Moving Europe

Ein Rasthaus auf der Balkanroute

01.09.2016   Lesezeit: 6 min

Viele Flüchtlinge haben Gewalt erfahren. Schutz und Ruhe, wenigstens für kurze Zeit, bekommen sie im von medico unterstützten Rasthaus in Belgrad.

Obwohl die sogenannte Balkanroute im März dieses Jahres offiziell geschlossen wurde, versuchen nach wie vor Menschen über die Balkanländer nach Westeuropa zu gelangen. Dem UNHCR zufolge steigen die Zahlen derzeit sogar wieder. Aufgrund der offiziellen Schließung der Route sind die Flüchtlinge auf gefährlichere und teurere Wege verwiesen. Das Schlepperwesen blüht. In Serbien kommen jeden Tag um die hundert Menschen aus Bulgarien und Mazedonien an, die auf eine Weiterreise durch Ungarn hoffen. Der Grenzübertritt nach Ungarn ist seit Juli jedoch noch einmal deutlich schwieriger geworden, da Ungarn seine Grenzkontrollen verschärft hat. Hunderte warten an den Grenzübergängen, viele übernachten in wilden Lagern. Die Umstände sind miserabel. Einige sprechen in Anspielung auf das geräumte Lager an der mazedonisch-griechischen Grenze von „neuen Idomenis“.

Dem UNHCR zufolge sitzen derzeit rund 4.400 Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten in Serbien fest. Viele haben schlimme Gewalterfahrungen auf der Reise gemacht, Raubüberfälle oder brutale Rückschiebungen durch den Grenzschutz. Ihnen wenigstens für kurze Zeit Schutz und Ruhe zu bieten, ist das Ziel des von medico unterstützten Rasthauses in Belgrad.

Das Belgrader Rasthaus

„Wegen des Bürgerkriegs in den 1990er Jahren gab es immer viele Flüchtlinge in Serbien. Das ist etwas, was viele Leute hier kennen, und es ist klar, dass wir etwas tun müssen.“ Marco führt das ehemalige Starhostel in Belgrad zusammen mit seinem Bruder und seinem Cousin. Im Moment sind dort andere Reisende als sonst: Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten, die versuchen, nach Zentraleuropa zu gelangen. Im Hostel finden sie einen ruhigen Ort, wo sie sich ein wenig ausruhen können, bevor sie tage- oder wochenlang unter miserablen Bedingungen an den Transitzonen vor der ungarischen Grenze warten müssen. Viele Flüchtlinge in Belgrad berichten von Gewalt und Misshandlungen, die sie auf ihrem Weg nach Serbien erfahren haben.

Seit der offiziellen Schließung der Balkanroute ist Belgrad wieder zu einer wichtigen Drehscheibe für die Durchreisenden geworden. Täglich kommen Hunderte in der serbischen Hauptstadt an. Die meisten reisen über Mazedonien oder Bulgarien ein.

Viele Flüchtlinge in Belgrad berichten von Gewalt und Misshandlungen, die sie auf ihrem Weg nach Serbien erfahren haben. In Mazedonien werden die Menschen häufig nach Griechenland zurückgetrieben, obwohl solche „Pushbacks“ illegal sind. Sie wählen daher häufig besonders gefährliche und mühevolle Routen, um über die Grenze zu gelangen. Auch diejenigen, die über Bulgarien kommen, berichten von Gewalt entlang der Route. Häufig kommt es hier zu Raubüberfällen. Viele Menschen kommen vollkommen erschöpft in Belgrad an und einige leiden unter ernsten Gesundheitsproblemen.

Ein Zufluchtsort für Flüchtlinge

K. und ihre Tochter M. wollen nach Deutschland. Zwei Wochen lang liefen sie über die mazedonischen Berge. Als die beiden in Serbien ankamen, konnten sie kaum noch laufen und hatten geschwollene Füße. „Es war eine verstörende Reise. Wir mussten über Berge laufen und Flüsse überqueren. Und auch als wir zwei Tage lang nichts zu essen hatten, mussten wir weiterlaufen. Das war extrem hart.“

Durch Serbien zu reisen, gilt als relativ sicher. Nur wenige Flüchtlinge berichten über Probleme mit der serbischen Polizei. Die meisten bleiben für einige Tage in Belgrad und versuchen, sich hier ein wenig zu erholen, bevor sie ihre Reise Richtung Ungarn und Österreich fortsetzen.

