Direkter Draht der syrischen Demokratie

Das Netzwerk der lokalen Komitees an den Orten des Protestes

21.06.2011   Lesezeit: 4 min

Mitte März erreichte der arabische Freiheitsfunken bekanntlich auch Syrien. Aber anders als in Tunesien und Ägypten, wo die Massenaufstände das Momentum nutzen und die Potentanten zum Abdanken zwingen konnten, hat das syrische Regime blutig zurückgeschlagen. Die über 40-Jährige Alleinherrschaft der Baath-Partei hat das Land nicht nur ausgebeutet, sondern auch mit einer Kultur der Angst verkrüppelt. Seit Wochen tötet der syrische Sicherheitsapparat im Auftrag der Assad-Sippe nach Belieben.

Menschenrechtler sprechen von mindestens 1.200 Toten, Schulen und Fußballstadien wurden in Gefangenenlager und Folterzentralen umfunktioniert. Der Mut der Demokratiebewegung ist noch nicht gebrochen, aber springt der Funke nicht auf die Mittelschichten der städtischen Zentren Aleppo und Damaskus über, droht die völlige Niederschlagung des Aufstandes oder der Übergang in einen Bürgerkrieg niederer Intensität. Beides wird noch höhere Opfer fordern. Kein ernstzunehmender Vertreter der Opposition in Syrien fordert eine Militärintervention des Westens. Niemand möchte einen zweiten Irak oder libysche Verhältnisse. Syrien ist, im Gegensatz zu Libyen, ein Kernland der arabischen Region, in dem sich türkische, iranische und saudi-arabische Interessen kreuzen. Hinzukommt die Problematik der von Israel besetzten Golanhöhen, sowie die palästinensischen Flüchtlinge im Land. Niemand kann vorhersagen, welche Folgen der Sturz von Präsident Assad für die religiösen Minderheiten und nichtarabischen Bevölkerungsgruppen in Syrien, sowie die Stabilität in der gesamten Region hat. Denn fällt das alawitische Regime, könnte die Macht durch eine Ordnung der sunnitischen Mehrheit im Lande ersetzt werden. Entsprechend vorsichtig operieren die USA und die Europäische Union - nicht zu vergessen Israel - und setzen trotz erster Sanktionen auf den Status Quo. Auch die arabische Liga äußerte nach der aktuellen dritten Rede Assads am 20.7. erneut ihre Unterstützung für das Regime. Syrien sei „ein wichtiger Faktor des Gleichgewichts und Stabilität in der Region“, sagte der stellvertretende Generalsekretär der Liga, Ahmed bin Heli.

Dennoch ist schon heute klar, dass auch Präsident Assad ein Akteur ohne Erbe ist. Die Jahrzehnte der Furcht, der Bann aus staatlicher Willkür und Folter, der syrische Gesellschaft gefangen hielt, sind aufgebrochen. Auf einmal bedeutet das Konzept Wechsel nicht länger lediglich Militärputsch, sondern die Zuschauer übernehmen selbst die Regie. Auch das Assad-Regime war es gewöhnt, seiner Bevölkerung mit Herablassung zu begegnen. Der Präsident sprach zwar vom Dialog, sah aber in den Empfängern seiner Botschaften bloßes Publikum. Diese autokratische Taubheit, die gesellschaftliche Kritik bestenfalls als abstruses Geräusch einer undifferenzierten Masse registriert, wurde auch in Syrien zu einem entscheidenden Faktor für die Dynamik der Revolte. So behaupte Assad immer wieder, dass in erster Linie „feindliche Kräfte“, im speziellen die im Land verhassten Amerikaner und „Zionisten“ hinter dem Aufruhr steckten.

Das Netzwerk Local Coordination Committees of Syria

Das Netzwerk Local Coordination Committees of Syria (LCCSyria) ist eine Dachorganisation von 15 lokalen Komitees, die sich im Zuge des aktuellen syrischen Aufstandes bildeten. Die lokalen Koordinationsausschüsse organisieren nicht nur Treffen und Demonstrationen in Syrien, sondern tragen via Internet die aktuellsten Informationen zusammen. Die Komitees sind dabei heterogen besetzt - von jungen Internetaktivisten, über Menschenrechtler bis hin zu Oppositionellen, die schon seit Jahren im Widerstand gegen das Assad-Regime stehen. Einige von ihnen, wie etwa der 28-jährige Student der Politikwissenschaften und Internetaktivist Rami Nahkle berichtete unter dem Pseudonym Malath Aumran seit Jahren aus Damaskus in einem Blog über Menschenrechtsverletzungen und Protestaktionen. Über 40mal wurde er dabei von der Geheimpolizei zu Verhören geladen, ohne dass sie den Zusammenhang zwischen ihm und seinem Internet-Decknamen Malath feststellen konnten. Erst durch die Verhaftung eines Bekannten im Januar dieses Jahres kam die syrische Staatssicherheit auf seine wirkliche Identität. Daraufhin floh Nahkle über die grüne Grenze in den Libanon. Seitdem kämpft von Verstecken in Beirut aus an der virtuellen Front. Er sammelt die aus täglichen Informationen des Widerstands aus Syrien, prüft über Skype- und Telefonkontakte ihren Wahrheitsgehalt, um sie dann zu veröffentlichen.

Öffentlichkeit für die Protestbewegung

Das Oppositionsbündnis LCCSyria gilt mittlerweile als die am besten vernetzte Struktur der Freiheitsbewegung. In einer am 19. Mai veröffentlichten Erklärung forderte das LCCSyria den endgültigen Abtritt von Präsident Assad. Die Macht müsse an die Armee abgegeben und das Land zu einer Demokratie werden. Eine international überwachte Konferenz solle binnen der nächsten Monate eine neue Verfassung erarbeiten. Es müsse verhindert werden, dass Syrien ins Chaos stürze, erklärte die Opposition weiter. Seit Beginn der Proteste seien mehr als 10.000 Syrer festgenommen worden. medico wird dem Netzwerk der jungen syrischen Demokratie solidarisch zur Seite stehen und es unterstützen.

Die Nachrichten aus dem syrischen Sommer können Sie auf www.lccsyria.org verfolgen. Dort kann auch ein regelmäßiger täglicher Newsletter abonniert werden.

Das Spenden-Stichwort der Hoffnung lautet: Nahost.


Jetzt spenden!