medico: Du bist in der politischen Gruppe Sudan Uprising Germany aktiv. Warum hat sich die Bewegung gegründet und was sind ihre politischen Ziele?
Mustafa Hussien: Sudan Uprising Germany wurde Ende 2018 zur Unterstützung der Revolution im Sudan von sudanesischen und deutsch-sudanesischen Aktivist*innen gegründet. Ziel unserer Initiative ist es, über die Lage im Sudan aufzuklären und die Ideen und Motive der Revolution in die Öffentlichkeit zu tragen. Außerdem wollen wir denjenigen eine Stimme geben, die die Revolution gemacht haben, aber überhaupt nicht in der Übergangsregierung repräsentiert sind. Das sind vor allem die Frauen, die 60% der Revoltierenden ausgemacht haben, und die jungen Menschen. Mit ihnen sind wir im ständigen Kontakt.
Diesen Oktober habt ihr die Kampagne #endjanjaweed über die Rolle der Miliz Janjaweed gestartet, die sich unter anderem an die Bundesregierung und die deutsche Öffentlichkeit richtet. Was ist der Hintergrund der Kampagne und inwiefern hat sie hier im Exil Relevanz?
Die Janjaweed-Miliz ist wegen ihrer Beteiligung am Völkermord in Darfur im Jahr 2003 bekannt geworden. Bevölkerungsgruppen in der westsudanesischen Region hatten gegen die Regierung protestiert und sich auch mit Waffen gegen die Schikanen durch die sudanesische Armee gewehrt. Die Regierung nahm daraufhin Kontakt auf zu den Janjaweed und ihrem Anführer Mohamed Hamdan Dagalo, der besser unter dem Namen „Hemedti“ bekannt ist. Die sich vor allem aus nomadischen berittenen Händlern rekrutierende Miliz hat dann für die Regierung den Aufstand in Darfur niedergeschlagen. Dies mündete in einen Völkermord, der maßgeblich durch die Janjaweed begangen wurde. Deshalb haben die Menschen der Miliz den Namen Janjaweed gegeben, was auf einem lokalen Dialekt in etwa „Das berittene Böse“ heißt. Wenn die Männer der Miliz kommen, rauben sie den Menschen die Seele. Sie kennen keine Gnade.
Welche Bedeutung hatte die Janjaweed-Miliz nach dem Völkermord in Darfur für die Regierung von Omar al-Bashir?
Die Miliz wurde von der Regierung für ihre Rolle in Darfur belohnt und 2004 mit dem Schutz der nord-westlichen Grenzen beauftragt. Von da an bekamen die Janjaweed Waffen und Geld von der Regierung. 2013 wurden sie offiziell in die sudanesische Armee integriert und heißen seitdem „Rapid Support Forces“ (RSF) [dt. schnelle Unterstützungskräfte]. Dadurch ist auch die politische Macht der Miliz gewachsen. Das ging so weit, dass der damalige Präsident Omar al-Bashir mit dem Milizführer Hemedti ein Abkommen abgeschlossen hat, wodurch die Janjaweed den Status der Präsidentengarde erhalten haben und damit direkt al-Bashirs Kommando unterstanden.
Im Verlauf der Revolution von 2018 hat sich Hemedti zusammen mit dem damaligen Armeechef Abdel Fattah Abdelrahman al-Burhan gegen die Regierung gewandt und scheinbar die Revolution unterstützt. Nach dem erfolgreichen Sturz der Regierung von al-Bashir haben beide jedoch gegen die revolutionären Kräfte gearbeitet und sich an die Spitze des sogenannten Militärrats gesetzt. Dieser hat die Position einer Übergangsregierung eingenommen, allerdings ohne klaren Fahrplan für eine Demokratisierung. Die Bevölkerung hat das nicht akzeptiert und ist deswegen weiter auf die Straße gegangen.
