Lampedusa war und ist ein Testlabor für italienische und europäische Grenzpolitik. Dasselbe gilt für die süditalienische Region Sizilien. Durch den Ausbau weiterer Lager – seien es Durchgangslager, Abschiebezentren oder Untersuchungshaftanstalten – wird in Sizilien sichtbar, was an den gesamten europäischen Außengrenzen droht, sollte die GEAS-Reform im Jahr 2026 wie geplant in die Realität umgesetzt werden. Geflüchtete und Migrant:innen werden direkt beim Ankommen – sofern sie die diversen Hürden der EU-Außengrenzen überwunden haben – von der sizilianischen Bevölkerung isoliert.
Angesichts dieser Abschottungs- und Isolierungspolitik leistet die medico-Partnerorganisation MALDUSA durch ihre Arbeit auf Lampedusa und Sizilien einen Beitrag zum Aufbau mögliche Alternativen für die Freizügigkeit. MALDUSA steht dafür ein, Solidaritätsgemeinschaften und Bewegungsfreiheit zu schaffen. Zugleich beobachtet und dokumentiert die Organisation Gewalt an den Grenzen auf der zentralen Mittelmeerroute.
Durch zahlreiche Gespräche mit Aktivist:innen des medico-Partners MALDUSA sowie mit den migrantischen Selbstorganisationen Baye Fall und Right2Be konnte ich mir im November 2024 – während eines fünftägigen Aufenthalts auf Lampedusa und in Palermo – ein Bild davon machen, wie sich die Kriminalisierung von Migration auf das Leben der Migrant:innen auswirkt. In diesem Kontext war und bin ich beeindruckt vom unermüdlichen Kampf meiner Gesprächspartner:innen gegen die Isolierungs- und Abschottungspolitik. Ihr Antwort lautet: Solidarität herzustellen und sich miteinander zu verbünden.
Ankommen auf Lampedusa
Die Ankunft am Falvarore Pier auf Lampedusa verläuft nach strikten Vorgaben und isoliert von den Einwohner:innen der Insel. Der Großteil der Ankommenden, deren Überfahrt an der tunesischen oder libyschen Küste beginnt, wird von der italienischen Küstenwache auf dem Mittelmeer gesichtet, gerettet und an die Hafenmole gebracht. Einige erreichen den Pier selbständig oder mit Unterstützung zivilgesellschaftlicher Seenotrettungsorganisationen. Die Menschen kommen häufig traumatisiert an, erhalten trockene Kleidung und werden medizinisch erstversorgt.
Auch Vertreter:innen von MALDUSA sind vor Ort, sprechen mit den Menschen, um ihnen das Ankommen im ihnen fremden Italien zu erleichtern. Bereits bei ihrer Ankunft stehen die Mitstreiter:innen von MALDUSA den Neuankömmlingen zur Seite und versuchen, sie in der kurzen Zeit am Hafen über ihre Rechte aufzuklären – etwa darüber, dass sie der Polizei gegenüber keine Angaben dazu machen müssen, ob sie das Boot gesteuert haben oder wer es gelenkt hat. Sie versuchen, unbeobachtet Kontaktdaten mit ihnen auszutauschen und ihnen Informationsblätter zu überreichen.
Neben zivilgesellschaftlichen Akteur:innen sind hier auch staatliche Sicherheitskräfte sowie sogenannte Kulturvermittler:innen der Grenz- und Küstenwache Frontex präsent. Sie befragen die Ankommenden – oft in lokalen Sprachen – darüber, wie sie das Boot erreicht haben, wer es gesteuert hat und wie viel sie für die Überfahrt bezahlt haben. Ziel ist es, die gesammelten Informationen in Datenbanken einzuspeisen und mögliche Schleuser zu identifizieren. Die Befragungen werden im Hotspot, einem Lager auf Lampedusa, fortgesetzt, wo die Geflüchteten und Migrant:innen ein bis maximal drei Tage bleiben.
Wie die Hafenmole ist auch das Hotspot-Lager zur Militärzone deklariert worden. Anhand der schieren Anzahl an Polizeikräften lässt sich eine deutliche Militarisierung der Insel wahrnehmen. Auf Lampedusa leben 6.000 Menschen – und tagtäglich sind dort circa 2.000 Behördenmitarbeitende, darunter um die 1.500 Polizist:innen unterwegs.