Gemeinsam mit Moving Europe unterstützt medico international das ehemalige Starhostel in Belgrad, das jetzt als Rasthaus für Flüchtlinge, Migranten und Migrantinnen dient. Bis zu 35 Menschen können hier unterkommen. Vor allem Familien, unbegleitete Minderjährige und Kranke ruhen sich hier von den Strapazen der Reise aus. M. erklärt:

„Endlich ein sauberer Ort, wo wir duschen und unsere Kleider waschen können. Außerdem haben wir hier die Möglichkeit, uns mal in unser Zimmer zurückzuziehen und können ungestört schlafen.“

Wieder zu Kräften kommen

Für Ahmed, der mit seinem Bruder zusammen unterwegs ist, ist das Hostel ein Ort, wo er mit Respekt behandelt wird. „Die Betreiber sind nett und hilfsbereit. Sie sind immer da, selbst wenn Leute nachts ankommen, öffnen sie die Türen und zeigen ihnen die Zimmer. Es gibt immer etwas zu essen, Tee und Kaffee, und wir können unser eigenes Essen zubereiten“, erklärt Ahmed, während er ein traditionelles Hühnergericht in der Küche kocht.

Ein syrischer Vater hat eine Woche mit seiner Familie in dem Hostel verbracht und bereitet sich nun auf die Weiterreise in Richtung ungarischer Grenze vor: „Meine Frau war krank, deshalb mussten wir in Belgrad bleiben und konnten nicht weiterreisen. Es war ein großes Glück, dass wir in dieser Zeit hier im Hostel sein konnten.“

Das Rasthaus wurde 2015 ins Leben gerufen, als die Zahl der Flüchtlinge, die in Belgrad ankamen, rapide stieg. Die Menschen schliefen in den Parkflächen neben dem Bahnhof. Damit wenigstens die besonders Vulnerablen und Kranken ein Dach über dem Kopf haben, wurde das Hostel in ein Rasthaus für Flüchtlinge umgewandelt. Marco, der das Hostel seit fast zehn Jahren führt, erzählt, dass das Rasthaus immer “ausgebucht” ist.

„Vor allem im Winter war es sehr hart. Viele Menschen waren auf der Suche nach einem warmen Platz zum Schlafen, erklärt Marco. Da wir das Hostel in den Wintermonaten ohnehin schließen, da dann nicht viele Touristen nach Belgrad kommen, kam uns die Idee, es für Migrantinnen und Migranten zu öffnen.“

Jeden Tag kommen neue Leute an und andere verlassen das Haus. Die Leute werden von Hilfsorganisationen und Freiwilligen zum Hostel geschickt, die in den Parks arbeiten, in denen sich viele Flüchtlinge aufhalten. Menschen verschiedenster Nationalitäten wohnen im Haus. Es werden zwar bevorzugt vulnerable Personen und Familien mit Kindern beherbergt, aber wenn es freie Betten gibt, dürfen auch alleinreisende Männer im Hostel übernachten.
 

Neben fünf Schlafzimmern gibt es eine Gemeinschaftsküche, zwei Badezimmer mit Waschmaschinen und einen Garten. Draußen spielen Kinder Ball. „Die Atmosphäre im Haus ist wirklich gut, die Menschen organisieren sich selbst“, erzählt Marco. „Natürlich gibt es auch Konflikte und manchmal halten sich Leute nicht an die Regeln, aber bisher gab es keine größeren Probleme. 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche begrüßen wir Neuankömmlinge und helfen bei Problemen.“

Marco ist froh, dass das Hostel auch in der Nachbarschaft gut angenommen wird. „Die Location ist ideal, weil es keine direkten Nachbarhäuser gibt. Deshalb gibt es auch keine Beschwerden wegen Lärm. Manchmal kommen sogar Leute vorbei und bringen Essen, Kleider oder Spielsachen für die Kinder.

Nadelöhr Belgrad

In den letzten Wochen ist die Zahl der Menschen, die erstmal in Belgrad bleiben, erneut gestiegen. Einerseits kommen mehr Leute aus Griechenland an. Andererseits hat Ungarn seine Grenzkontrollen verschärft und treibt mehr Menschen zurück. Belgrad ist so zu einem Nadelöhr geworden. Das offizielle Lager Krinjaca in Belgrad ist überfüllt und viele Leute schlafen draußen. Die extrem schlechten Bedingungen in den inoffiziellen Transitlagern an der ungarischen Grenze und die Gewalt, die Menschen beim Grenzübertritt nach Ungarn erfahren, veranlasst viele, für einige Tage nach Belgrad zurückzukehren. L., die mit ihren Kindern im Rasthaus untergekommen ist, erzählt:

„Wir haben die Grenze nach Ungarn überquert, aber die Polizei hat uns geschnappt und gezwungen zurückzugehen. Wir mussten einen Fluss mit Abwasser durchqueren, das uns bis zum Hals stand. Zurück in Belgrad waren wir froh, dass wir im Hostel unterkommen konnten. Wir haben erstmal geduscht, unsere Wäsche gewaschen und uns ausgeruht, nach allem, was wir erlebt hatten.“

Rasthäuser entlang der Balkanroute sind wichtig, um Menschen auf der Flucht zu unterstützen. Diese Orte bieten auch die Möglichkeit, unabhängige Informationen über die Route zu erhalten und die nächsten Schritte in Ruhe zu planen.

Spendenstichwort: Moving Europe


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