In euren Stellungnahmen betont ihr, dass das Massaker an den Protestierenden in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum am 3. Juni 2019 nicht nur von den Janjaweed/RSF, sondern auch von offiziellen staatlichen Kräften begangen wurde. Was ist damals passiert?
Die Bevölkerung hat vor dem Militärrat in Khartoum ein friedliches Sit-In gemacht, um gegen die Präsenz des Militärs in der Übergangsregierung zu demonstrieren. Am 3. Juni 2019 haben das Militär, die Janjaweed/RSF, die Polizei und der Geheimdienst gemeinsam das Sit-In ohne Vorankündigung gewaltsam aufgelöst. Über 100 Protestierende wurden dabei getötet. Teile der Opposition unter dem Bündnis Forces of Freedom and Change haben dann mit dem Militärrat verhandelt und bilden seitdem zusammen eine zivil-militärische Übergangsregierung. Deren Vorsitzender ist jedoch Al-Burhan, und Hemedti ist sein Stellvertreter. Dadurch können die Janjaweed/RSF mit der Repression gegen die Protestbewegung einfach weiter machen. Jeden Tag entdeckt die Bevölkerung ein neues Geheimgefängnis. Wir und die Protestbewegung im Sudan akzeptieren nicht, dass Hemedti und al-Burhan als Verantwortliche des Massakers weiter in der Übergangsregierung vertreten sind und dabei noch von europäischen Regierungen unterstützt werden.
In eurer Erklärung im April diesen Jahres zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zum Sudan durch die deutsche Bundesregierung schreibt ihr, dass die meisten Deutschen gar nicht wissen, dass Deutschland jahrelang mit der sudanesischen Regierung unter al-Bashir im Rahmen der Migrationsabwehr zusammengearbeitet hat. Wie sah diese Zusammenarbeit aus?
In den Jahren 2013/14 wurde der sogenannte Khartoum-Prozess zwischen der Afrikanischen Union, der Europäischen Union und der sudanesischen Regierung unter Präsident al-Bashir begonnen. Die Idee dieses Prozesses aus deutscher und europäischer Perspektive ist es, die Grenzen des Sudan für den Transit von Flüchtlingen zu schließen. Sie verkaufen das als „Sicherheitszusammenarbeit gegen irreguläre Migration“. Dazu gehört beispielsweise der Plan, sogenannte „Asylzentren“ direkt im Sudan zu eröffnen, in denen Menschen einen Asylantrag für Deutschland stellen können. Die Menschen sollen es nicht mal mehr bis zum Mittelmeer schaffen. Die europäischen Regierungen, insbesondere die deutsche, verfolgen bei der Migrationsabwehr also schon seit längerem die Strategie, nicht nur die EU-Außengrenzen für illegalisierte Migrant*innen zu schließen, sondern schon in den Transitländern Nordafrikas die Migration zu unterbinden.
Und dabei spielen wiederum die Janjaweed/RSF eine wichtige Rolle, weil sie für die Sicherung einiger Grenzen des Sudan verantwortlich ist. Wir gehen davon aus, dass die Janjaweed für diese Arbeit Teile der Gelder weitergeleitet bekommt, die die sudanesische Regierung im Rahmen des Khartoum-Prozesses für die Migrationsabwehr von der EU erhält, auch wenn die EU das bestreitet.
Die EU versucht mit allen Mitteln, die Ostgrenze des Sudan nach Äthiopien und Eritrea zu schließen und setzt dabei auch auf die Janjaweed/RSF. Uns erreichen immer wieder Berichte von Gewalt gegen Flüchtlinge an der Grenze durch die Miliz. Letzte Woche kam von lokalen Quellen die Nachricht, dass 23 eritreische Flüchtlinge beim Grenzübertritt von der Miliz ermordet wurden.
Was wollt ihr mit eurer Kampagne erreichen?
