Interview

Der Geruch von Kolonialismus

01.11.2024   Lesezeit: 7 min

In Namibia verfolgt Deutschland eines seiner ambitioniertesten Wasserstoffprojekte. Doch die grüne Energietransformation vollzieht sich nicht zu Gunsten der lokalen Bevölkerung.

Die medico Partner des Economic and Social Justice Trust (ESJT) kritisieren Charakter und Rahmenbedingungen des Megaprojektes der Firma Hyphen. Ihre Beweggründe haben Breschneff Katjito, Claudius Riruako, Nafimane Hamukoshi and Tjipura Tjirpura vom ESJT mit uns geteilt.
 

medico: Nach den ersten Recherchen zu den neuen grünen Wasserstoffprojekten in Namibia hat der ESJT im November letzten Jahres gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren einen öffentlichen Brief an den namibischen Präsidenten Hage Geingob geschickt, in dem sie Ihre Bedenken bezüglich des Hyphen-Projekts äußern. Worin bestehen diese Bedenken?

Nafimane: Das Hyphen-Projekt wirft viele Fragen und Ungewissheiten auf. Unser Brief sollte nicht das grüne Wasserstoffprojekt an sich verurteilen. Wir sind für den Ausbau erneuerbarer Energien. Aber das sollte auf eine gerechte Art und Weise geschehen.

Im Frühjahr 2023 kam der im Februar 2024 verstorbene Präsident Hage Geingob von einer Geschäftsreise aus Deutschland zurück und sagte, der Vertrag mit Hyphen sei unterzeichnet. Und dass es darüber "keine weiteren Diskussionen" geben würde. Als Reaktion darauf haben wir diesen Brief geschrieben. Geingob hätte die Verhandlungen auf Eis legen und die Regierung dazu bringen sollen, die Auswirkungen des Projekts auf einer öffentlichen Plattform und nicht hinter verschlossenen Türen zu diskutieren.

Intransparenz und Geheimhaltung rund um das Projekt setzen sich seitdem fort. Obwohl uns anfangs versprochen wurde, dass die Planung für alle zugänglich sein sollte, kamen die Delegationen von Hyphen nach Namibia, ohne auch mit nur einer einzigen zivilgesellschaftlichen Organisation zu sprechen.

Breschneff: Dazu kommt, dass die Gesellschaft nicht wirklich aufgeklärt wird. Es ist unklar, wie viele Arbeitsplätze eigentlich wirklich für Namibier:innen geschaffen werden. Wie viel Wasserstoff soll produziert werden? Wie groß wird der ökologische Fußabdruck sein? Gleichzeitig sollte die Zivilgesellschaft unbedingt in die Ausarbeitung des rechtlichen Rahmens zur Erleichterung grüner Wasserstoffprojekte einbezogen werden.

Wir als zivilgesellschaftliche Organisation haben deswegen unsere Stimmen erhoben und klar gemacht, dass wir eingebunden werden wollen. Unternehmen und Staaten können nicht einfach Entscheidungen treffen, ohne unsere Gesellschaft und ihre Bedürfnisse einzubeziehen. Dafür stehen wir.

Worin bestehen eure Forderungen genau?

Brechneff: Wir verlangen, dass die Regierung das Hyphen-Abkommen mit der Industrie des Globalen Nordens überdenkt und zukünftig davon absehen soll, bindende Handelsabkommen im Zusammenhang mit der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Namibia zu kritischen Rohstoff-Wertschöpfungsketten und erneuerbarem Wasserstoff zu unterzeichnen. Es ist unerlässlich, dass sie die Öffentlichkeit über alle laufenden grünen Wasserstoffprojekte konsultiert und informiert.

Grüner Wasserstoff ist so neu, dass niemand einschätzen kann, welche Auswirkungen diese neue Technologie der Energiegewinnung zum Beispiel auf unsere Biodiversität haben wird. Obwohl wir bereits in der Vergangenheit verheerende Erfahrungen mit Extraktivismus von Mineralien gemacht haben, wurde keine wirtschaftliche, ökologische oder soziale Folgenabschätzung des jetzigen Wasserstoffprojekts durchgeführt, bevor der Vertrag mit Hyphen unterzeichnet wurde. Wir fordern, aus der Geschichte zu lernen und sich mehr Zeit zu nehmen, um diese Aspekte zu berücksichtigen.

Was könnten mögliche Folgen von grünen Wasserstoffprojekten für Namibia sein?

Claudius: Das können wir bisher nur unzureichend beantworten. Die Produktion von grünem Wasserstoff wird viel Wasser benötigen. Wir sind aber in Namibia von Dürre betroffen. In einem Gespräch mit der deutschen Seite des Projekts, beteuerten sie, die Ozeane nutzen zu wollen und das Wasser zu entsalzen. Aber dann gibt es wieder Fragen, wie es um unsere Fischereiindustrie bestellt ist, die Namibia mit Nahrung versorgt und ein großer Wirtschaftssektor ist. Wird diese noch fischen können?

