Verschiedene Staatssekretäre der Bundesregierung kommen heute Abend zu einer Krisensitzung zusammen. Thema ist ein vertraulicher Entwurf, vorgelegt von der Unternehmensberatungsfirma Ernst & Young. Sein Titel schon ruft das russische Sprichwort auf, wonach die Zunge stets um den faulen Zahn kreist: „Monitoring des Umsetzungsstandes der im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020 beschriebenen menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen.“
Der Nationale Aktionsplan wurde nach Anhörungen von NGOs, Gewerkschaften und Unternehmener arbeitet und Ende 2016 durch das Bundeskabinett verabschiedet. Die Interessenverbände der Wirtschaft machten ihre Opposition gegen verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflichten schon früh deutlich. Sie wandten sich gegen "rückwärtsgewandte, bürokratische Forderungen nach neuen verpflichtenden Maßnahmen insbesondere zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten im Unternehmen. Jede Form von neuen Pflichten und Obligationen, insbesondere bei öffentlichen Auftragsvergaben und im Zusammenhang mit Beihilfen, sind kontraproduktiv und deshalb vollkommen inakzeptabel". Deutliche Worte.
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Im Ergebnis soll der Nationale Aktionsplan Verletzungen der Sorgfaltpflichten durch deutsche Unternehmen zumindest einschränken. Wie es um die Menschenrechtsbilanz deutscher Unternehmen aussieht, wissen wir nicht erst seit den beiden großen Textilkatastrophen der letzten Jahre, dem Brand bei Ali Enterprise in Karatschi/Pakistan und dem Einsturz des Rana Plaza in Dhaka/Bangladesch – tausende Tote, noch viel mehr zumeist schwer verletzte Menschen, auf Rechnung auch deutscher Unternehmen.
Das Bild ändert sich nicht, wenn wir andere Felder der globalen Produktions- und Lieferketten in den Blick nehmen – ganz egal, welche. Und: Menschenrechtsverletzungen und Menschenrechtsverbrechen deutscher Unternehmen in Asien, Afrika und Lateinamerika sind keine Sache nur der letzten Jahre, sondern blutige Tradition seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten. Sie schließen nicht nur die Opfer und Überlebenden von Industrieunfällen ein. Zu ihnen gehörte und gehört der ganz normale, von keinem Unfall gestörte Arbeitsalltag in unzähligen Fabriken, Bergwerken, Plantagen überall auf der Welt – übrigens auch in Europa, sogar in Deutschland selbst. Zu ihnen gehören Rüstungsexporte: ausnahmslos alle. Und, nicht zuletzt: Zu deutschen Menschenrechtsverletzungen und Menschenrechtsverbrechen gehört die von führenden deutschen Unternehmen nachweislich mit zu verantwortende – auch mitinitiierte – Ermordung von Gewerkschafter*innen in verschiedenen Ländern, stets in Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimen.
Der Nationale Aktionsplan bleibt weit hinter dem zurück, was längst an der Zeit wäre. Auch der nicht zufällig von einer Unternehmensberaterfirma erstellte Entwurf für ein Monitoring. medico hat das immer wieder gesagt. Jetzt streitet die Koalition um beides. Es heißt, dass die SPD-geführten Ministerien am Plan und am Entwurf festhalten wollen. Man weiß, dass im CSU-geführten Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit an einem Gesetz gearbeitet wird, dass mit der unseligen Politik der „freiwilligen Selbstverpflichtung“ deutscher Unternehmung auf die Wahrung der Menschenrechte zumindest in Teilen Schluss machen will. Man liest aber, dass Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium massiv einschreiten, um selbst das Ungenügende unwirksam zu machen und der deutschen Wirtschaft weiterhin freie Hand zu lassen.
Heute Abend und in den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob die SPD-geführten Ministerien und ihr CSU-Kollege zumindest der Schamlosigkeit deutscher Politik und deutscher Unternehmen eine Grenze aufzeigen werden. Oder ob die politische Beförderung der Menschenrechtsverletzungen und Menschenrechtsverbrechen deutscher Unternehmen nicht einmal die Grenze des Schams kennt.
Der SPD und dem CSU-Minister Müller sei an dieser Stelle noch einmal gesagt, dass das eigentlich Richtige in Sachen Menschenrecht und globaler Ökonomie aktuell allein in der aktiven Förderung der Verhandlungen läge, die in den Vereinten Nationen um einen Vertrag („binding treaty“) geführt werden, der die Geltung der Menschenrechte in den globalen Produktions- und Lieferketten durchsetzen soll. Bisher werden diese Verhandlungen von der deutschen Politik offensiv sabotiert. Daran ändern auch der Nationale Aktionsplan und der Monitoring-Entwurf nicht wirklich etwas – auch wenn sie eine Öffnung anzeigen. Nicht unwahrscheinlich, dass diese Öffnung heute Abend wieder verschlossen wird.