Isolierung und Kategorisierung
Das Gelände des Hotspot-Lagers befindet sich ziemlich abgelegen in einer Kuhle zwischen mehreren Hügeln. Nur eine Straße führt dort hin – sie endet aber auch auf dem Gelände. Folgt man dem Weg vorbei an Kleingärten, trifft man auf ein großes Tor, vor dem sich bis zu zehn Polizeiautos hintereinander reihen. Außer Polizist:innen trifft man hier auf keine Menschenseele. Das ganze Gelände ist von hohen blickdichten Zäunen umringt, inklusive vier Beobachtungsposten, was den Anschein eines Gefängnisses erweckt. Wenig Informationen dringen durch die Hotspot-Mauern nach außen: Während ihres Aufenthalts erfolgen die ersten biometrischen Identifizierungen über Fingerabdrücke und die EURODAC-Datenbank sowie Interviews mit Mitarbeiter:innen von Frontex und UNHCR.
Die einzigen Zeichen von Leben ist Kleidung, die aus den Fenstern hängen. Was hier forciert wird, ist die vollständige Isolierung und Abtrennung von der Bevölkerung Lampedusas. Begegnungen werden unmöglich gemacht. Die strikte Abgrenzung des Hotspots wurde im Zuge restriktiver Maßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 durchgesetzt. Zuvor konnten Geflüchtete und Migrant:innen sich auch im innenstädtischen Zentrum Lampedusas aufhalten und dort auf Inselbewohner:innen treffen.
Nach wenigen Tagen verlassen die Schutzsuchenden die Insel und erreichen nach neunstündiger Überfahrt mit der Fähre das sogenannte Fast-Track-Center in Porto Empodeclo auf Sizilien. Dort werden sie gescannt und in Busse verfrachtet, die sie je nach Kategorisierung zu Aufnahme- oder Abschiebezentren, in vorübergehende Haftanstalten oder in Gefängnisse bringen. In Letzteren werden meist sogenannte Schleuser inhaftiert.
Der Hotspot-Ansatz existiert in Italien seit 2015 und basiert auf der Unterscheidung zwischen denjenigen, die als Asylbewerber:innen gelten, und denen, die als sogenannte Wirtschaftsmigrant:innen eingestuft werden. Ein wichtiges Instrument für diese Kategorisierung ist die Liste vermeintlich sicherer Herkunftsstaaten, die von Italien fortwährend erweitert wird. Auch Tunesien steht auf dieser Liste. Während einige Menschen Asyl beantragen und in Aufnahmeeinrichtungen gebracht werden können, werden andere direkt in Abschiebezentren oder in Gewahrsamseinrichtungen gebracht, um anschließend abgeschoben zu werden. Mit dem Cutro-Dekret vom Frühjahr 2023, das Abschiebungen vereinfacht, ging auch die Eröffnung von zwei weiteren Gewahrsamseinrichtungen in Modica/Pozzallo (2023) und in Porto Empedocle (2024) einher.
Die Errichtung neuer Haft- und Hotspot-Zentren bedeutet Isolation und Schwierigkeiten für Migrant:innen beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen. Die Isolierung und Anonymisierung durch die Weiterentwicklung des Lager- und Transfer-Systems, wie sie in Sizilien bereits existiert und weiter ausgebaut wird, droht im Zuge der GEAS-Reform der gesamten EU.
Monitoring der Versicherheitlichung als Gegennarrativ
Vor diesem Hintergrund ist es noch wichtiger, Solidaritätsnetze aufzubauen und zu verstärken, die die Erfahrungen auf Lampedusa und Sizilien mit einer breiteren Öffentlichkeit zu teilen und die existierenden Überwachungs- und Grenzstrukturen stärker zu beobachten. Die Entwicklung solidarischer Praktiken mit Menschen, die von Kriminalisierung betroffen sind, bildet einen zentralen Ansatz des medico-Partners MALDUSA, um Schwachstellen im Mechanismus des Hotspot-Systems aufzudecken.
In diesem Sinne stellt sich die Organisation an die Seite der Betroffenen und versucht, die Isolierung durch kreative Interventionen zu durchbrechen. Darüber hinaus hat MALDUSA im letzten Jahr ein Monitoring zum Ausbau der Lagerstruktur etabliert. Dieses erstreckt sich auf die Situation im Hotspot auf Lampedusa sowie in den Abschiebe- und Gewahrsamszentren auf Sizilien, die dortigen Unterbringungsbedingungen sowie auf die Dauer der Internierung. MALDUSA beobachtet auch das Agieren der italienischen Küstenwache, der Guardia di Finanzia und von Frontex auf der Insel, um Rechtsverstöße zu dokumentieren.
