Auf der Grenze

Kurdistan in Syrien: Die medico-Nothilfe erreicht ihr Ziel

09.04.2014   Lesezeit: 3 min

Der Krieg scheint wie ein Ereignis auf einer fernen Galaxie: Die Sonne scheint, Polizisten sitzen im Schatten und trinken Tee, ein kleiner Junge läuft zwischen den rostigen Grenztoren hin und her, nur 50 Meter weiter, auf der syrischen Seite, picknicken auf der grünen Wiese Familien im ehemaligen Minengürtel entlang der Gleise der alten Bagdad-Bahn, die die türkisch-syrische Staatsgrenze markiert. Es ist der 21. März, der Tag des traditionellen kurdischen Frühlingsfestes Newroz.

Ein vollgepackter offener LKW mit Medikamenten erreicht den kleinen Transitbereich zwischen der türkischen Kleinstadt Soruc und der Nachbargemeinde Kobanê in Syrien. Von der syrischen Seite fährt ebenfalls ein LKW heran, im Niemandsland zwischen beiden Toren werden die Pakete umgepackt.

Wir stehen daneben und sind erleichtert, dass es wieder klappt: Die Medikamenten-Hilfe von medico für die kurdischen Gebiete in Syrien hat die Grenze genommen. Von der syrischen Seite kommen drei Ärzte in den Transitbereich. Sie sind Abgesandte der Ärztekammer von Kobanê und quittieren den Erhalt der Medikamente. Und diese werden dringend gebraucht. Denn die Friedlichkeit der Szenerie täuscht. Nichts ist entspannt in der kurdischen Grenzstadt Kobanê in Syrien und auch die anwesenden türkischen Geheimpolizisten achten sehr darauf, dass wir keinen Fuß auf syrischen Boden setzen. Wir sind in Kurdistan und die Türkei toleriert bestenfalls gezwungenermaßen, dass die Kurden in Syrien begonnen haben selbstbewusst ihre Stimme zu erheben und auf ihrem Recht zu beharren. Der Distrikt Kobanê ist einer der drei kurdischen Kantone, die sich im Zuge des syrischen Bürgerkriegs begonnen haben selbst zu verwalten.

Hier siedeln auch Armenier, deren Vorfahren dem Genozid durch die Türkei entkommen konnten, ebenso wie Glaubensgemeinschaften yezidischer, assyrischer, orthodox-christlicher und tscherkessischer Syrer. Und diese Selbstverwaltung liegt nun unter Feuer – im wortwörtlichen Sinne, denn radikalreligiöse Terrorgruppen haben begonnen die Stadt und die Region anzugreifen. Für sie sind die Kurden lediglich „Nichtaraber“ und die geistlichen Feldmullahs der Dschihadisten haben Fatwas erlassen, die die Vergewaltigung von kurdischen Frauen ausdrücklich gutheißen. Der Kanton Kobanê zählt mittlerweile 700.000 Einwohner, dreimal so viele wie vor dem Krieg. Die Flüchtlinge kommen aus Aleppo, aus Raqqa oder Deir el-Zor, von überall, wo sie nicht mehr sicher sind, sei es aus Furcht vor der syrischen Armee, sei es aus fast noch größerer Angst vor der Grausamkeit der islamistischen Milizen. In Kobanê gibt es kaum noch Arzneimittel, es gibt keinen Strom, kein Benzin, es gibt kein Mehl und auch frisches Gemüse ist Mangelware.

Solidarische Nothilfe von unten

Das alles wissen die Kurden und Kurdinnen in der Türkei. Und sie handeln. Seit Monaten schon und ohne jede Unterstützung durch die großen internationalen Hilfswerke oder die westliche Wertegemeinschaft. Die kurdische Zivilgesellschaft ist es, die die Hilfe für die kurdische Bevölkerung auf der syrischen Seite überhaupt ermöglicht. Ohne die Apotheker, die im nahen Diyarbakir in Nachtschichten Medikamente wie die medico-Hilfe sortieren, sie auflisten und verpacken, ohne das kurdisch regierte Rathaus von Soruc, in dem die Stadtangestellten unentwegt am Telefon versuchen Genehmigungen einzuholen, sich mit den Ärzten auf der syrischen Seite koordinieren und dabei noch die Grenzpolizei umschmeicheln müssen, damit die Passage hinüber auch wirklich offen bleibt, würde sich nichts bewegen.

Der LKW von medico ist die dritte Lieferung von Medikamenten ins kurdische Syrien. Bislang konnten wir mit Spendenmitteln allein hier für gut 100.000 Euro helfen. Ein Anfang, der aber viel zu wenig ist. Daher haben wir uns zusammen mit der kurdischen Diaspora in Europa zu einem Hilfsappell (siehe medico aktiv) für das syrische Kurdistan entschlossen. Wir wollen nicht warten, bis die Türkei ihre Kurdenpolitik tatsächlich ändert oder auch europäische Regierungen die kurdische Selbstverwaltung honorieren.

Syrien bleibt die große Tragödie des noch jungen Jahrhunderts. Der Bürgerkrieg geht in sein viertes Jahr und selbst sehr zurückhaltende Schätzungen gehen davon aus, dass seit Beginn des ursprünglich demokratischen Aufbegehrens im Durchschnitt 150 Menschen getötet wurden – jeden Tag. medico wird die Nothilfe fortsetzen. In den kurdischen Gebieten Syriens, aber auch in Damaskus und seinem Umland, wo der Krieg besonders unerbittlich ist. Helfen Sie mit.


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