Mali

Fragwürdige Stabilisierung

16.09.2020   Lesezeit: 3 min

Nach monatelangen Protesten stürzte das Militär in Mali die Regierung. Was folgt, ist offen.

Von Sabine Eckart

Wer sich mit der Situation in Mali beschäftigt, wird von den Nachrichten über den erneuten vom Militär erzwungenen Machtwechsel in Bamako nicht überrascht gewesen sein. Konnte man sich 2012 noch über die Zustimmung aus der malischen Bevölkerung zum damaligen Putsch wundern, erscheint die breite Unterstützung des Machtwechsels diesmal nachvollziehbarer. Ihm gingen monatelange Massenproteste und Forderungen nach dem Rück- tritt der Regierung von Ibrahim Boubacar Keïta voraus. Ousmane Diarra, Präsident der Selbstorganisation von Abgeschobenen AME, mit der medico seit langem zusammenarbeitet, beschreibt die Intervention durch das Militär denn auch als Ergebnis eines „langen Prozesses der Volksrevolution“: „Das Militär hat das unterstützt, was ein großer Teil der Bevölkerung verlangte. Ohne die zahlreichen Proteste hätte das Militär es in der aktuellen Situation nicht gewagt, die Regierung zu stürzen.“ Es gibt auch die Hypothese, das Militär habe – um die Kontrolle zu behalten – einem zivilen Umsturz zuvorkommen wollen.

Mali befand sich bereits vor 2012 in einer tiefen politischen, sozialen und ökonomischen Krise. Seither hat sich nichts zum Besseren gewendet. Die Frustration über sich verschärfende politische und soziale Missstände, schlechte Regierungsführung, unzureichendes Krisenmanagement, Korruption sind durch die jüngsten Wahlfälschungen noch gewachsen. Hinzu kommt, dass sich die Sicherheitssituation im ganzen Land gravierend verschlechtert hat. Nicht mehr nur der Norden Malis, auch das Zentrum des Landes sind zunehmend von einer gewaltsamen Austragung von Konflikten betroffen. Daran hat auch die massive internationale Militärpräsenz nichts geändert – im Gegenteil.

Die Stabilisierung des fragilen politischen und militärischen Status quo stellt bisher die leitende Maxime militärischer und politischer Interventionen dar, sei es aus Europa, den USA oder auch der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS). In den sogenannten Stabilisierungsmaßnahmen geht es allerdings nicht um die legitimen Interessen der malischen Bevölkerung an menschlicher und Rechtssicherheit sowie sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungschancen. Im Vordergrund stehen die geostrategischen und innenpolitischen Interessen der intervenierenden Akteur*innen – sei es, dass die weitere Ausbreitung radikalreligiös begründeter Militantismen in der Region verhindert oder Migrationsbewegungen Richtung Norden blockiert werden sollen. Willfährige Regierungen werden aus purem Eigeninteresse an der Macht gehalten. Diese Stabilisierung um jeden Preis stützt ein marodes politisches System und verhindert dringliche politische und strukturelle Veränderungen im Interesse der Bevölkerung.

Will man wirklich etwas gegen eine wie auch immer begründete Radikalisierung, die gewaltsame Austragung von Konflikten sowie politische Verkrustung unternehmen, müsste man die Interessen der Bevölkerung wahr- und ernstnehmen. Es würde bedeuten, einen selbstgesteuerten, inklusiven und transparenten politischen Prozess zu unterstützen, der die erforderlichen Veränderungen einleiten kann. Ein solcher Prozess benötigt Zeit, Ressourcen und Know-how. All dies wäre hier viel sinnvoller eingesetzt als in einer um ein Vielfaches teureren und riskanteren militärischen Stabilisierung eines Status quo ante. Denn letztere nutzt nur einer kleinen Machtelite und lässt die tatsächlichen Herausforderungen in Mali und der gesamten Sahelregion weitgehend unangetastet.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2020. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Sabine Eckart

Sabine Eckart ist Leiterin der Abteilung für transnationale Kooperation und Projektkoordinatorin für Flucht und Migration bei medico international.


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