Freiheit, die tötet
Miserable Bezahlung und Brände in Textilfabriken in Bangladesch? Kann weitergehen. Kinderarbeit in Kobaltminen im Kongo? Geht klar. Von Stahlwerken zerstörte Umwelt in Brasilien? Schulterzucken. In den vergangenen Monaten hat die Bundesregierung eine Politposse hingelegt, die ihresgleichen sucht.
Dabei gab es kurzzeitig Hoffnung: Noch Anfang des Jahres verteidigte Entwicklungsminister Müller einen erstaunlich mutigen Gesetzentwurf seines Ministeriums, mit dem die Einhaltung von UN-Menschenrechtsstandards in Unternehmen notfalls erzwungen werden sollte - und zwar entlang globaler Lieferketten. Damit könnten deutsche Unternehmen endlich für das haftbar gemacht werden, was sie in der ganzen Welt mitverantworten. O-Ton Müller: „Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel."
Doch dann haben das Wirtschaftsministerium und die Industrieverbände ganze Arbeit geleistet. Stand heute: Wenn bei einer Selbstauskunft ein Bruchteil der international tätigen deutschen Unternehmen von sich behauptet, beim Geschäftemachen die Menschenrechte zu achten oder dies vorzuhaben, ist das aus Sicht der Bundesregierung ausreichend. Das Ergebnis ist der Grüne Knopf, der vor allem das Ziel hat, den Menschen ein besseres Gefühl beim Kleiderkauf zu geben, aber an den erbärmlichen Produktionsverhältnissen nichts ändern wird.
Profite an die Kette - Lieferkettengesetz jetzt!
Umso mehr braucht es organisierten Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Denn die Freiheit der Unternehmen tötet auf der ganzen Welt. Dagegen helfen keine Selbstverpflichtungen von Unternehmen, sondern nur politisch garantierte Rechte - und zwar weltweit.
Im Zeitalter der ökonomischen Globalisierung und der freie Migration von Waren und Kapital ist ein globaler Ansatz notwendig. Medico unterstützt deshalb den UN Prozess für einen Binding Treaty.
Der Binding Treaty Prozess wird viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern. Doch in der Zwischenzeit können und wollen wir nicht untätig sein. Um Vorrang von Menschenrechten vor Profiten auf nationaler Ebene und damit als Rollenmodell für eine globale Lösung durchzusetzen, haben sich Gruppen und Organisationen aus ganz Deutschland in der Initiative Lieferkettengesetz zusammengetan, auch medico ist dabei.
Menschenrechte vor Profite
Die Politik der Deregulierung, die alle verhandelten Freihandelsabkommen eint, bedeutet in der Konsequenz eine Regulierung zugunsten der Wirtschaft. Das kann auch von gutgemeinten Ideen der Bundesregierung, wie einem Marshallplan mit Afrika, nicht kaschiert werden. Alle Leitlinien für faire Handelbeziehungen werden von der Realität ad absurdum geführt. Das zu analysieren, zu kritisieren und zu ändern, hat sich medico zur Aufgabe gemacht.
Aus diesem Grund setzt sich medico in einer internationalen Koalition mit über tausend Gruppen, sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen bei der UNO für ein rechtsverbindliches Menschenrechtsabkommen für (transnationale) Unternehmen ein. Die entsprechende Initiative aus Ecuador und Südafrika schlägt die Haftung von Konzernen entlang der gesamten Lieferkette vor. Staaten sollen verpflichtet werden, den von Menschenrechtsverstößen Betroffenen internationalen Rechtsschutz zu gewähren.
Deutschland hat gerade beschlossen, sich an dem offiziellen Prozess nicht zu beteiligen. Deshalb müssen die Regierungen weiter unter Druck gesetzt werden. Darin hat medico Übung: Auch das völkerrechtlich bindende Abkommen zum Verbot von Landminen wurde 1997 dank einer von medico international mitinitiierten internationalen Kampagne erstritten.
Zur Kontroverse um eine verbindliche Regulierung der globalen Wirtschaft:
Hintergrundpapier mit Fallbeispielen: Recht auf Profit oder Menschenrechte?