Selten geriet ein internationales Handelsabkommen so in das Licht der Öffentlichkeit wie das “Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) von 1995.
Wesentlich trug dazu im letzten Jahr die Aufmerksamkeit um den Prozeß der internationalen Pharmaunternehmen vor dem südafrikanischen obersten Gerichtshof gegen ein bereits 1997 geplantes neues Arzneimittelgesetz bei. Dieses sah u.a. vor, Medikamente durch Parallelimporte und Zwangslizenzen billiger zu beschaffen, um die Kosten im chronisch defizitären öffentlichen Gesundheitssystem Südafrikas in Grenzen zu halten.
Dabei nutzte es der Regierung zunächst nichts, daß sie sich auf den Ausnahme-Passus bezog, der im TRIPS Artikel 27.2 fixiert worden war. Im Fall des notwendigen Schutzes der “ordre public”, der öffentlichen Ordnung, die explizit den “Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen” einbezog, sollte das Patentrecht seine Grenze finden. Auch in Artikel 8 war unter den “Prinzipien” des Abkommens, den Staaten das Recht zugestanden worden, “notwendige Maßnahmen zu ergreifen, um die öffentliche Gesundheit und Ernährung zu sichern und Artikel 31 bestimmt im Detail die Bedingungen für eine mögliche Zwangslizenz, also die Vergabe der Produktionserlaubnis an einen Produzenten im eigenen Land ohne Genehmigung des Patenthalters.
Ungeachtet dessen versuchte die internationale Pharmalobby, dieses Gesetz per Gerichtsbeschluß zu verhindern. Der Prozeß geriet den Klägern zu einem PR-Debakel, weil vor allem mit der AIDS-Epidemie in den Ländern Sub-Sahara-Afrikas die Ungleichheit des Zugangs zur Gesundheitsversorgung in der Welt mit den teuren patentgeschützten Pillen gegen den HI-Virus ein unmittelbar eingängiges Symbol gefunden hatte und eine breite Öffentlichkeit von Aktionsgruppen, Hilfsorganisationen und Medien mobilisiert werden konnte. Die Klage wurde schließlich zurückgezogen zugunsten einer gemeinsamen Vereinbarung mit der Regierung, die die Gültigkeit des TRIPS Abkommens noch einmal ausdrücklich bestätigte.
Debatten und Verhandlungen
Die Debatte um die Auswirkungen des Patentschutzabkommens auf den Zugang zu Medikamenten war zu diesem Zeitpunkt schon in vollem Gange.
Bereits 1999 forderte die Jahresversammlung der WHO ihre Mitgliedsstaaten auf, die Auswirkungen der internationalen Handelsabkommen auf die Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung kritisch zu untersuchen und den öffentlichen Gesundheitsinteressen in Fragen der Arzneimittel- und Gesundheitspolitik Priorität einzuräumen. Eine schärfere Formulierung, die die Gesundheit explizit über ökonomische Interessen stellte, wurde durch massiven Druck der westlichen Industrieländer verhindert.
Zwei Jahre zuvor hatte eine zentrale Arbeitsgruppe der WHO, das Aktionsprogramm für unentbehrliche Medikamente, ein vielbeachtetes Dokument herausgegeben, das die Auswirkungen der Globalisierung und besonders des TRIPS-Abkommens auf den Zugang zu Arzneimitteln untersuchte. Offen wurde darin kritisiert, dass die propagierte Harmonisierung des internationalen Patentschutzes die bestehende wirtschaftliche Überlegenheit der transnationalen Konzerne und der Industriestaaten noch verstärken würde.
Deutlich wurde auch, dass das TRIPS-Abkommen gezielt von den Industrie-Staaten in die Verhandlungen der WTO – und schon in ihren Vorläufer, die GATTs-Runden – aufgenommen wurde, um befürchtete Verluste “ihrer” Industrien abzuwehren. In der Tat läßt sich besonders an der Pharmazeutischen Industrie zeigen, wie sehr Patente und Patentschutz im eigentlichen Sinne “Wirtschaftsförderung” sind. Denn obwohl das Intellektuelle Eigentum seit den Internationalen Konventionen Ende des 19. Jahrhunderts von Paris (1883) und Bern (1886) als schützenswert angesehen wurde, hatten sich viele Staaten erst dann entschlossen, Patente auf pharmazeutische Produkte zuzulassen, nachdem sich ihre eigenen Industrien ausreichend entwickelt hatten – z.B. die BRD 1968, Japan 1976, die Schweiz 1977 und Italien 1978.