Migrantische Selbstorganisation in Palermo
Zudem hat MALDUSA ein soziales Zentrum in Palermo etabliert. In einer kleinen Gasse in der Innenstadt befindet sich der Treffpunkt. Häufig sitzen Menschen aus der senegalesisch-gambischen Baye Fall Community am Eingang, trinken Tee, unterhalten sich. Der Ort vereint verschiedene Organisationen und Gemeinschaften, die hier durchkommen. Darunter auch die migrantische Selbstorganisation Right2Be. Ziel sei es, durch Vernetzung die Lebenssituation von Ankommenden in Palermo und darüber hinaus besser zu gestalten. „Wir möchten all unsere Brüder und Schwestern willkommen heißen“, erklären Vertreter von Baye Fall und beziehen sich dabei auf alle Menschen aus Afrika, die in Palermo und Umgebung ankommen.
Baye Fall versteht sich als eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, geprägt durch soziale Bindungen, gegenseitige Zuneigung und Verbindungen, die in den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen Palermos, Siziliens, Italiens und Europas verwurzelt sind. „Wir haben zwar nicht viele Mittel, aber den festen Willen, anderen zu helfen“, sagt Cheikh Sene von Baye Fall und MALDUSA. Das zeigt sich beispielsweise in der Küche für Bedürftige – sowohl in Palermo als auch auf Lampedusa. Während des Ramadans wird im Viertel Santa Chiara der Zusammenhalt sichtbar: Alle, die fasten, brechen es dort gemeinsam. Bedürftige und Unterstützer:innen kommen zusammen, um an der Aktion „Ramadan Solidarity“ teilzunehmen.
Im sozialen Zentrum MALDUSA werden gemeinsame Momente geschaffen, um gegen das System der Überwachung, Ausgrenzung und Abgrenzung zu opponieren. Die Solidarisierung mit kriminalisierten Bootsfahrer:innen nimmt dabei eine besondere Bedeutung ein. Gemeinsam mit ihren Mitstreiter:innen von Porco Rosso und Captain Support verfassen die Aktivist:innen von Baye Fall Briefe in diversen Sprachen, senden diese in die Gefängnisse und versuchen so, eine Beziehung zu Menschen aufzubauen, denen Unterstützung illegaler Einreise vorgeworfen wird. Damit durchbrechen sie die Isolierung von kriminalisierten Personen und senden den meist zu Unrecht Inhaftierten ein Willkommenszeichen. Nach der Freilassung sind die Betroffenen oft auf sich allein gestellt, enden teils auf der Straße. Baye Fall versucht sie zu unterstützen. Aber auch die Betroffenen selbst verbünden sich mit anderen und bilden Communities. Oft sind die Migrant:innen in ihren landespolitischen Gemeinschaften organisiert. Right2Be versucht, diese Separierung zu durchbrechen. Mustapha Jarjou, ein Sprecher des Bündnisses, erklärt: „Die meisten unserer Probleme sind politischer Natur“. Viele der politischen Entscheidungen würden auf ihrem Rücken getroffen, fügt er hinzu. Right2Be haben ihr Community-übergreifende Bündnis ins Leben gerufen, um geeint gegen Diskriminierung vorzugehen. „Bevor wir Migrant:innen sind, sind wir vor allem Menschen“, verkündet Mustapha Jarjou.
Den Worten folgen Taten: Right2Be versucht, die zahlreichen Arbeitsmigrant:innen in der sizilianischen Landwirtschaft über ihre Rechte aufklären und sie zusammenbringen. Zahlreiche Menschen ohne Papiere arbeiten unter sklavenähnlichen Verhältnissen in der Landwirtschaft: Sie leben in lebensunwürdigen Hütten nahe der Felder, die Arbeit ist gesundheitsschädlich. Die Arbeiter:innen sehen oft keine Möglichkeit, diesen Zuständen zu entfliehen. Sie sind auf Geld zum eigenen Überleben angewiesen und sind ihren Ausbeuter:innen gegenüber machtlos. „Ohne Dokumente bist du außerhalb des Systems und unsichtbar“, sagt Mustapha Jarjou. Mit ihrer Kampagne will Right2Be für menschenwürdige Konditionen einstehen, betont er.
Cheikh Sene und Mustapha Jarjou: „Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern auch für die, die noch kommen werden“. Denn aller Widrigkeiten und Grenzen zum Trotz werden Menschen weiterhin ankommen.