medico: Wie leben die Menschen in Südafrika jetzt gerade im Moment mit Pandemie und Krieg?
Koketso Moeti: Es ist schlimm. Es gibt so viele Dinge, die den Leuten genommen wurden. Und dann wird man kriminalisiert, weil man versucht, in dieser Situation zu überleben. Ein Großteil der Menschen hier in Südafrika geht informellen Arbeiten nach. Die Pandemie hat diesen Menschen ihre Lebensgrundlage geraubt. Natürlich wurde keine Entlastung, geschweige denn Entschädigung angeboten. Plötzlich werden also Menschen verhaftet und bekommen einen Eintrag ins Strafregister, weil sie sich im Lockdown draußen auf der Straße aufhielten. Im April 2020, nachdem Südafrika den ersten Todesfall im Zusammenhang mit Covid zu verzeichnen hatte, hatten Polizei und Soldaten bei der Durchsetzung der Lockdown-Vorschriften bereits drei Menschen getötet. Die Polizeibrutalität war krass.
Dazu kam die enorme Steigerung der Preise für Grundnahrungsmittel – zunächst durch die Pandemie und jetzt noch mehr durch den Krieg in der Ukraine. Selbst ich kann keine Eier mehr kaufen. Sie sind zu teuer. Auch Benzin ist unglaublich viel teurer geworden. Und es stehen weitere Preiserhöhungen an. Wenn man sich vorstellt, dass jetzt auch Leute Probleme haben, die finanziell eigentlich ganz gut dastehen, dann fragt man sich, was dann erst mit den mehr als 50 Proztent des Landes ist, denen es schon vorher finanziell schlecht ging.
Die Menschen kaufen jetzt Lebensmittel auf Kredit. Vor allem die Zinsen auf Kleinstkredite haben sich verdreifacht. Der Zugang zu Krediten hilft den Menschen nicht. Stattdessen hat er sie in eine noch schlechtere Position gebracht. Durch die Kredite, die der Staat Südafrika von der Weltbank erhalten hat, wird es noch komplizierter: Wir, die Menschen, müssen sie zurückzahlen.
Was glaubst du wie ist die Vorstellung globaler Akteure wie die Weltbank oder der politischen Führung Südafrikas ist, wie Menschen unter solchen Bedingungen überleben können?
Ich glaube, die existiert schlichtweg nicht. Gerade hier in Südafrika ist es ja quasi tradiert, Gated Communities zu bauen und die Menschen vor deren Toren sterben zu lassen. Man denke nur an eine Stadt wie Johannesburg und wie sie gestaltet wurde, damit die weißen nicht sehen müssen, was im Rest des Landes passiert. Dort gab und gibt es Schulen und Infrastrukturen, so dass man die Stadt eigentlich nicht verlassen muss. Doch die Existenz dieser Stadt baut auf unseren öffentlichen Geldern. Mit anderen Worten: Wir subventionieren diese Enklaven der Megareichen. Und es gibt diese Vorstellung, dass die Armen immer überleben können. Aber das ist natürlich nicht wahr.
Bei Covid war es erschreckend zu sehen, dass es den Leuten tatsächlich egal ist, ob die Armen sterben. Im Nordwesten, wo ich herkomme, war es die Hölle, sich testen zu lassen, vor allem als meine Oma Covid bekam und schließlich auch meine Mutter. Außerdem waren die Impfzentren für jemanden wie Hausangestellte, die täglich arbeiten gehen müssen und sich nicht einfach freinehmen können, nur schwer zugänglich. Sie können sich die Transportkosten für die Fahrt dorthin ohnehin nicht leisten. Stattdessen entwickelte sich der Diskurs dahingehend, dass gesagt wurde, die Leute wollen sich nicht impfen lassen.
Gleichzeitig begannen weiße rechte Gruppen zu sagen, dass die Lockdowns "schlimmer als Apartheid" seien. Und es entstand ein Anti-Impf-Ressentiment, das in Südafrika völlig neu ist. In diesem Umfeld begannen sowohl rechtsgerichtete Gruppen als auch die Regierung, nach Sündenböcken zu suchen.
Wir haben oft gehört, dass in der Pandemie immer wieder Xenophobie gegen migrantische Communities geschürt hat?
Irgendetwas an der Pandemie hat die Situation für die meisten Menschen noch verzweifelter gemacht. Vor der Pandemie war die Lage auch nicht gut, aber die Verzweiflung war kleiner. Man kannte die Brennpunkte mit sozialen Spannungen. Jetzt aber hat man das Gefühl, dass alles jederzeit und überall eskalieren kann. Die Spannungen jetzt werden hauptsächlich über Xenophobie geschürt. Gleichzeitig gibt so viele Fehlinformationen – Fake News –, so dass es sehr schwierig ist, zu unterscheiden, was real ist und was nicht. Es gibt diese Bewegung "Put South Africans first". Sie haben Demonstrationen zur nigerianischen Botschaft und zur Botschaft von Simbabwe organisiert. Auch in den Institutionen spiegeln sich xenophobe Haltungen.
Eine Sache, die ich daran sozial sehr interessant finde, ist, dass sie oft als eine Sache der "armen Leute" dargestellt wird. So als seien es "arme Schwarze, die andere Schwarze angreifen". Aber auf institutioneller Ebene kann man sehen, dass eben gerade auch Institutionen xenophobe Slogans nutzen wie "South Africans only ".
