Zuerst der große Flüchtingsexodus 1991 aus dem Irak. Durch militärische Intervention des Westens gegen Saddam gelang es dann, den Menschen eine Rückkehr zu ermöglichen: in eine »Republik der Staatenlosen«. In das substaatliche, selbstverwaltete Gebilde des kurdischen Nord-Irak. Die strukturellen Probleme des Territoriums blieben ungelöst, die Folge war erneute Flucht, die bis in diese Tage hinein auf riskanteste Weise sich abspielt, auf uralten Seelenverkäufer-Schiffen, die an den Küsten des reichen Europas wie steuerlose Flöße stranden. Die Irakisch-kurdischen Emigranten sind die zahlenmäßig größte Gruppe der Asylantragsteller in Europa. Sie gelten den zähneknirschenden Asylbehörden als nicht »rückführbar«. Technisch und per Flugzeug geht das nicht wegen des Irak-Embargos. Im Irak selber gilt die Tatsache eines anderswo gestellten Asyl-Antrags als Straftatbestand. Damit hat jeder Geflüchtete automatisch einen rechtlichen Nachfluchtgrund auf seiner Seite. Um am Recht vorbei sich der »Flüchtlingsströme« dennoch zu entledigen, mußte man eine »inländische Fluchalternative« präsentieren können. Am besten den autonomen Nordirak, oder anders gesagt: »Rückschiebung« in ein völkerrechtlich nicht anerkanntes Gebiet ohne Beteiligung des rechtlich souveränen Nationalstaates Irak. Aus den Abwehrbemühungen erwuchs folgerichtig 1999 auf dem EU-Sondergipfel der »Aktionsplan Irak«. Dessen stumpfe Systematik nichts anderes meint, als das koordinierte Handeln von deutschem Bundesgrenzschutz, türkischer Gendarma und unter Druck gesetzter kurdischer Parteien, die vereint eine Rückführkette bilden sollen: im Zeichen der behaupteten »sicheren Fluchtalternative« im Nordirak. Das Lehrstück »Safe Haven« im Kurdengebiet wird dabei zum Modell für eine international in alle Richtungen geplante Verschubung von Verfolgten mit rechtlich einwandfreien Fluchtgründen: auch in anderen Ländern Afrikas oder des Mittleren Ostens und Asiens sollen eingegrenzte Terrains identifiziert werden, die als sichere Fluchtträume ausgewiesen werden. Es bedeutet dies nichts anderes als die systematische Schaffung globaler Flüchtlingslager als Reservate in durchweg feindseliger Umgebung, die »Schutzzonen« genannt werden. Dabei weigern sich die Alliierten des Westens, die einzig eine »Flugverbotszone« im Irak garantieren, weigern sich auch die Vereinten Nationen, dem nicht anerkannten substaatlichen Nordirak die geringste international bindende Anerkennung zuteil werden zu lassen: die »Schutzzone« bleibt damit rechtlich & tatsächlich unter der Hoheit Baghdads. Die rückgeführten Verfolgten des Regimes gelten als »Inlandsflüchtlinge« und weder die Nachbarstaaten haben mit ihnen ein Problem noch der Weltflüchtlingskomissar der Vereinten Nationen, der nur für »internationale Flüchtlinge« Schutz gewährt. Entgegen der UN-Flüchtlingskonvention sind die Betroffenen damit in einen neuartigen Zustand »garantierter« Rechtlosigkeit überführt. Jenseits der Genfer Flüchtlingskonvention haben nun die Behörden (Bundesverwaltungsgericht) die praktische Möglichkeit, im Falle der unterstellten »inländischen Fluchtalternative« die sicheren Orte souverän selber auszuweisen. Eine Abschiebung ist dann kein Problem mehr. Der Lösungsweg »Kurdistan Nordirak« ist inzwischen zum Experimentiermodell der gesamten europäischen Flüchtlingspolitik geworden.
Verblüffend auch der jahrelange Umgang mit den Flüchtlingen aus Afghanistan, denen beim Eintreffen in Europa attestiert wurde, nicht vor der Verfolgung eines UN-anerkannten Staates geflohen zu sein, sondern »nur« vor den Taliban, die zwar ¾ des Territoriums kontrollierten, jedoch im Gegensatz zur Exilregierung Rabbani (Nord Allianz) auf das Patent respektierter Staatlichkeit verzichten mußten. Dies Blatt dürfte sich erst wenden, wenn es zu einem Sieg und zur Anerkennung der Nordallianz kommen wird, die seinerzeit einmal aus Kabul vertrieben wurde, weil sie noch brutaler als die Taliban gewirkt hatte. Aber auch dann wird der Definitionsmacht eines Otto Schily wieder etwas einfallen, um den Verfolgten ihr Recht zu nehmen, die ihrerseits, wenn sie sich rechtlos verhalten, als »Terroristen« erst Anerkennung finden - nicht als Menschen.