LNG-Ausbau

Teurer Freundschaftsdienst?

08.12.2024   Lesezeit: 9 min  
#europa  #klimagerechtigkeit 

Deutschland baut seine Flüssiggas-Kapazitäten drastisch aus. Für wen eigentlich?

Von Kathrin Hartmann

Hinter dem Strand am Golf von Mexiko wachsen die Wetlands tief in das Land hinein. „Holly Beach“ nennt sich der Küstenabschnitt in Südwest-Louisiana an der Grenze zu Texas. Einheimische nennen die Gegend Cajun Riviera. Es könnte idyllisch sein, hier im Cameron Parish, doch aus dem Marschland erheben sich zwei riesige Betontanks. Davor, im Calcasieu Ship Chanel, liegt ein Tanker mit der Aufschrift „Clean Energy“. In nur 29 Monaten hat die Firma Venture Global hier das Export-Terminal Calcasieu Pass LNG gebaut. Die Abkürzung steht für Liquified Natural Gas. Dieses verflüssigte Erdgas ist 600-fach komprimiert und lässt sich daher transportieren. Doch in der Anlage Calcasieu Pass gibt es vom ersten Tag an Betriebsprobleme. Allein zwischen Januar und Mai 2022 wird deshalb an 91 Tagen Gas abgefackelt. Dieses so genannte Flaring setzt nicht nur CO2 frei, sondern auch Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid sowie krebserregendes Benzol und Formaldehyd. Darüber hinaus wird LNG in den USA aus Fracking-Gas hergestellt, der schädlichsten Art der Energiegewinnung.

Mehr als zwei Dutzend LNG-Terminals sollen in den USA erweitert oder neu gebaut werden. Vor allem an der Golfküste, von wo sich das LNG gut in die Welt verschiffen lässt. Aber schon heute reihen sich an der Küste Öl-Raffinieren und petrochemische Anlagen aneinander und belasten Luft und Klima. Die Krebsraten sind überdurchschnittlich hoch und die Menschen leiden an Atemwegs-, Nieren- und Herzkrankheiten, besonders Arme und People auf Color, die in der Nähe der Werke leben. Die LNG-Terminals verschärfen diese Probleme noch. Würden alle beantragten Projekte in den USA umgesetzt, wären außerdem Feuchtgebiete auf einer Fläche größer als der Chiemsee bedroht. Dabei sind sie der wichtigste Schutz vor Hochwasser: die Küste Louisianas erodiert, der Meeresspiegel steigt und Hurrikans werden mehr und heftiger. Zusammen würden die LNG-Anlagen 3,9 Milliarden Tonnen Treibhausgas ausstoßen, warnten im Dezember 2023 170 Wissenschaftler:innen Präsident Joe Biden in einem Brandbrief. Das entspräche dem Treibhausgasausstoß der gesamten Europäischen Union. Die wiederum hat verstärktes Interesse am Import von LNG.

Zwar verkündete Biden im Januar 2024, die Genehmigung neuer LNG-Exportterminals auszusetzen und deren Auswirkungen auf die Klimakrise sowie auf Wirtschaft und nationale Sicherheit untersuchen zu lassen. Doch Donald Trump kündigte postwendend an, das Moratorium wieder aufheben zu wollen. Diese Ankündigung fällt jenseits des Atlantiks auf fruchtbaren Boden. „Wir bekommen immer noch viel LNG aus Russland, warum also nicht stattdessen amerikanisches LNG einsetzen, das günstiger ist und unsere Energiepreise senkt“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nachdem Trump kurz nach seiner Wiederwahl Strafzölle für europäische Produkte angekündigt hatte. Für einen LNG-Deal könnte er diese, so die Hoffnung, vielleicht fallen lassen. Geopolitische Interessen stehen beim Import von LNG, das noch klimaschädlicher ist, als Kohle und Erdgas zu verbrennen, im Vordergrund. Das Narrativ, das die Importterminals vor den deutschen Küsten in Stade, Brunsbüttel, Wilhelmshaven und auf Rügen legitimieren soll, lautete bisher : die Versorgungssicherheit in Deutschlands nach dem russischen Angriffskrieg sowie die sogenannte „Gasmangellage“.

Am 5. Mai 2022 ließ sich Robert Habeck bei einer Bootstour an der Küste bei Wilhelmshaven von Journalist:innen begleiten. Hier, am Voslapper Groden, wird das erste schwimmende Terminal entstehen. Um die Anlagen so schnell wie möglich zu bauen, brachte die Bundesregierung das LNG-Beschleunigungsgesetz auf den Weg. Es setzt Umweltverträglichkeitsprüfungen aus und reduziert zivilgesellschaftliche Beteiligung auf ein Minimum. „Wir haben eine gute Chance, das zu schaffen, was eigentlich in Deutschland unmöglich ist: innerhalb von etwa zehn Monaten ein LNG-Terminal zu errichten und es anzuschließen an die deutsche Gasversorgung», sagte Habeck in Kameras und Mikrofone. Doch die Bundesregierung legte keinerlei Daten vor, die belegen, dass LNG-Terminals tatsächlich für die deutsche Energieversorgung notwendig sind.