Das hört sich sehr nach rechtsextremen Parolen an.
Ja, auf jeden Fall. Das rechte Projekt exportiert seinen Hass in die ganze Welt. Interessant wird es, wenn man sich anschaut, wie die finanziellen Mittel fließen bzw. wo sie hinfließen. Da gab es beispielsweise eine Reihe neuer NGOs, die gegründet wurden, deren Aktivitäten von der evangelikalen Rechten aus den USA finanziert werden. So wurden beispielsweise die Angriffe auf reproduktive Rechte, wie das Recht auf Abtreibung, die wir in Südafrika, aber auch in Nigeria, Kenia und Ghana beobachten können, von evangelikalen rechten Kräften in den USA finanziert. Sogar in multilateralen Organisationen wie den Vereinten Nationen sind solche Akteure zu finden. Der Multilateralismus hat tiefe Risse bekommen, auch innerhalb der Institutionen. Eine ganze Weltordnung bröckelt und es scheint an Ideen zu mangeln, wie man das Problem angehen könnte.
Wir müssen jetzt ein neues politisches Denken entwickeln, das über "traditionelle" linke Positionen hinausgeht: Für mich ist es wichtig, wirklich zu verstehen, was es bedeutet, in der heutigen Welt antiimperialistisch, antikolonial und „pro black“ zu sein. Denn die kolonialen Trennlinien der heutigen Welt sind nicht mehr eindeutig. Seht euch Südafrika an: Wir befinden uns plötzlich in einem Land wie Südafrika, wo es reiche Schwarze gibt und eine Schwarze Regierung. Aber die Machtverhältnisse haben sich nicht grundsätzlich verändert. Auch wir müssen neue politische Vorstellungen entwickeln.
Was bedeutet es, in dieser modernen Welt antiimperialistisch, antikolonial und für Schwarze und Arme zu sein?
In Südafrika sind wir sehr dafür sensibilisiert, rassistische Trennlinien zu erkennen. Auch inmitten des Krieges in der Ukraine ist es wichtig, den Rassismus in Europa zu verurteilen. Es ist der Moment zu sagen: "Okay, jetzt wird klar, dass die Möglichkeiten dafür da sind, um Menschen aufzunehmen. Warum lasst ihr gleichzeitig die Menschen auf den Booten im Mittelmeer sterben?". Das ist der Moment, um gegen die Xenophobie, die wir in der Welt beobachten, zu mobilisieren und ein Gegenprojekt gegen die globale rechte Bewegung aufzubauen, die wir sehen.
Wenn wir im Kleinen anfangen – bei uns selbst – dann sollten wir uns fragen, wie sich unsere verinnerlichte weiße Vorherrschaft spiegelt. Mit dieser Frage geht einher, dass die Welt eben nicht fein säuberlich in Gut und Böse unterteilt ist. Denn das ist so falsch. Als Beispiel könnte ich die NGOs anführen. Man spricht oft über diesen Sektor: nur weil man in einer NGO arbeitet, ist man von Natur aus gut. Es gab einen großen Eklat zu sexuellen Übergriffen in südafrikanischen NGOs. Zwar sagten Schwarze Frauen schon seit Jahren, dass es in diesen Organisationen ein Problem mit einigen Männern gab.
Was bedeutet das, wenn man nach außen hin fortschrittlich ist, aber nicht nach innen? Es geht um unsere täglichen Interaktionen und das alltägliche Handeln. Natürlich kann man nicht immer alles richtig machen. Aber man sollte immer danach streben, besser zu werden.
Deine Organisation amandla.mobi – ein Netzwerk, das mehr als 100.000 Mitglieder für digitalen Aktivismus und Kampagnen zu radikalen sozialen Themen verbindet – denkt und macht Politik von einem spezifisch Schwarzen Frauenstandpunkt aus. Was bedeutet das für den konkreten Umgang miteinander?
In Südafrika haben viele Menschen ein solides Verständnis der sozialen Frage. Aber es fehlen ihnen oft eine Klassenanalyse und ein Verständnis dafür, wie sie mit rassistischen oder geschlechtsspezifischen Dimensionen usw. zusammenhängt. Bei amandla.mobi sehen wir die Verflechtung der Probleme. Daher lautet für uns die erste Frage immer, wie sich etwas auf Schwarze Frauen mit niedrigem Einkommen auswirkt. Das ist immer unser Ausgangspunkt und wir bekommen diesbezüglich viel Gegenwind. Wenn aber diese Gruppe sozial vorankommt, werden wir als Gesellschaft vorankommen.
Das Interview führte Julia Manek.
Die Ringvorlesung Turbulente Psyche(n) erkundet globale Affektpolitiken und psychosoziale Kämpfe um Gesundheit und Gerechtigkeit in pandemischen Zeiten. Die Veranstaltungsreihe wagt einen globalen Blick auf neue Subjektivierungen. Sie fragt danach, was die Pandemie mit „uns“ gemacht. Gleichzeitig geht es um die Differenzierung eben jenes „wir“ und dessen extrem unterschiedlichen Formen von Subjektivierung. Wer werden „wir“ geworden sein?