Wir machen die Kampagne, um innerhalb Europas darüber aufzuklären, dass die Europäische Union die Miliz unterstützt. Die Menschen hier sollen verstehen, was ihre Regierungen im Sudan anrichten und mit welchen „Partnern“ sie dort Flüchtlinge stoppen. Wir hoffen, dass die europäischen Regierungen unsere Forderung, die Zusammenarbeit mit den Janjaweed zu beenden, nicht so leicht ignorieren können, wenn wir dafür ein größeres Verständnis und eine größere Öffentlichkeit in Europa herstellen. Abgesehen davon wäre im Sudan eine solche Öffentlichkeitsarbeit undenkbar. Das Militär würde das nicht akzeptieren.
Ihr arbeitet auch mit der Zivilgesellschaft in Deutschland zusammen, mit anti-rassistischen und anti-kolonialen Initiativen. Welche Unterstützung erhaltet ihr bereits und was wünscht ihr euch von solidarischen Gruppen und Organisationen?
Wir bekommen glücklicherweise finanzielle Unterstützung durch die Bewegungsstiftung und medico international. Das hat uns bei der Erstellung unserer Homepage geholfen. Generell sind wir sehr froh über die Zusammenarbeit, auch mit anti-rassistischen Basisinitiativen. So haben wir den Kontakt zum Verband eritreischer Geflüchteter gesucht, da eritreischen Menschen auf ihrer Flucht durch den Sudan auch unter den Janjaweed leiden. Und wir haben uns an den Black-Lives-Matter-Protesten in Berlin beteiligt.
Uns hilft, wenn andere Gruppen und Organisationen unsere Inhalte weiterverbreiten und unsere Anliegen so mehr Reichweite erhalten. Momentan versuchen wir Akten zu erhalten, die beweisen, dass die EU und die Bundesregierung die Janjaweed/ RSF direkt unterstützen. Das könnte eine Möglichkeit sein, die europäischen Regierungen zu verklagen. Und dabei sind wir auf breite Unterstützung und Solidarität von anderen Gruppen und Organisationen angewiesen.
Was fordert ihr von der Bundesregierung und der EU?
Die Bundesregierung muss umgehend ihre Unterstützung des militärischen Teils der sudanesischen Übergangsregierung beenden. Das heißt, es darf kein Geld mehr fließen, die technische Unterstützung – gerade im Bereich der Grenzkontrolle – muss aufhören. Und natürlich muss die Bundesregierung den Militärs in der Übergangsregierung die politische Unterstützung entziehen. Stattdessen sollte sie uns, die Demokratie-Bewegung, unterstützen.
Außerdem fordern wir, dass die deutsche Regierung ihre Beziehungen und ihre Abkommen mit der sudanesischen Übergangsregierung transparent macht und offen legt. Wir wissen, dass es diese Abkommen gibt, kennen aber nicht deren genaue Inhalte. Das muss sich ändern. Das könnte uns beispielsweise helfen zu verstehen, welche Rolle die Bundesregierung in der EU für die Grenzsicherung zwischen Sudan, Libyen und Tschad spielt.
Leider haben wir kein Vertrauen in die deutsche Regierung. Denn für sie stand bisher nur die Stabilität der Region im Fokus und nicht die Unterstützung der wirklich demokratischen Kräfte. Aber solange die EU und die Bundesregierung die Kooperation mit den Janjaweed/RSF nicht beenden, werden wir keine Ruhe geben.
Die Fragen stellte Julian Toewe.
Mustafa Hussien
Mustafa Hussien ist ein politischer Aktivist aus dem Sudan. Auf Grund politischer Verfolgung ist er aus dem Land geflohen und lebt seit zwei Jahren in Berlin. Von hier aus unterstützt er weiter die Demokratiebewegung im Sudan. Mit anderen Exil-Sudanes*innen hat er sich zu Sudan Uprising Germany zusammengeschlossen, die hinter der von medico unterstützten Kampagne #endjanjaweed stehen.