In den USA galt noch im 19. Jahrhundert Produktpiraterie britischer Originale als ehrenwerte Tätigkeit, die die eigene Wirtschaftsentwicklung ankurbelte . Diese Lehre zog auch Indien, das seine strengen Patentgesetze in den 70er Jahren lockerte und eine aktive Förderpolitik für seine Pharmaindustrie betrieb. Mittlerweile zählt Indien zu den führenden Medikamenten-Exporteuren der Welt und das lokale Preisniveau ist eines der niedrigsten auf der Welt. Auch in anderen sog. “Schwellenländern” konnten sich durch solche eingeschränkten Patentregelungen eigenständige Medikamentenproduktionen entwickeln (z.b. Mexico, VR China, Ägypten, Brasilien, Kuba). Gezielt setzten deshalb die großen transnationalen Unternehmen ihre Lobbyarbeit ein, um solche Konkurrenz mit Hilfe eines verschärften Patentschutzes einzudämmen. Schon während der Uruguay-Runde des GATT 1986-94 beeinflußten die us-amerikanischen Multis, zu denen an führender Stelle die pharmazeutischen Konzerne gehören, die US-Verhandlungspositionen um solche “Produktpiraterie” wirkungsvoller zu bekämpfen. Tatsächlich schrieb sich Edmund Pratt vom US-Pharmakonzern Pfizer zugute, daß “ihre gemeinsame Anstrengung den Grundstein zum TRIPS-Abkommen gelegt habe”.
Mit dem “Dispute Settlement Body” hat die WTO zudem ein wirksames Instrument, mit dem Mitgliedsländer die Praktiken und Gesetze anderer Staaten überprüfen lassen und Handelssanktionen verhängen können, um so die Einhaltung der Regeln zu erzwingen.
Nicht zufällig sind es die Entwicklungs- und Schwellenländer, deren Patentrechte von diesem “WTO-Gericht” untersucht werden – Schon bis Ende 2000 waren 23 Verfahren eröffnet worden. Erst im Sommer diesen Jahres zogen die USA eine Klage gegen Brasilien zurück, die sich gegen die lokale Produktion von AIDS-Medikamenten richtete. Solche Verfahren sind extrem kostenträchtig und erfordern hohen juristischen Sachverstand, Voraussetzungen, die ärmere Länder systematisch benachteiligen und sie schon mit der Drohung einer solchen Klage in Verhandlungen gefügig machen können.
Kurzer Text und lange Folgen
Im Zentrum des kurzen TRIPS-Abkommens steht der 20jährige Patentschutz auf Produkte und Herstellungsprozesse, die von allen Unterzeichnerstaaten garantiert werden muß – mit einigen Übergangsregelungen (ursprünglich bis 2005/2006) für die “least developped countries”.
Faktisch wird dadurch die Möglichkeit des Preiswettbewerbs durch Konkurrenzprodukte für lange Zeit verhindert. Für die meisten Entwicklungsländer, in denen der überwiegende Teil der Bevölkerung darauf angewiesen ist, Medikamente für Behandlungen “bar aus der Tasche” zu bezahlen, da die existierenden staatlichen Gesundheitsdienste meist hoffnungslos unterfinanziert sind, kann eine solche Preisentwicklung im wahrsten Sinne des Wortes tödlich enden. Die Vergleiche von Staaten, in denen eine starke lokale Medikamentenproduktion für Preiskonkurrenz sorgt mit Nachbarn, in denen überwiegend Marken-Importe den Markt beherrschen, machen diesen Effekt deutlich sichtbar. In Pakistan oder Indonesien sind die Preise für Medikamente im Vergleich zum indischen Markt 3 bis 5 fach höher. Auch in Italien stiegen die Arzneimittelpreise mit der Einführung des Patentschutzes in den 70er Jahren um 200 % . Dabei sind es nicht nur die lebensverlängernden Medikamente bei der AIDS-Erkrankung, die schnell außerhalb der Reichweite der Armen geraten, sondern auch neuere Medikamente gegen die alten Seuchen, die sich mitunter nicht mehr ausreichend mit den billigen Standartmitteln behandeln lassen – die Gonorrhoe, die bakterielle Ruhr, die multiresistenten Tuberkuloseerreger und Malariaparasiten.
Die Verteidigung des Wissens
Aber nicht allein die Preissteigerungen durch den verstärkten Patentschutz haben unmittelbare Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung in den sog. “Entwicklungsländern”.
Die ohnehin ungleiche Verteilung nicht nur der Güter der Welt, sondern auch des “Know-How” mit ihrer Konzentration auf die etablierten ökonomischen Zentren in Nordamerika, Europa und Japan – 97% der weltweiten Patente werden von den Industriestaaten gehalten und auch von den Patenten in Entwicklungsländern sind 80% im Besitz von Angehörigen der “1. Welt” – wird noch verschärft. Dies zeigt sich besonders an den Schwerpunkten der kommerziellen Forschung zur Entwicklung neuer Medikamente. Die Suche der Multinationalen Unternehmen richtet sich nach den großen Gewinnern, die maximalen Profit versprechen innerhalb der Patentzeit. Dabei orientieren sie sich an den attraktiven Märkten – jenen Märkten der Industrieländer, in denen 85% des Medikamenten-Umsatzes gemacht machen. In ganz Afrika sind es dagegen nur 1,3%, in Südostasien plus China ganze 5% – warum sollte ein neues Medikament gegen Malaria, gegen Schlafkrankheit oder Tuberkulose auf der Hitliste der big player im Pharmageschäft stehen? Tatsächlich waren zwischen 1975 und 97 von 1223 neuen Medikamenten nur 13 für Tropenkrankheiten entwickelt worden – 4 davon aus den Labors der Pharmaindustrie . Eine einzige neue Therapieoption für Tuberkulose entstand in dieser Zeit.