Laut LNG-Beschleunigungsgesetz sollen in Deutschland elf LNG-Terminals gebaut und bis 2043 mit fossilem Flüssigerdgas betrieben werden. Um das zu rechtfertigen, wirft Robert Habeck grüne Nebelkerzen: LNG-Terminals seien „wasserstoffready“. Sie wären nur eine „Brücke“ in die Wasserstoffwirtschaft. Doch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung weist nach, dass die sogenannten Floating Storage and Regasification Units (FRSU) überhaupt nicht und feste Anlagen an Land nur sehr kostspielig und mit hohem Aufwand umgerüstet werden können. Die Deutsche Umwelthilfe hat im Mai 2022 vorgerechnet, dass der Betrieb der sieben damals wahrscheinlichsten LNG-Projekte über ihre Laufzeit insgesamt 2130 Millionen Tonnen CO2 verursachen und damit drei Viertel des Restbudgets aufzehren würden, das Deutschland bleibt, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Fossiler Lock-In statt Klimaschutz.

Im Dezember 2023 legte im Voslapper Groden das 300 Meter lange und 48 Meter breite Regasifizierungsschiff Höegh Esperanza an, das die Bunderegierung als erste FSRU gechartert hat. Die schwimmende Einheit wandelt von Tankern angeliefertes Flüssigerdgas wieder in Gas um, das in Netze eingespeist werden kann. Die erste Ladung LNG, die auf der Höegh Esperanza ankam, stammte aus dem eingangs erwähnten Pannenterminal Calcasieu Pass LNG. Direkt neben diesem Terminal in Louisiana will das Unternehmen Venture Global ein zweites Terminal und eine neue Pipeline dorthin zu bauen: CP2 LNG und CP Express. Es wäre das größte Exportterminal der USA und würde so viel Treibhausgase ausstoßen wie 32 Kohlekraftwerke zusammen. Der deutsche Energiekonzern EnBW und das deutsche Staatsunternehmen SEFE („Securing Energy for Europe“ ehedem Gazprom Germania GmbH) haben bereits Verträge mit Venture Global und ein entsprechend großes Interesse daran, dass CP2 LNG gebaut wird. Das Energieunternehmen Uniper, ebenfalls in Hand des deutschen Staates, freut sich auf der Homepage über seine Partnerschaft mit Venture Global und Calcasieu Pass LNG.

Schon bevor die Höegh Esperanza in Wilhelmshaven den Betrieb aufnahm, war klar, dass die Bundesregierung LNG-Überkapazitäten plant. Das belegen gleich mehrere Studien, darunter eine von Claudia Kemfert und Christian von Hirschhausen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Selbst das Bundeswirtschaftsministerium geht von deutlich weniger Bedarf aus als die geplanten Anlagen hergeben werden. Die Bundesregierung hat zwischen 2022 und 2038 zehn Milliarden Euro für ihre Flüssigerdgas-Pläne vorgesehen. Aber die viel behauptete Dringlichkeit hat es nie gegeben, eine „Gasmangellage“ war und ist nicht wahrscheinlich. Im Frühjahr 2024 erklärte Robert Habeck, dass die Energiekrise zu Ende und „abgearbeitet“ sei, die Gasspeicher seien gut gefüllt. Zur Bewältigung der Krise hat die LNG-Infrastruktur am wenigsten beigetragen. Laut den Daten der Bundesnetzagentur zur Gasversorgung 2023 betrug der Anteil von LNG nur sieben Prozent. Dennoch will die Bundesregierung die Importkapazitäten verdoppeln.

Was also steckt tatsächlich hinter dem LNG-Boom?

«Fakt ist aber, dass Deutschland als Übergang noch Gas braucht. Vor allem für die industriellen Prozesse», schrieb das Bundeswirtschaftsministerium auf Nachfrage im März 2024. Dabei geht es insbesondere um die chemischen Industrie. Im Jahr 2020 verbrauchte diese insgesamt 383 Milliarden Kilowattstunden an Energie und Rohstoffen aus Öl und Gas, hat der BUND Naturschutz in seiner Studie «Blackbox Chemieindustrie» herausgefunden. Danach sind die 750 Chemieunternehmen hierzulande für ein Viertel des Energieverbrauchs der deutschen Industrie verantwortlich. Sie vernutzen allein so viel Gas wie 38 Prozent der Privathaushalte. Das größte Interesse am Import von Flüssigerdgas hat also die chemische Industrie: Sie braucht die großen Mengen Erdgas nicht allein als Energieträger, sondern auch als Grundstoff, etwa für die Produktion von Ammoniak für Dünger.

