle Landwirtschaft erhebliche Produktivitäts- und Mengensteigerungen erzielt werden konnten, steigt die Zahl der weltweit Hungernden weiter. Monokulturen, chemische Pestizide und Düngemittel und die Verwendung von gentechnisch verändertem Saatgut haben in den vergangenen Jahren bereits ein Drittel der fruchtbaren Böden zerstört. Die Verlagerung der Energieproduktion für das wachstumsorientierte Wirtschaftsmodell der führenden Industrieländer auf die Anbauflächen im Süden verschärft die Probleme von Hunger und Armut.
Die durch starke Wirtschaftsinteressen getriebene Produktion von Agrotreibstoffen hat weitreichende Auswirkungen auf Eigentumsverhältnisse und Landrechte. Zusammen mit den belastenden Produktionsmethoden, katastrophalen Arbeits- und Lebensverhältnissen auf den Plantagen führt dies zu starken sozialen Verwerfungen.
Die agroindustrielle Produktion mit ihrem hohen Ressourcen- und Flächenverbrauch gefährdet den Zugang zu ausreichendem und sauberem Trinkwasser. Monokulturen schädigen das Ökosystem. Die regionale Sicherung der Ernährung für die Bevölkerung wird so unmöglich.
Agrotreibstoffe können kein geeigneter Ersatz für Benzin und Diesel sein, wenn ihre Produktion direkt oder indirekt
- zur Vertreibung von Bauernfamilien
- zur Verteuerung und Verknappung von Nahrungsmitteln oder
- zur Schädigung der Gesundheit von Menschen im Produktionsgebiet führen
Kein Import von Agrotreibstoffen
Die bestehenden Zulassungskriterien für Agrotreibstoffe sind ungeeignet um Hunger, Umweltzerstörung und die Schädigung der im Umfeld der Produktionsgebiete lebenden Menschen zu verhindern. Menschen, die durch direkte und indirekte Folgen der Produktion von Biomasse für die Energiegewinnung gesundheitlich schwer geschädigt wurden, erhalten bislang keine angemessene Entschädigung. Angesichts der Exportabhängigkeit der Produzentenländer herrscht das Recht des wirtschaftlich Stärkeren.
Um vielfältige, negative Auswirkungen der Produktion in den Ländern des Südens auf die Menschen zu verhindern, fordern die Unterzeichner von der EU und der Bundesregierung:
- einen Importstopp für Agrotreibstoffe, solange die agroindustrielle Produktion von Pflanzen zur Energiegewinnung Nahrungsmittelverknappung und Hunger zur Folge hat, zu Umweltzerstörung und Gesundheitsschäden für die lokale Bevölkerung führt.
von Nicaragua Sugar Estates Ltd. und Pantaleon Sugar Holdings
- den Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für Arbeitskräfte und die lokale Bevölkerung, wenn sie selbst oder ihre Lebensgrundlagen durch die Zuckerrohrproduktion geschädigt wurden
- Maßnahmen zur Existenzsicherung für die Betroffenen und ihre Familien, die ihre Existenzgrundlage durch Entlassung verloren haben
- eine angemessene medizinische Behandlung für alle Geschädigten.