Handelspolitik

Der Praxistest

05.03.2019   Lesezeit: 4 min

Warum die Verpflichtung deutscher Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte zu kurz greift und wie Europa die Chancen Afrikas auf Veränderung verhindert. Von Anne Jung

Unternehmen sollen verpflichtet werden, Menschenrechte in ihren Wertschöpfungsketten zu achten. Das plant ein Gesetzesentwurf für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten von Wirtschaftsunternehmen, den Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vor ein paar Tagen vorgelegt hat: „Unternehmen müssen genau hinschauen, wie sie ihre Produkte herstellen. Viele sind hier Vorreiter und engagieren sich in freiwilligen Initiativen. Ein Gesetz würde alle großen Unternehmen in die Pflicht nehmen. Das würde die Vorreiter absichern und Rechtssicherheit schaffen“, so Minister Müller. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schloss sich an: „Wir tragen als Konsumenten, aber auch als Politik und Wirtschaft Verantwortung für Arbeitsbedingungen weltweit. Und wir erleben, dass Menschen ausgebeutet werden. In den Lieferketten für Produkte, die wir in Deutschland in Anspruch nehmen. Das muss sich ändern.“

Da reibt man sich doch verwundert die Augen. Das Wort „verpflichtend“ war seit Beginn des neoliberalen Umbaus des Kapitalismus, der auch das Zeitalter der „freiwilligen Selbstverpflichtung“ eingeläutet hat, ein Fremdwort, ein Tabu. Woher kommt dieser Sinneswandel und was ist davon zu halten?

Tödliche Folgen einer sich selbst regulierenden Wirtschaft

Minister Müller ärgert sich seit Jahren im Textilbündnis mit Unternehmen herum, die auch nach dem Zusammensturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit mehr als 1100 Toten nicht bereit sind, sich auf verbindliche Regeln in der Textilindustrie einzulassen. Sie beharren auf der Freiwilligkeit ihrer Maßnahmen zum Schutz der Arbeiter_innen. Doch Rana Plaza war einfach zu groß, zu grauenhaft in seinen Ausmaßen, um die tödlichen Folgen einer sich selbst regulierenden Wirtschaft weiter zu ignorieren.

Dass der Gesetzesentwurf so durchgeht, wie ihn Minister Müller vorschlägt, kann getrost bezweifelt werden. Es ist fast sicher davon auszugehen, dass die Verfechter_innen einer hemmungslosen Wirtschaft alles dafür tun werden, das Gesetz zu verhindern oder mindestens zu verwässern. Volker Treier, Vize-Chef beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, verkündete bereits Mitte Februar vollmundig, das Gesetz sei „vom Tisch“. Zu diesem Zeitpunkt war der Entwurf noch nicht einmal veröffentlicht.

Schaut man sich an, wie effektiv Wirtschaftsverbände seit Jahren die immer wieder aufkeimenden Bemühungen für eine Regulierung torpedieren, ist weiterhin kräftiger Gegenwind zu erwarten. Nicht nur von der Industrie, ganz sicher auch aus den Reihen der Bundesregierung selbst – der starken Wirtschaftslobby sei Dank.

Europa will den ungehinderten Zugriff auf Rohstoffe in Afrika

Da ist aber noch ein Problem: Es wäre ein Trugschluss zu meinen, ein Gesetz für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten würde die ungleichen Handelsbeziehungen – mithin die größte Hürde beim Kampf für mehr Gerechtigkeit in der Welt – gleich mit aufheben. Bei einem Fachgespräch der CDU/CSU-Fraktion Mitte Februar unter dem Titel „Wirtschaftswachstum in Afrika – Neue Wege in der Entwicklungszusammenarbeit“ wurde klargestellt, was die deutschen Interessen hier sind: Von einer „Ressourcenpartnerschaft“ war die Rede, die faktisch nichts anderes will, als den ungehinderten Zugriff auf die strategischen Rohstoffe abzusichern, darunter Bauxit, Kobalt, Kupfer und Coltan. Mit einer „Reformpartnerschaft“ sollen die öffentlichen Ausgaben afrikanischer Länder reduziert, der Abbau von Schutzzöllen erzwungen und staatliche Firmen privatisiert werden, um deutsche Investitionen zu erleichtern.

Bei der Veranstaltung war im Übrigen erstaunlich zu hören, wie sehr die Abhängigkeit Afrikas von Deutschlands Investitionen betont wurde, um die viel größere Abhängigkeit Deutschlands von Afrikas Rohstoffen zu verschleiern.

Das Geschäftsgebaren transnationaler Unternehmen in den Rohstoffindustrien verursacht seit hundert Jahren massive politische, soziale und ökologische Probleme. Die Extraktionsökonomien führen zwar zu Wirtschaftswachstum und zur Verbesserung des Lebens von Wenigen, haben aber so wie sie ausgestaltet werden überhaupt kein Potential, die afrikanischen Länder unabhängig zu machen von Weltmarktpreisen oder auch nur dem Leben der Bevölkerungsmehrheit zugute zu kommen.

Europas Abhängigkeit ist Afrikas Chance

Der Schutz der Menschenrechte entlang der Lieferketten muss gesichert werden, dazu kann der Gesetzesvorschlag ein erster Schritt sein. Perspektivisch ist dies allerdings nur global denkbar, so wie es im UN-Prozess um einen Binding Treaty gefordert wird. Die Ungleichheit in den Handelsbeziehungen jedoch wird auch das nicht verändern. Dazu braucht es den Abschied von der wachstumsfixierten Produktionsweise, wie dies der senegalesische Wirtschaftswissenschaftler Felwine Sarr vorschlägt, der leider nicht zu den geladenen Gästen der Afrikaveranstaltung von CDU und CSU gehörte:

„Und da sich die Welt neuerlich den afrikanischen Ressourcen zuwendet, sie begehrt und durch schmeichelnde Worte für sich zu gewinnen sucht, um den Irrsinn der bisherigen Entwicklung fortzusetzen, deswegen hat Afrika die Gelegenheit eine zivilisatorische Wende durchzusetzen: Durch die Weigerung, die tradierten Modelle der Wohlstandproduktion und -akkumulation zu verstetigen.“  

Anne Jung (Foto: medico)

Anne Jung leitet die Öffentlichkeitsarbeit bei medico international. Die Politikwissenschaftlerin ist außerdem zuständig für das Thema Globale Gesundheit sowie Entschädigungsdebatten, internationale Handelsbeziehungen und Rohstoffe.

Twitter: @annejung_mi


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