Ein gewaltsamer Aufstand im Norden, ein Putsch in der Hauptstadt, die Invasion der Islamisten und die Intervention des Westens - seit Anfang 2012 wird Mali offen von Krisen gebeutelt. Am 28. Juli sollen jetzt Wahlen stattfinden. Sabine Eckart im Interview über die "Demokratisierung" im Schnelldurchgang.
Im Januar 2013 begann die französische Militärintervention in Mali, die nur wenige Wochen später als siegreich erklärt wurde. Frankreich zieht seine Truppen bereits wieder ab. In Kürze sollen Wahlen in Mali stattfinden. Wie ist die Lage im Moment?
Der Vorsitzende der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission (CEN) in Mali hat bereits Ende Juni Zweifel daran geäußert, ob der 28.7. als Wahltermin haltbar ist. Auf Druck der EU und Frankreichs wurde aber an dem Termin festgehalten. Die Unabhängigkeit der Wahlkommission wurde damit ad absurdum geführt.
Die Wahlen sollen nun also durchgezogen werden, obwohl die infrastrukturellen und politischen Rahmenbedingungen für freie, sichere und faire Wahlen nicht gegeben sind: ein Großteil der intern Vertriebenen und Flüchtlinge ist noch nicht an ihre Herkunftsorte zurückgekehrt Im Falle Kidals im Norden Malis sind das 50% der Wahlberechtigten. Ebenso finden die VertreterInnen staatlicher Institutionen im Norden keine sicheren Bedingungen für die Durchführung von Wahlen vor: Kidal steht teilweise noch unter der Kontrolle der MNLA (Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad). Erst vor wenigen Tagen gab es gewaltsame Auseinandersetzungen mit Toten sowie Entführungen u.a. von Wahlhelfern und lokalen Mandatsträgern in Kidal.
Welche Akteure haben dazu beigetragen, dass die Wahlen zu so einem frühen Zeitpunkt stattfinden? Was versprechen sie sich davon?
Insbesondere Frankreich und die EU haben ein starkes Interesse an baldigen Wahlen. Zum einen geht es darum, möglichst schnell den Eindruck von Stabilität und einer legitimierten Regierung als Gegenüber für internationale Akteure zu schaffen. Ziel ist es, das europäische Militär so bald wie möglich in großen Teilen abzuziehen, strategische Stellungen und Positionen zu halten und Kooperationen im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit, Rohstoffextraktion und Handel wieder aufzunehmen. Auch ist es im Interesse von Frankreich und anderen internationalen Akteuren, eine Kontinuität der alten politischen und wirtschaftlichen „Eliten“ zu sichern. Sie haben unter dem gegebenen Zeitdruck deutlich bessere Ausgangspositionen im Wahlkampf als neue politische Akteure.
Wie steht die malische Zivilgesellschaft zu den frühen Wahlen?
Kritik an den verfrühten Wahlen kommt auch aus der malischen Zivilgesellschaft. Sie hätte sich eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Ursachen der Krisen gewünscht, um so eine Grundlage für neue Lösungsansätze zu schaffen. Diese hätten jedoch mehr Zeit erfordert – und damit für die internationalen Akteure und insbesondere Frankreich das Risiko bedeutet, Einflussmöglichkeiten zu verlieren. Möglicherweise wären dann auch Forderungen nach grundlegenderen Reformen im Wirtschaftssystem aufgekommen, wie z.B. im Rohstoffabbau und –handel und für den Zugang zu Land.
Es gab auch demokratische Prozesse außerhalb des parlamentarischen Rahmens. Was ist daraus geworden?
Die medico-Partner in Mali haben seit Beginn des Konfliktes einen sogenannten. Nationalen Ratschlag (Concertations Nationales) gefordert, der in einem inklusiven und offenen Prozess unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen und Regionen die Ursachen der Krise analysieren und zu ihrer Überwindung sowie nationaler Versöhnung beitragen sollte. Dies versuchen sie nun auf Eigeninitiative im Zusammenschluss mit anderen Akteuren der malischen Zivilgesellschaft. So wurden in den letzten Wochen mehrere Treffen organisiert, zu denen VertreterInnen aller gesellschaftlichen Gruppen und Regionen eingeladen wurden – auch um die PräsidentschaftskandidatInnen hinsichtlich ihrer Programme zu befragen und diese zu diskutieren.
In Sierra Leone gab es nach der Befriedung des Landes durch die UN im Jahr 2002 sehr schnell einen Wahrheits- und Versöhnungsprozess und kurz darauf Wahlen. Viele Menschenrechtsorganisationen, darunter auch die medico Partner in Sierra Leone, beklagen, dass eine Chance vertan wurde, dass die Bevölkerung die demokratischen Gestaltung des Landes übernimmt. Gibt es vergleichbare Befürchtungen mit Blick auf die Wahlen in Mali?
In Mali stellt sich die Situation noch absurder dar! Die Wahlen sollen stattfinden, bevor man sich über die Ursachen der Krise ausreichend verständigt hat. Zwar wurde eine „Comission Dialogue“ eingereichtet, aber ihre Zusammensetzung ist in Mali äußerst umstritten. Zudem gibt es in Mali die Befürchtung, dass auch aufgrund des internationalen Einflusses nicht nur die Ursachen der Krise nicht bearbeitet werden, sondern alte Konflikte neuen Zündstoff erhalten. So gab und gibt es weiterhin in gesamt Mali eine große Bereitschaft, die Interessen aller Bevölkerungsgruppen in allen Regionen zu berücksichtigen und für einen nationalen Ausgleich unter Wahrung der territorialen Integrität einzutreten. Diese Bereitschaft wird jedoch erneut dadurch untergraben, dass bestimmte Gruppen (wie die Tuareg und die MNLA) in den Friedensverhandlungen privilegiert werden. Wenn in der Wahrnehmung der externen Akteure „Rebellen“, „Terroristen“, „Drogenhändlern“, „Tuareg“ oder „Arabern“ vermengt werden, ist das kontraproduktiv und schürt neue wie alte Polaritäten. Die während der vergangenen Monate begangenen Menschenrechtsverletzungen müssen transparent unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen und zivilgesellschaftlicher Akteure aufgearbeitet werden.
Wagst du eine Prognose für die weitere Entwicklung?
In der aktuellen Situation ist es schwierig, Prognosen zu wagen. Mein Eindruck ist, dass die MalierInnen trotz der widrigen Umstände einen enormen Willen zur Rückkehr zu Frieden, nationaler Integrität und Souveränität haben. Gleichzeitig wollen breite Bevölkerungsteile einen wirklichen Wandel und keine Kontinuität der alten „Eliten“ und Systeme. Die Vielzahl der KandidatInnen für die Präsidentschaftswahlen, die fehlende Zeit für die Präsentation und gesellschaftliche Diskussion ihrer Programme und der externe Einfluss auf den Verlauf der Wahlen sowie der Ausschlusses großer Teile der Bevölkerung vom Willenbildungsprozess und den Wahlen aufgrund von Vertreibung und Flucht lassen befürchten, dass ein neu gewählter Präsident über eine nur sehr schwache Legitimation und Glaubwürdigkeit verfügen wird. Auch dürfte der starke externe Einfluss auf die Durchführung der Wahlen nicht zu einer stärkeren Identifikation mit der Demokratie, dem Präsidialsystem und dem Zentralstaat nach französischen Vorbild beitragen. Zudem stärkt die Erfahrung externer (westlicher) Dominanz immer auch die radikal-religiösen Kräfte. In Mauretanien lässt sich diese Entwicklung schon mit Verweis auf Mali beobachten.