Interview mit dem Rohingya-Blogger Nay San Lwin

Wir brauchen dringend Hilfe, und wir wollen unsere Rechte zurück

26.10.2017   Lesezeit: 4 min

Anlässlich seines Besuchs im Frankfurter medico-Büro hatten wir Gelegenheit, Nay San Lwin einige Fragen zur Situation der Rohingya in Myanmar und Bangladesch zu stellen.

Nay betreibt die Website rohingyablogger.com, eine der international wichtigsten Quellen zum Schicksal der seit vielen Jahrzehnten verfolgten und seit 1982 vollkommen entrechteten muslimischen Minderheit. Nay selbst hat Myanmar bereits 2001 verlassen und lebt seit 2011 in Deutschland. Von Frankfurt aus koordiniert er die Arbeit von über hundert Rohingya-Aktivistinnen und Aktivisten, die tagtäglich Informationen zur dramatischen Situation in Myanmar und neuerdings auch aus den Lagern in Bangladesch sammeln. Dort haben seit Beginn der letzten Welle brutaler ethnischer Säuberung über 600.000 Rohingya Zuflucht gefunden.

Was kannst Du uns zur aktuellen Situation sagen?

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, um verständlich zu machen, was im Augenblick geschieht. Seit 1978 werden wir Rohingya im Myanmar vom Völkermord bedroht. 1982 wurde uns die Staatsbürgerschaft aberkannt, seitdem sind wir staatenlos im eigenen Land, Menschen ohne jedes Recht. Die in einem Freiluftgtefängnis leben. Schon wenn Rohingya ins Nachbardorf oder in die nächste Stadt wollen, müssen sie dazu eine Genehmigung einholen. Die aktuelle Eskalation begann im August, nachdem Kämpfer der Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) einige Polizei- und Armeeposten überfallen haben. Die Reaktion der myanmarischen Streitkräfte fiel völlig unverhältnismäßig aus. Die Armee hat sämtliche Dörfer der Rohingya im Bundesstaat Rakhine überfallen, binnen weniger Tage wurden 4000 Menschen getötet, darunter Alte, Frauen und Kinder. Die Soldaten haben den Leuten nur wenige Minuten gelassen, um ihre Habseligkeiten zusammenzuraffen und ihre Häuser zu räumen. Dann haben sie die Häuser angezündet. Die fliehenden Menschen wurden verfolgt, zusammengeschlagen, Einzelne wurden herausgegriffen und gefoltert, Frauen und Mädchen oft mehrfach vergewaltigt. Zum Glück hat Bangladesch seine Grenzen geöffnet. Heute leben bereits über 600.000 Rohingya in der Gegend um die Stadt Cox’s Bazar, zusätzlich zu den Tausenden von Rohingya, die seit 1978 bei verschiedenen Wellen ethnischer Säuberung geflohen sind, zuletzt 2012. Die militärischen Angriffe wurden zwar mittlerweile eingestellt, doch fliehen immer mehr Leute nach Bangladesch. Sie haben nichts mehr zu essen, die Vorräte wurden geraubt, die Felder zerstört, es gibt keine medizinische Versorgung. Außerdem haben die Leute Angst, in eines der drei großen Lager in der Gegend um Sittwe verschleppt zu werden, in denen seit 2012 etwa 125.000 Rohingya wie in einem KZ interniert werden.

Wie ist die Lage in den Flüchtlingslagern in Bangladesch?

Bangladesch war auf die Aufnahme von Hunderttausenden Geflüchteten überhaupt nicht vorbereitet. Die Situation in den Lagern ist furchtbar. Die Unterkünfte sind ärmlichst, Plastikplanen über ein paar Stöcken, oft einfach nur Moskitonetze. Es gibt zu wenig Nahrung, zu wenig zu trinken, die medizinische Versorgung ist völlig ungenügend. Allerdings geht es denen, die in einem Lager untergekommen sind, besser als den Tausenden, die einfach am Straßenrand campieren müssen, ohne jede Unterstützung. Die Hilfsorganisationen vor Ort sind überfordert, die Misere ist einfach zu groß.

Über Deine Website http://www.rohingyablogger.com/ koordinierts Du ein Netzwerk von über 100 Aktivistinnen und Aktivisten. Was bleibt euch unter diesen Umständen noch zu tun?

Bisher haben die meisten von uns im Norden des Bundesstaats Rakhine gearbeitet, einige andere an Orten in Bangladesch und Malaysia, wo seit längerem schon geflüchtete Rohingya leben. Jetzt mussten über die Hälfte der Aktivisten ebenfalls nach Bangladesch fliehen. Wir sammeln so viele Informationen und Daten wie möglich und verbreiten sie über die Website, auch über facebook und twitter, auf Englisch und in burmesischer Sprache. Wir werden weitermachen und wollen professioneller werden, die Welt muss erfahren, was geschieht.

Wie reagieren die Regierungen in Myanmar und Bangladesch?

Die Regierung von Myanmar betreibt nichts als Desinformation und hält an der Politik des Völkermords fest. Sie ist darin geübt, und sie ist äußerst erfolgreich. So glaubt die Mehrheit der Buddhisten in Myanmar mittlerweile tatsächlich, dass wir Rohingya illegale bangladeschische Einwanderer seien. Dass wir schon immer dort gelebt haben, dass wir wie sie Bürgerinnen und Bürger Myanmars waren, dass wir auf unserem eigenen Land leben – diese einfachen Wahrheiten sind in Myanmar nicht mehr präsent. Dem gegenüber hat die Regierung Bangladeschs ihre Haltung geändert. Sie hat die Grenzen geöffnet und versucht, uns Unterkunft zu geben: Bangladesch hat damit das Leben von Hunderttausenden gerettet. Unterstützung erfahren wir auch von der Zivilgesellschaft in Bangladesch, auch von bangladeschischen Hilfsorganisationen. Jetzt wird es Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen geben, und wir hoffen inständig, dass die Regierung Bangladeschs uns weiter unterstützt.

Was erhofft ihr euch von den Verhandlungen?

Wir wollen nicht in den Lagern in Bangladesch bleiben, sondern auf unser Land, in unsere Dörfer zurückkehren. Die Armee hat unsere Häuser zerstört, sie müssen wieder aufgebaut werden. Wir brauchen Entschädigung für alles, was uns genommen wurde. Wir werden auf gar keinen Fall in die Lager gehen, in denen uns das Militär Myanmars internieren will. Und natürlich verlangen wir unsere Rechte zurück. Wir waren Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen, das wollen wir wieder sein.


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