Analyse

Marshallplan als Mogelpackung

29.11.2017   Lesezeit: 8 min

Warum von der Afrikapolitik der Bundesregierung nichts Gutes für Afrika zu erwarten ist. Von Anne Jung

„Europa hat seine Afrikapolitik an kurzfristigen Wirtschafts- und Handelsinteressen ausgerichtet.“ Wie wahr. „Es ist notwendig, die Zusammenarbeit mit den Ländern Afrikas neu zu gestalten.“ Unbedingt. „Der Aufbau von Produktionsketten, faire Handelsbedingungen, Diversifizierung der Wirtschaft, gezielte Förderung von Landwirtschaft und die Stärkung des Zugangs zum EU-Binnenmarkt müsste umgesetzt werden.“ Wieder Kopfnicken. Von wem stammt das Papier noch gleich? 2017 hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) im Kontext des G20-Treffens in Deutschland den „Marshallplan mit Afrika“ vorgelegt, der auf den ersten Blick aus der Feder von Nichtregierungsorganisationen stammen könnte. Sogar die Einhaltung von internationalen Umwelt- und Sozialstandards, der Stopp illegaler Finanzströme und aggressiver Steuervermeidung, die mit der Veröffentlichung der „Paradise Papers“ neue Aktualität erhalten haben, werden genannt.

Einfache Rezepte, fatale Wirkungen

Bei genauer Betrachtung ist der „Marshallplan mit Afrika“ jedoch bereits im Titel eine Irreführung. Der Marshallplan von 1948, der Deutschland nach dem 2. Weltkrieg den Wiederaufbau ermöglichte, war mit enormen finanziellen Mitteln ausgestattet, die heute 130 Milliarden Euro entsprechen würden. Im gleichnamigen Plan für Afrika hingegen ist kein einziger Euro vorgesehen. Eigentlich formuliert das BMZ-Papier wünschenswerte Leitlinien einer anderen Afrika-Politik. Aber schon bei seiner Umsetzung hapert es. Denn der „Marshallplan mit Afrika“ enthält kein Konzept, wie die hehren Absichten verwirklicht werden könnten. Auch erwähnt das Papier mit keinem Wort, dass seine Leitlinien im krassen Widerspruch zu allen anderen an den Wirtschaftsinteressen des Nordens ausgerichteten Abkommen mit Afrika stehen.

Der „Compact with Africa“ (CWA) zum Beispiel, der von den G20-Finanzministern zeitgleich mit dem Marshallplan im Frühjahr 2017 verkündet wurde, will die Privatinvestitionen in Afrika vorantreiben. Die Übereinkunft zwischen Weltbank, Internationalem Währungsfonds und der Afrikanischen Entwicklungsbank enthält Prinzipien, an die die Mittelvergabe gebunden ist, die aus den finsteren Zeiten der Strukturanpassungsprogramme von IWF und Weltbank stammen. Sie stehen im Gegensatz zu den Ideen des „Marshallplans“, der immerhin von Rechtsstaat, Bekämpfung von Korruption und guter Regierungsführung spricht. Das Rezept ist einfach, die Wirkung fatal: Man mische die Liberalisierung der Finanzmärkte mit der Reduktion von öffentlichen Ausgaben und dem Abbau von Schutzzöllen und erzwinge noch die Privatisierung von staatlichen Firmen. Und in der Tat: Die bisher am Compact beteiligten Länder, darunter Senegal, Ruanda und Marokko, werben mit der Verfügbarkeit von billigen Arbeitskräften und versprechen freien Zugang zu ihren Märkten sowie weitreichende Privatisierung.