Feste LNG-Import-Terminals in Brunsbüttel, Stade und Wilhelmshaven waren schon viele Jahre vor der Energiekrise geplant, aber die Investitionen haben sich nicht rentiert. In Wilhelmshaven etwa wurde ein LNG-Terminal bereits in den 1970er-Jahren diskutiert. 2008 wollte der Energieriese Eon die Pläne konkretisieren, gab sie kurz darauf aber wieder auf. 2020 verwarf auch Uniper seine geplanten Investitionen, weil die Marktnachfrage zu gering war. 2018 unterzeichneten in Stade die LNG Stade GmbH (seit 2019 Hanseatic Energy Hub GmbH) und die Dow Deutschland GmbH eine Kooperationsvereinbarung zum Bau eines LNG-Terminals. Die Beteiligung von Dow Chemical kam nicht von ungefähr: Deren Werk in Stade verbrauchte allein ein Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs. Doch 2021 sprang ein Kooperationspartner der Hanseatic Energy Hub GmbH ab. Die kanadische Firma GNL Quebec, die dafür das verflüssigte Fracking-Gas aus Kanada liefern sollte, konnte die Vereinbarung nicht einhalten: Nach heftigem Widerstand der Menschen vor Ort verweigerte die Provinzregierung in Quebec aus Umwelt- und Klimaschutzgründen die Genehmigung für die Gasförderung. Stattdessen haben der deutsche Energiekonzern EnBW und das staatliche Unternehmen SEFE Verträge mit der Projektgesellschaft Hanseatic Energy Hub geschlossen, die die Terminals in Stade betreibt. SEFE will über Stade von 2027 an mindestens vier Milliarden Kubikmeter Flüssigerdgas importieren, EnBW sechs Milliarden. Im Dezember 2023 ersuchten SEFE und EnBW die US-amerikanische Zulassungsbehörde darum, «der endgültigen Genehmigung von CP2 LNG und der CP Express Pipeline größte Bedeutung und Dringlichkeit beizumessen», und behaupten, dass CP2-LNG-Lieferungen erforderlich seien, um zur «Stabilität der deutschen Energieversorgung» beizutragen.

Das Wirtschaftsministerium in Schleswig-Holstein ließ schon 2015 die Hafenbetreibergesellschaft Brunsbüttel Ports eine Bedarfsanalyse für ein LNG-Terminal in Brunsbüttel erstellen. Nutznießer sollte der dort ansässige Chemiepark Chem Coast sein. Dort sitzt der norwegische Düngemittel- und Chemiekonzern Yara, der, wie Dow in Stade, ebenfalls ein Prozent des Stroms in Deutschland verbraucht und damals zu Protokoll gab, dass ein Flüssigerdgasterminal für ihn von «zentraler Bedeutung» sei. 2019 unterzeichnete die Stadt Brunsbüttel einen Vertrag mit dem Investor German LNG. Der Bund beteiligte sich über die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau mit 50 Prozent an dem Projekt.

Auch die geopolitischen Erwägungen im Zusammenhang mit dem Import von Flüssigerdgas sind nicht neu: bereits 2018 drohte US-Präsident Donald Trump Strafzölle für die europäische Stahl- und Autoindustrie an. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schloss daraufhin mit Trump einen Deal, der im Gegenzug für die Rücknahme der Zölle LNG-Exporte in großem Stil aus den USA nach Europa ermöglichte.

Nach dem Trump-Junker-Deal stiegen die LNG-Importe in die EU um sagenhafte 2418 Prozent. Auch die Bundesregierung möchte der USA Freundschaftsdienste erweisen. Die Deutsche Umwelthilfe gelangte in den Besitz eines geheim gehaltenen Regierungsdokuments, aus dem hervorgeht, dass Olaf Scholz 2020 als Bundesfinanzminister der US-Regierung angeboten hatte, in Wilhelmshaven und Brunsbüttel für eine Milliarde Euro Steuergeld LNG-Terminals für den Import von US-amerikanischem Flüssigerdgas zu bauen, wenn die USA im Gegenzug die Sanktionen gegen den Weiterbau und Betrieb der umstrittenen Gaspipeline Nordstream II fallen lassen. «Der Vorwurf, wir hätten eine Milliarde Steuergeld ausgegeben, um Terminals für amerikanisches Gas zu bauen, entbehrt jeder Grundlage und ist entschieden zurückzuweisen», schreibt das Bundeswirtschaftsministerium in der Sache. Fakt ist jedoch: Die Bundesregierung stellt nun den zehnfachen Betrag für den Bau der LNG-Infrastruktur zur Verfügung. Mindestens.

Am 8. Dezember spricht Kathrin Hartmann auf dem medico Workshop auf dem Gegen-Gas-Gipfel in Berlin.

Kathrin Hartmann

Kathrin Hartmann arbeitet als freie Autorin in München. Sie schreibt zu Umweltfragen und zur Klimakatastrophe. 2023 hat sie Texas und Louisiana sowie Wilhelmshaven, Stade und Rügen besucht und dort für ihr Buch „Öl ins Feuer. Wie eine verfehlte Klimapolitik die globale Krise vorantreibt“ (Rowohlt Verlag) recherchiert. 


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