„Imperiale Spieltheorie in Syrien: Der eine vergast 80, der andere zerstört einen Flughafen. Alle anderen wissen Bescheid, alle Spieler bleiben auf dem Feld. Niemand unterbricht. Die Syrer*innen haben keine Wahl. Es geht weiter“, schreibt unser ehemaliger Kollege Martin Glasenapp, der jahrelang die Syrien-Arbeit von medico begleitete.
Ob es bleibt, wie es ist, sei dahingestellt. Denn die USA hatten im Syrien-Konflikt bislang eine klare Linie, wenn auch keine Lösung: Bombardierung der IS-Gebiete, vorsichtige Unterstützung der Anti-Assad-Rebellen, aber keine direkte Konfrontation mit Assad und Russland. Das hat sich nun geändert. Und könnte die sich abzeichnende Polarisierung verschärfen. Geändert hat sich auch die Entschlossenheit der US-Regierung viel mehr zivile Tote in Kauf zu nehmen. Sei es in Mossul, im Jemen oder seit Jahresbeginn auch in Syrien selbst. Russisch-syrische Luftschläge haben für dieses völkerrechtswidrige Vorgehen das Vorbild geliefert. Aber begonnen haben die grausame Kriegsbrüder diese Art der Kriegsführung im Nahen und Mittleren Osten nicht.
Einberufung einer UNO-Vollversammlung
An dieser Stelle noch einmal der Verweis auf die Initiative zur Einberufung einer UNO-Vollversammlung, die sich über die Blockaden im Sicherheitsrat hinweg setzen kann. Auch medico versucht sie mit den bescheidenen Mitteln immer wieder ins Spiel zu bringen. Dafür gibt es historische Vorbilder: Im November 1950, während des Koreakriegs, ermächtigte sich die Generalversammlung der UN mit der Resolution Uniting for peace zu der Möglichkeit, einen von seinen Vetomächten blockierten Sicherheitsrat zu übergehen und gegebenenfalls binnen 24 Stunden eine "Notstandssondertagung" (Special Emergency Session) der UN-Generalversammlung einzuberufen. Eine solche Dringlichkeitssitzung kann dann zwar keine rechtsverbindlichen Beschlüsse fassen, sie kann den Mitgliedsstaaten der UN aber "Empfehlungen" an die Hand geben, die ausdrücklich bis zum Einsatz von Waffengewalt gehen können.
Seit dem Erlass vom November 1950 hat die UN wiederholt auf dieses letzte Mittel zurückgegriffen - prominent anlässlich der Suez-Krise 1956. Damals waren es England und Frankreich, die im Zug ihrer völkerrechtswidrigen Intervention in Ägypten ein Eingreifen des Sicherheitsrats blockierten. Eine Notstandssondertagung der Generalversammlung der UN nötigte die beiden Länder mit einer entsprechenden Resolution zum Rückzug. Das Massenmorden in Syrien macht ein solches Vorgehen neuerlich zum letzten Mittel des Eingreifens. Der Beschluss zur sofortigen Einberufung der Generalversammlung müsste von der Hälfte der UN-Mitgliedsstaaten getragen werden. Mit zwei Dritteln der Stimmen könnte eine Resolution beschlossen werden, die sämtliche Kriegsparteien in Syrien ultimativ zu einem umfassenden Waffenstillstand auffordert.
Nicht zuletzt sei aber auch darauf verwiesen, dass vor der so schwierigen und nicht absehbaren Lösung des internationalisierten Syrien-Konflikts die Humanität steht. Solange die politische Ohnmacht anhält, geht es darum, hier syrische Flüchtlinge aufzunehmen, den Familiennachzug zu sichern und die Kräfte vor Ort zu unterstützen, die in Syrien die Zivilität bewahren.