Es gibt kein einziges historisches Beispiel eines arm gehaltenen Landes, in dem solche Maßnahmen, die letztlich auf die Abschaffung des öffentlichen Sektors und die Entmachtung der Regierungen zielen, die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit verbessert hätten: und stattdessen wird die Macht von oft repressiven Regierungen gestärkt. Jane Nalunga, Handelsexpertin beim Southern and Eastern Africa Trade Information and Negotiations Institute (SEATINI), kritisiert: „Bei dem Compact geht es nicht darum, den Menschen in Afrika aus der Armut zu helfen. Sein Zweck ist es, für Unternehmen aus den G20-Ländern Investitionsmöglichkeiten zu schaffen.“ Und sie macht eine wichtige Unterscheidung auf: „Alles dreht sich um die Rechte von Investoren. Der gesamte afrikanische Kontinent soll sich für sie attraktiv machen. Aber wo bleiben die Rechte der Bürger und Bürgerinnen? Wo werden die politischen Rahmenbedingungen, die sozialen und ökologischen Risiken geklärt?“

Auch die von Europa unter Federführung Deutschlands ausgehandelten Freihandelsverträge mit ausgewählten afrikanischen Ländern, die Economic Partnership Agreements (EPA), verfestigen die asymmetrischen Handelsbeziehungen. Die EPA haben das Ziel, eine „reibungslose Integration dieser Regionen in den Weltmarkt sicherzustellen“, sagt das Wirtschaftsministerium. Hierfür müssen die afrikanischen Unterzeichnerstaaten bis zu 80 Prozent ihres Marktes für Waren aus Europa öffnen, während nur rund zehn Prozent der Waren aus den afrikanischen Ländern international wettbewerbsfähig sind.

Globaler Landraub

Und selbst einige der „afrikanischen“ Firmen, die Waren wie Blumen exportieren, gehören in Wahrheit Europäern. In der Folge der EPA sind massive Einnahmeverluste für Afrika zu befürchten, weil der Schutz für die ärmsten Länder, die bisher für einige Waren einen bevorzugten Marktzugang nach Europa hatten, wegfallen wird und die EU staatliche Subventionen für die lokale Landwirtschaft in afrikanischen Ländern verbietet. Arbeitsplätze werden wegfallen, Preisschwankungen können zum lebensbedrohlichen Risiko werden. Damit steigt die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe. Der Marshallplan fordert hingegen mehr Fairness in der Handelspolitik. Afrikanische Binnenmärkte sollen sich durch Schutzzölle zeitlich befristet von globalen Konkurrenten abschotten dürfen. Doch EPAs sind die harten Fakten, die Pläne von Entwicklungsminister Müller eine Wunschliste.

Gar keinen Vorschlag bietet der „Marshallplan“ für das vielleicht derzeit größte Problem des afrikanischen Kontinents: der globale Landraub. Afrika steht im Mittelpunkt eines weltweiten Geschäftes mit Land, an dem viele deutsche Firmen beteiligt sind. Industrieländer, Agrarkonzerne, aber auch internationale Banken und Investmentfonds erwerben oder pachten riesige Ländereien, um auf ihnen Getreide für Biosprit anzubauen oder Plantagen für Palmöl zu entwickeln. Hirten, Kleinbäuerinnen, Fischer, Landarbeiterinnen und Nomaden verlieren durch das „Landgrabbing“ den für ihre Ernährungsgrundlage wichtigen Zugang zu Land und Wasser. Die Landaneignung durch Konzerne führt zu Vertreibungen und Enteignungen und schafft zudem neue Abhängigkeiten von externer Nahrungsmittelhilfe. Der Landraub hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Zahl der weltweit Hungernden nach UN-Angaben nach einer Dekade erstmals wieder gestiegen ist. Im immer wieder von Dürre und Hungerkrisen geplagten Kenia etwa pachten internationale Konzerne riesige Landflächen für den Anbau von Jatropha für die Produktion von Biosprit. Die Regierung fördert diese Geschäfte und erhofft sich darüber kurzfristige Gewinne. In einem Land, in dem ohnehin nur knapp 10 Prozent der Landesfläche landwirtschaftlich nutzbar ist, gleichzeitig aber die Bewirtschaftung von Land für 80 Prozent der Bevölkerung die Lebensgrundlage bildet, ist das eine Katastrophe.