Attraktiver sind dagegen die Erkrankungen der Wohlhabenden – oder derjenigen, deren Krankenversicherung die Kosten übernehmen kann. Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, Depressionen und Allergien zählen zu den Zielkrankheiten; wenn zusätzlich noch ein Mittel gegen Impotenz und Haarausfall entdeckt wird, umso besser, denn die neuen Märkte sind die Grauzonen zwischen den Kranken und Noch-nicht-Kranken, zwischen ernsten Krankheiten und Befindlichkeitsstörungen, die immer mehr Menschen zum Dauergebrauch von Medikamenten verführt. Der Umsatz der drei umsatzstärksten Anti-Depressiva betrug 1999 über 6 Milliarden US$ - das war fast so viel wie im gesamten afrikanischen Kontinent für Medikamente ausgegeben wurde.
Patente und Biopiraterie
Eine dritte, scheinbar paradoxe Auswirkung des neuen Patentabkommens betrifft den Bereich des “traditionellen Wissens”, der lokalen Ressourcen an Heilpflanzen und der biologischen Vielfalt vor allem in den tropischen Regionen. Auch hier bestätigt das TRIPS-Abkommen auffällig die Interessen der großen “Life-Science”-Konzerne, die sich neue, ungeahnte Profite versprechen. Ein Schutz solchen – nicht individuell, sondern nur kollektiv denkbaren “intellektuellen Eigentums” ist nicht vorgesehen. Vielmehr wird die Grenze zwischen Erfindungen und Entdeckungen mit der expliziten Erwähnung der Patentierbarkeit von Mikro-organismen und mikrobiologischen Prozessen in einen Graubereich überführt, in dem die Biopiraterie blühen kann – immer wieder werden Fälle von versuchten oder geglückten Patentierungen zum Teil jahrhunderte lang bekannter medizinisch wirksamer Substanzen bekannt – der mexikanisch-chiapatekische Baum Tepezcohuite und die indische Gelbwurzel waren prominente Beispiele aus den vergangenen Jahren . Die Forderungen nach einer klaren Zurückweisung solchen “Diebstahls”, der strikteren Festlegung von Kriterien der “Erfindung” und Regeln, die die ursprünglichen Besitzer solchen Wissens an den Gewinnen beteiligen, sind in den letzten Jahren deutlicher vor allem von afrikanischen Staaten in die Verhandlungen um das TRIPS Abkommen betont worden.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Die Debatten um die Ausnahmeregelungen im TRIPS-Abkommen waren ein wesentlicher Ansatzpunkt der öffentlichen Kritik der WTO. Auch auf der Sitzung der WTO-Handelsminister in Quatar im vergangenen November war dies der einzige Punkt, der den hartnäckigen Verteidigern der Patentrechte, allen voran den USA, abgerungen werden konnte. Noch einmal wurde bestätigt, “(...) dass das Patentschutzabkommen der WTO (TRIPS) die Mitglieder nicht davon abhält und nicht davon abhalten sollte, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen”. Wie immer steckt auch hier der Teufel im Detail – so ist eines der wesentlichen Instrumente, diese Maßnahmen in Bezug auf Arzneimittel umzusetzen, die schon erwähnten Zwangslizensierungen, nur für Länder mit existierender Pharmaindustrie nutzbar, ob die Medikamente, die unter solchen Zwangslizenzen produziert wurden, auch in Dritte Länder exportiert werden dürfen, soll der TRIPS-Rat erst noch klären; die vielversprochenen AIDS-Medikamente aus Indien nützen sonst den Kranken in Uganda oder Zambia nichts.
Dass angesichts der befürchteten Milzbrand-Seuche in den USA im letzten Herbst die Überlegungen zum Zwangslizensierung des-patentierten Antibiotikums Ciprofloxacin mit Verweis auf den “gesundheitlichen Notstand” schneller bei der Hand waren, als man es von der treuen Verbündeten der Pharmamultis erwartet hätte, macht noch einmal deutlich, dass auch die Ausnahmeregeln nicht für alle gleich gelten.
So wichtig es also ist, solche Ausnahmeregeln zu verteidigen und die Spielräume zu erweitern, die in dem Abkommen angelegt sind, so notwendig bleibt es doch, den grundsätzlichen Charakter der Patentregelungen nicht aus den Augen zu verlieren: In ihrer Wirkung dienen sie zur Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse, verteidigen die enorme Kluft des technologischen Wissens und Erfahrungen und sichern entsprechend die Profite aus diesem Wissen. Sie gehören damit zu den altbekannten “terms of trade”, die die Abhängigkeiten der ehemaligen Kolonien zementierten und fast jede Perspektive auf eine eigenständige Entwicklung verunmöglichten. In diesem Sinne sollte sich ein kritische Öffentlichkeit weniger um die Verbesserung des TRIPS-Abkommens, als um eine radikalere Kritik und – so utopisch das unter den gegenwärtigen Verhältnissen auch erscheint - seine Abschaffung bemühen.