»Camarada Presidente, o povo está com fome«, »Genosse Präsident, das Volk hungert« – so reklamierte die Bevölkerung von Luena beim ersten Besuch des Präsidenten Jose Eduardo dos Santos seit 10 Jahren. Eigentlich hatten sie ja Jubelspruchchöre grölen sollen, »o povo está contigo«, das Volk steht auf Deiner Seite.
Dabei war doch alles für seinen Besuch so schön vorbereitet worden: nie war die Stadt so aufgeräumt und von Müll befreit worden, Schlaglöcher waren eiligst geflickt worden, und woher kamen plötzlich all die Lampen für die Straßenlaternen? Und obwohl der Präsident mit dem Ministerrat für nur wenige Stunden blieb, gab es 24 Stunden lang Strom, sogar Straßenbeleuchtung – wann hatte Luena das zum letzten Mal gesehen? Vor genau 10 Jahren? Und die Krönung: es kam sogar Wasser aus den Wasserhähnen! Alle hatten gedacht, die Leitungen hätten mit den Jahren ihren Geist aufgegeben, aber Nein! Wenn die Herrschenden wollen, geht es. Das ist so schamlos.
Aber nicht alles klappte: ein ganzer LKW-Konvoi mit Lebensmitteln und Leckereien anlässlich des hohen Besuchs hatte Luena erreicht. »Aber, wo sind die Sachen denn«, fragt der Präsident irritiert den Gouverneur »Liberdade«. Die Bevölkerung klärt den Präsidenten laut schreiend auf: »Mentira, mentira!« »Lüge, Lüge« – alles war konfisziert worden, gleich in eine der Lagerhallen der Großkopferten abgezweigt worden. Das Volk, pah, das zählte doch noch nie. Der Gouverneur will etwas sagen, aber die Menge brüllt ihn nieder: »Hinsetzen! Hinsetzen!«. Auch der verzweifelte Versuch, über die altbekannten sozialistischen Hau-Ruck-Parolen besänftigende Einigkeit zu stiften schlägt fehl: Anstatt »Um só povo, uma só nação« ein einzig Volk, eine einzige Nation, von Cabinda bis Cunene feierlich zu schmettern, geht die Nation in einem einzigen großen klagenden Raunen unter…. Nein, nach der Jubelparade in Malange schlug nun auch die in Luena reichlich fehl.
Aber im staatlich kontrollierten Fernsehen und Radio war davon nichts zu sehen. Wo kämen wir denn dahin? Genau das scheint sich aber die Bevölkerung endlich auch lautstark zu fragen: Wohin soll das alles noch führen? Jetzt ist Frieden. Und was haben wir davon? Nichts bislang. OK, der Marktplatz wird rehabilitiert, es werden neue Stromverteilerkästen gebaut, Telefonleitungen werden neu gelegt, ein Sanatorium am – aber das Gros der Bevölkerung hungert und im Krankenhaus gibt es weiterhin keine Medikamente. Und der Gouverneur und seine Helfershelfer sacken fleißig weiter ein – ohne dass es uns irgendwie besser ginge. Die Strasse nach Luanda ist offen, aber die Preise sind weiterhin genauso teuer wie zuvor – wo doch zuvor alles aus der Luft kam. Wer verdient sich da eine goldene Nase?!
Dem Gouverneur mit dem schönen »Kriegsnamen« aus den Zeiten des Befreiungskampfes »Liberdade, Freiheit, schwant, daß das Ende seiner Amtszeit naht. Ein paar Bauernopfer muß der Präsident nun schon lassen. »Liberdade« hat sich bereits genügend Freiheiten herausgenommen, seine Paläste in Lissabon und Luanda stehen, und er hat genügend Familienangehörige in Amt (und Würden?) plazieren können. Bei der Audienz mit dem Ersten Botschaftssekretär lügt seine Exzellenz uns schlichtweg an: rund um den Flughafen würden sie bereits entminen, bald seien die Minen da weg. Dummdreist. Anstatt die Anwesenheit eines Gebers zu nutzen, mehr Geld einzuwerben für diese ach so wichtige Aufgabe…. Nein, dieser Gouverneur hat sicherlich nicht mitbekommen, daß allein im Vormonat September 3 Menschen im Minenfeld rund um den Flugplatz Explosionen verursachten: 1 Toter, zwei Beinamputierte. Zwei Personen waren erst ganz frisch in der Stadt, sie wollten Brennholz sammeln. Eigentlich weiß ja jeder, daß dort Minen liegen. Warum warnt sie keiner? Im Gegenteil: ein Einheimischer hat das letzte Opfer anscheinend sogar zum Holzholen dahingeschickt!? Friedenszeiten, Danke. Der militärische Krieg ist vorbei. Nun folgt der Sozialkrieg. So sieht es einer der gut ausgebildeten