Recht auf Profit

Der Rechtlosigkeit der Betroffenen steht der in Handelsverträgen fixierte Ausbau des juristischen Schutzes für ausländische Investoren gegenüber. Die Politik selbst ist es, die damit das parlamentarische Prinzip einer öffentlich kontrollierten politischen Entscheidungsfindung zugunsten von privaten Renditeinteressen bewusst beschneidet und sich ihrer Gestaltungsmöglichkeiten beraubt. Die Deregulierung von staatlicher Kontrolle stellt nichts anderes dar als eine Regulierung zugunsten der Wirtschaft. „Auch wenn es inzwischen einige Handelsversträge gibt, die Menschenrechtsklauseln enthalten, haben diese niemals Vorrang vor den Handelsinteressen der Industriestaaten“, resümiert der Handelsexperte Thomas Fritz. Oder wie es Jane Nalunga von SEATINI Uganda so treffend ausgedrückt hat: „If you‘re not at the table, you‘re on the menu.”

All das zeigt, dass die deutsche Afrikapolitik mit dem historischen Marshallplan außer dem Namen nichts gemein hat. Betrachtet man die harten Fakten und nicht nur die wolkigen Versprechen gleicht sie eher dem Morgenthauplan von 1944. Der sah damals die komplette Deindustrialisierung und die Verwandlung von Deutschland in ein Agrarland vor. Mit einem Unterschied: Bei Morgenthau sollten sich die Deutschen von den produzierten Lebensmitteln ernähren können. Im heutigen Afrika werden sie gezwungen, sie zu exportieren.

So paradox es klingt: Der Marshallplan lässt sich lesen als Versuch, die Folgen des neoliberalen kapitalistischen Projekts zu kaschieren, und zugleich als offenes Eingeständnis des Scheiterns einer Politik, deren tödliche Folgen sich nicht mehr verbergen lassen. Diesen Widerspruch findet man heutzutage in fast allen Dokumenten der internationalen Politik, die Fluchtursachen schafft, statt sie zu bekämpfen. In dieser Paradoxie könnte eine Chance liegen – sofern aus dem wachsenden Unbehagen an dem globalisierten Kapitalismus eine Bewegung wird, die Politik an ihre Verpflichtung für den Vorrang der Menschenrechte zu erinnern. So ist auch das Bemühen der UNO für ein rechtlich bindendes Menschenrechtsabkommen für transnationale Unternehmen (UN-Treaty) eine ermutigende Entwicklung. Die Initiative aus Südafrika und Ecuador schlägt die Haftung von Konzernen entlang der kompletten Zulieferkette vor. Staaten sollen verpflichtet werden, den von Menschenrechtsverstößen Betroffenen international Rechtsschutz zu gewähren.

Die Bundesregierung hat kürzlich entschieden, sich nicht direkt an den UN-Gesprächen für ein Menschenrechtsabkommen zu beteiligen. Umso wichtiger ist es, dass sich eine internationale Koalition von über 1.000 Gruppen, sozialen Bewegungen und NGOs für die Umsetzung von UN-Treaty gebildet hat, um die Regierungen unter Druck zu setzen. Immerhin wurde auch das völkerrechtlich bindende Abkommen zum Verbot von Landminen 1997 dank einer internationalen Kampagne politisch gegen alle Widerstände erstritten.

Gekürzte Fassung eines Vortrags von Anne Jung, November 2017. Den vollständigen Text mit Quellen- und Literaturangaben können Sie herunterladen: Marshallplan als Mogelpackung (PDF)

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 4/2017. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

medico unterstützt Partnerorganisationen in Afrika, die sich gegen die Ausplünderung der Ressourcen und für gerechte Verhältnisse vor Ort einsetzen. Ein Beispiel ist die langjährige Zusammenarbeit mit Equinet, einem Zusammenschluss von Gesundheitsarbeiterinnen, Vertretern staatlicher wie nichtstaatlicher Institutionen und zivilgesellschaftlichen Initiativen aus 16 Staaten im südlichen und östlichen Afrika. Zentrales Anliegen des Netzwerkes ist es, die Erlöse aus dem Rohstoffabbau und -handel der Region in die vernachlässigten sozialen Infrastrukturen der Länder umzulenken. Im Mittelpunkt steht der Aufbau von allgemein zugänglichen Gesundheitssystemen. Mit Konzepten wie einem Entwurf für gemeinsame Gesundheitsstandards in der Region interveniert Equinet zum Beispiel in die Debatten der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC). Im Zuge eines neuen Förderprojekts stärkt medico dieses Engagement.

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