„Khartum-Prozess“ wird die Einbindung der Staaten Ostafrikas in das europäische Grenzregime ab 2014 genannt. Dabei scheut die Europäische Union auch Kooperationen mit diktatorisch regierten Ländern wie Eritrea oder Sudan nicht, um Flucht und Migration nach Europa einzudämmen. Nun finden in der sudanesischen Hauptstadt Khartum seit Monaten Proteste statt, zuerst gegen den langjährigen Gewaltherrscher Omar al-Bashir und anschließend gegen das Militär, das nach dem Sturz al-Bashirs die Führung an sich gerissen hat. Die Demokratiebewegung wurde von den Sicherheitskräften teilweise brutal niedergeschlagen.
Daran ist die EU nicht unschuldig: Die Kooperation der EU mit dem Sudan in Fragen des Migrationsmanagements und die Unterdrückung der sudanesischen Demokratiebewegung hängen zusammen. Und Deutschland spielt dabei eine entscheidende Rolle, u.a. aufgrund der Leitung des umstrittenen Projektes „Better Migration Management“ durch die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sowie aufgrund der Kooperation der Bundespolizei mit den sudanesischen Sicherheitskräften.
Sudanesischer Frühling?
Was seit Dezember 2018 im Sudan passiert, weckt Erinnerungen an die Bilder des Arabischen Frühlings. Unerwartet bringt der entschlossene Protest Abertausender einen Despoten ins Wanken, der so lange an der Macht war, dass eine ganze Generation Sudanes*innen unter seiner Herrschaft aufwuchs. Noch vor wenigen Monaten hätte niemand damit gerechnet, dass im Mai 2019 Omar al-Bashir im Gefängnis von Khartum sitzen würde. Doch das tut er, letzten Endes abgesetzt durch den Putsch einer Gruppe hochrangiger Militärs, die die Proteste nutzten, um ihrerseits nach der Macht zu greifen. Auch das erinnert in Form und Verlauf in tragischer Weise an den arabischen Frühling.
Seither ringen Militär und Zivilgesellschaft um die Gestaltung einer Übergangsregierung. Nach erneuten erfolglosen Verhandlungen rief eine Oppositionsgruppe Ende Mai zum Generalstreik auf. Noch ist offen, wohin der sudanesische Aufbruch gehen wird, doch es deutet Vieles darauf hin, dass nicht zuletzt der Einfluss Ägyptens, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate die autoritären Kräfte stärken und die Demokratiebewegung zum Scheitern verurteilen wird. Auch Europa mit seiner Furcht vor neuen Flucht- und Migrationsbewegungen Richtung Norden hat ein großes Interesse an Stabilität in der Region – zur Not auf Kosten der Demokratie.
Die „Rapid Support Forces“: Alte völkermordende Bekannte
Die Proteste, die eine Reaktion auf eine immense Verteuerung des Brotpreises im Sudan waren und bei denen das Gewerkschaftsbündnis SPA eine wichtige Rolle spielt, kosteten bisher Dutzende Menschen das Leben, die allermeisten davon waren Demonstrant*innen. Bei der Berichterstattung über die Gewalt des Regimes gegen Demonstrant*innen fällt immer wieder der Name „Rapid Support Forces“ (RSF) – eine Miliz, deren Führungsstruktur sich vor allem aus den berüchtigten Dschandschawid rekrutiert. Die Dschandschawid, eine arabische Reitermiliz, gelten als eine der Hauptaggressoren in der sudanesischen Krisenregion Darfur und werden beschuldigt, nach der Eskalation des Konflikts 2003 im Auftrag von al-Bashir immer wieder Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung begangen zu haben – von Massenexekutionen und -vergewaltigungen bis hin zum Völkermord. Das ist auch der Grund für den Haftbefehl, den der internationale Gerichtshof in Den Haag 2009 gegen al-Bashir ausgestellt hat.
Die RSF kann als professionalisierte Weiterentwicklung der Dschandschawid verstanden werden. Dank der Unterstützung al-Bashirs und des sudanesischen Geheimdienstes NISS reitet man nicht mehr mit Kalaschnikows bewaffnet auf Kamelen und Pferden, sondern düst auf schwerbewaffneten Jeeps, ausgerüstet mit modernen Sturmgewehren und Granatwerfern, durch die Wüste und lässt sich dabei gerne auch mal von Al-Jazeera filmen.
Die Spezialkräfte der RSF sind auch mit dem Grenzschutz beauftragt. Als Ergebnis des Khartum-Prozesses sind sie seit 2015 vor allem für die Überwachung der sudanesisch-libyschen Grenze verantwortlich. Dabei wird den RSF vorgeworfen, Migrant*innen an der lybischen Grenze zu misshandeln. Außerdem sollen sie selbst in den Menschenschmuggel involviert sein und zum Teil mit libyschen Schleppern zusammenarbeiten. Der Anführer der RSF-Miliz, Mohammed Hamdan Daglu, spielt mittlerweile eine wichtige Rolle im Militärrat, der aktuell versucht, das durch den Sturz von al-Bashir entstandene Machtvakuum zu füllen.
Über welche Leichen ist die EU bereit zu gehen?
Auf europäischer bzw. deutscher Seite scheint man sich durchaus bewusst zu sein, welche Akteur*innen im Sudan am Werke sind. Daher schließt das umstrittene GIZ Projekt „Better Migration Management“ offiziell aus, dass EU-Gelder an die RSF fließen. Indirekt profitieren sie jedoch durchaus. Genauso wie von der Polizeikooperation mit der Bundespolizei. Diese Zusammenhänge nicht sehen zu wollen, zeugt einmal mehr von der Bereitschaft der europäischen Entscheidungsträger*innen, bei der Durchsetzung ihrer Interessen mehr als beide Augen zuzudrücken.
Wenn nun die von der EU und der Bundesregierung unterstützte sudanesische Polizei Demonstrant*innen in Khartum niederschießt, zeigt sich einmal mehr die Skrupellosigkeit, mit der die 2014 in der Khartum-Erklärung festgelegte und 2015 mit dem Aktionsplan von Valletta bekräftigte migrationspolitische Leitlinie der EU umgesetzt wird. Der „Fall Khartum“ zeigt deutlich, über welche Leichen die EU für ihre Abschottungspolitik bereit ist zu gehen. Wer auf autoritäre Regime zur Durchsetzung eigener Interessen baut, nimmt wissentlich Menschenrechtsverletzungen in Kauf und darf sich nicht wundern, wenn die Begünstigten mit den Zuwendungen aus Europa ganz eigene Ziele verfolgen.