ehemaligen Kader der Unita. Einer der strammen Unita-Anhänger. Mit Savimbi hätten sie ihren »Vater« verloren. Aber militärisch wollten sie jetzt wirklich nicht mehr kämpfen. Allerdings wollten jetzt alle von ihnen die Chance erhalten, ein normales Leben aufbauen zu können. Ein Dach, ein Feld, Saatgut und Hacke, Ausbildungsmöglichkeiten. Ein Neuanfang halt. Stattdessen sitzen allein in Chicala 1 und Chicala 2, knapp 40 km westlich von Luena, über 11000 Personen in Sammellagern und warten auf die Erfüllung der Versprechungen von Armee und Regierung. Es sollte zurück in die Heimatregionen gehen. Aber die Provinzregierung habe kein Geld aus Luanda erhalten, klärt uns der Gouverneur auf. Also kein Rücktransport. Die Wiederansiedlung sollte aber in den Heimatregionen erfolgen. Also kein Ackerbau, Abhängigkeit total, Lethargie und Apathie: das bringt ihnen der Frieden bislang. Riesige Ölfunde gebe es nun on-shore, im Binnenland von Angola. Sollten die Amerikaner den Irak angreifen, werde dort bestimmt bald investiert. Das biete eine realistische Chance für großflächige Entminungsaufträge und echtes Geld dafür, berichtet ein südafrikanischer Minenspezialist am Rande einer Konferenz über »Entminung und Entwicklung« in Johannesburg. Vielleicht hat er ja recht. Aber wem wird nutzen? Die angolanische Bevölkerung stöhnt nur noch auf, wenn wieder einmal neue Ölfunde bekanntgegeben werden. »Wo ist unsere Milliarde?« – das ist der neueste Gassenhauer. Selbst in Luena wissen es die Leute: der IWF hat es schwarz auf weiß der Regierung vorgeworfen: Ihr könnt für rund eine Milliarde des Haushaltes keine Belege vorlegen, das Geld ist »verschwunden« – immerhin rund ein Fünftel des Gesamtetats. Und dabei ist das immerhin das Geld, das offiziell seinen Weg in den Haushalt gefunden hat. Nochmals mindestens eine Milliarde pro Jahr geht an die Regierung bzw. das staatliche Ölunternehmen Sonangol aus den Öleinnahmen, aber diese Mittel finden ihren Weg erst gar nicht in den offiziellen Haushalt. Tja: »Wo sind die Milliarden, Herr dos Santos?«
Sebastian Kasack
medico & Angola: Rekonstruktion der sozialen Welt
medico international begann 1996 in der angolanischen Provinzhauptstadt Luena ein Rehabilitationszentrum für Minenopfer aufzubauen. Ein wagemutiges Projekt, in dem ein Team aus lokalen Sozialarbeitern, Prothesentechnikern und Physiotherapeuten die Bevölkerung dabei unterstützt, einen Weg ins Leben zurückzufinden. Im Team der Sozialarbeiter arbeiten Menschen, die in ihrem bisherigen Leben selbst nur den Krieg kennengelernt haben und dennoch die Kraft aufbringen, andere Menschen zu befähigen, soziale Kompetenzen zurückzuerlangen. Ohne die Hoffnung auf eine Veränderung wird kein Minen-Opfer den mühsamen Prozess, mit einer Prothese laufen zu lernen, auf sich nehmen. Die Fachleute des Projektes versorgten bereits über 1000 Menschen mit Prothesen. Allen Widrigkeiten zum Trotz ist das Projekt mittlerweile zu einem festen Bestandteil der Gemeinde von Luena geworden und wird seit 2000 eigenständig von der angolanischen Organisation CAPDC geleitet. Ergänzt durch die Alphabetisierungskurse für Frauen. 150 Frauen haben sich eingeschrieben, 114 haben an Prüfungen teilgenommen, 78 haben die Prüfung bestanden. In Luena gibt es darüber hinaus Theatervorführungen zur Minenaufklärung & Hygiene, Fußballturniere. Alle Aktivitäten dienen der Wiederherstellung des sozialen Lebens. Die dramatische Hungersnot in Angola und im Südlichen Afrika droht viele Projekte zum Erliegen zu bringen. Landwirtschafts-Projekte von medico, die besonderen Wert auf die Integration von Behinderten legen, sichern das Überleben von über 1200 Familien in Luena. Die Vergabe von Mikrokrediten an mehrere Frauen ermöglicht die Entfaltung kreativer Überlebensstrategien. Die Erfolgsbilanz: Von den 40 Frauen (darunter 13 Minenopfer), die bislang Geld erhalten haben, konnte nur eine das geliehene Geld nicht zurückzahlen. Das Spendenstichwort lautet: »Angola«.