Eine andere Folge könnte ein Einbruch unserer Wirtschaft sein. Tourismus ist einer der größten Wirtschaftssektoren von dem wir in Namibia leben. Wenn wir unsere Biodiversität wegen dieser Großprojekte verlieren, hätte das gravierende Auswirkungen, da der Tourismus erheblich an Attraktivität verlieren würde. Weniger Tourist:innen führen unter anderem zu geringeren Einnahmen und Arbeitsplatzverlusten. Versprochen wurde uns, dass der grüne Wasserstoff Arbeitsplätze schaffen würde. Dafür haben wir aber keine Garantien, und aus schlechten Erfahrungen in anderen Sektoren glauben wir inzwischen nicht mehr wirklich daran.

Ist der möglicherweise verursachte Schaden das grüne Wasserstoffprojekt also wert? Und was haben uns als Bevölkerung diese Projekte tatsächlich zu bieten? Solche Fragen und Probleme müssen öffentlich diskutiert werden.

Welche schlechten Erfahrungen werden bei euch denn konkret in Erinnerung gerufen?

Tjipura: Namibia ist einer der größten Diamantenförderer der Welt. Mit der Diamantindustrie erleben wir jedoch, dass die Rohstoffe zwar in Namibia abgebaut werden, aber die Weiterverarbeitung, wie das Schleifen ausgelagert ist. Das führt dazu, dass wir das Endprodukt zu einem dreimal höheren Preis zurückkaufen müssen, als wir es exportiert haben. Wir profitieren nicht von dieser Lieferkette, weil wir keine Verarbeitungsindustrie haben. Viele befürchten, dass die grüne Wasserstoffindustrie ähnlich funktionieren wird. Für uns riecht dieses Projekt nach Neo-Kolonialismus.

Könnt ihr das noch mal genauer ausführen?

Claudius: Die Sorge des Neo-Kolonialismus fängt bereits bei den Besitzverhältnissen an. Hyphen ist ein Joint Venture der Anteilseigner ENERTRAG SE aus Deutschland und der Nicolas Holdings Limited aus Großbritannien, wobei der namibische Staat Zugriff auf maximal 24 Prozent der Anteile besitzt. Der Gewinn würde somit vor allem in den Globalen Norden fließen.

Die Produktionsweise und der mögliche Nutzen für Namibia stehen auch in der Kritik. So werden Sonnen- und Windenergieanlagen gebaut, welche allein Hyphen mit Strom versorgen sollen – obwohl Namibia selbst ein Energieproblem hat und 60 Prozent seines Stroms aus Südafrika importiert. Es wird Wasser entsalzen, was allein zur Spaltung in grünen Wasserstoff genutzt werden soll – obwohl Namibia an Wasserknappheit leidet. Es wird grüner Wasserstoff hergestellt, der nur für den Export in den Westen bestimmt ist – obwohl ein großer Teil auf der Überfahrt verloren geht. Darüber hinaus wird der Wasserstoff auf fossilen Tankern transportiert, obwohl er für Staaten wie Deutschland zur Energiewende dienen soll.

Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck behauptet, er wolle keinen Wasserstoff-Imperialismus...

Nafimane: Habecks deutsche Delegation kam zu uns und fragte: "Wisst ihr eigentlich, dass die Zukunft schon hier ist und ihr sie nur ergreifen müsst? Wenn ihr diese Gelegenheit nicht nutzt, läuft euch die Zeit davon, denn die Zukunft ist schon hier, sie schaut euch an." Ich möchte, dass mein Land frei von Armut ist, aber bis jetzt bieten sie nichts an, was die Menschen hier unterstützen kann.

Tjipura: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vergibt zwar Stipendien. Die sind für die Gemeinschaften jedoch nutzlos, da die Menschen den formalen Anforderungen nicht entsprechen und zu deren Erreichen auch nicht qualifiziert werden. Das macht deutlich; selbst wenn Angebote auf Papier stehen, haben Menschen vor Ort nicht unbedingt etwas von ihnen. Das bringt uns zu einem anderen Aspekt, nämlich den Arbeitsbedingungen: Wie wird sichergestellt, dass die namibischen Arbeiter:innen nicht unter gefährlichen Bedingungen arbeiten und unterbezahlt werden? Das ist eine der Fragen, die sie völlig versäumen zu beantworten.

Claudius: Deshalb kämpfen wir als ESJT für Gerechtigkeit und Gleichheit zwischen den Partner:innen in einem solchen Projekt.

Eure akribische Recherche klingt fast wie investigativer Journalismus. Wie arbeitet ihr?

Breschneff: Wenn ein sozialer Mythos in der öffentlichen Debatte auftaucht, gehen wir diesem auf den Grund und decken ihn auf. Deswegen untersuchen wir das Thema des grünen Wasserstoffs und setzen die Einflussfaktoren in Beziehung zu verschiedenen sozialen, ökonomischen und ökologischen Maßstäben. Der Klimawandel ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, und grüner Wasserstoff ist nicht für jeden grün.

Nafimane: Unser Konzept ist: Each one teach one! Wir müssen das Geflecht aus Verfassung, staatlichen Rahmenbedingungen und Politik verstehen um sie zu verändern. Um Verantwortlichkeit zu adressieren, müssen wir wissen, welche Unternehmen hier registriert sind und wie die Erträge aus den Projekten aufgeteilt werden. Am Ende lehren und praktizieren wir soziale Gerechtigkeit.

Das Interview führte Julia Manek. Übersetzung von Tim Thiessen.


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