Für Innovation und Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln!

21.07.2007   Lesezeit: 5 min

Ein Alternativentwurf, entwickelt auf der Konferenz "Patienten, Patente und Profite", initiiert von medico international, Brot für die Welt, BUKO Pharma-Kampagne, Misereor

Situationsbeschreibung

Der beispiellose medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte ist an der Mehrheit der Weltbevölkerung nahezu vollständig vorbeigegangen. Bald 13 Millionen Menschen sterben jährlich an Krankheiten, die eigentlich behandelbar wären. Sie sterben an Tuberkulose, Malaria, HIV/AIDS und anderen armutsbedingten Krankheiten, deren Ausbreitung durch Unterernährung, unsauberes Wasser, mangelnde Hygiene und das Fehlen funktionierender Gesundheitsdienste begünstigt werden. Sie sterben aber auch, weil Pharma-Patente als de-facto Monopole dafür sorgen, dass selbst lebensnotwendige Medikamente unerschwinglich teuer sind oder gar nicht erst entwickelt werden.

Zu den Unzulänglichkeiten des gegenwärtigen patentgestützten Forschungsmodells gehört, dass vorwiegend Medikamente und Impfstoffe entwickelt werden, die eine zahlungskräftige Kundschaft finden. Systematisch werden die Gesundheitsbedürfnisse von Menschen, die über keine oder zu geringe Kaufkraft verfügen, vernachlässigt. Damit werden gerade jene Menschen vom Zugang zu Arzneimitteln ausgeschlossen, die sie am dringendsten bräuchten. Der Forschungsehrgeiz der Industrie richtet sich weniger auf lebensrettende Innovation, als auf finanziell lohnende und höchst profitable "me-too-Präparate" (Arzneimittel, die sich durch geringe chemische Veränderung eines bereits bekannten Wirkstoffes von diesem unterscheiden).

Patente aber beeinträchtigen nicht nur den Zugang zu wirksamen Arzneimitteln, sie hemmen auch die Innovation selbst. Zeitgemäße Forschungsprozesse, die von freien Informationen und einem offenen Datenaustausch zwischen global vernetzten Forschungseinrichtungen leben, werden durch rechtliche Beschränkungen erschwert. Ein Dickicht wuchernder Schutzpatente, die nur die Funktion haben, lukrative Marktsegmente gegen Konkurrenten abzusichern, behindert die Innovation. So nimmt es nicht wunder, dass trotz wachsender Forschungsaufwendungen der Output der pharmazeutischen Industrie an medizinischer Innovation zurückgeht.

Wir sind der Überzeugung, dass eine grundlegende Neuausrichtung der Arzneimittelforschung dringend geboten ist. Gefordert ist eine neue Balance zwischen den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen und den für die pharmakologische Forschung & Entwicklung eingesetzten Geldmitteln. Dafür braucht es neue Anreize, jenseits von Patenten. Nicht Innovation um jeden Preis ist gefragt, sondern Innovation, die allen zugänglich ist.

Wir sehen zwei Handlungsebenen, um Zugang und Innovation zu verbessern

1. Verbesserung des Zugangs zu patentgeschützten Arzneimitteln

Die Vorstellung, über eine "globale Harmonisierung" (sprich: die Verschärfung) des Patentschutzes den Zugang zu Arzneimitteln verbessern zu können, ist ein gefährlicher Irrglaube, der vielen Menschen den Tod bringen wird, da sie durch ein verschärftes Patentrecht nur schwerlich Zugang zu lebenserhaltenden Medikamenten bekommen. Noch ist die Welt zu heterogen, als dass über ein einheitliches Patentsystem entschieden werden kann. Stattdessen gilt es, die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus zu berücksichtigen und die patentrechtlichen Flexibilitäten politisch umzusetzen, die im TRIPS Abkommen festgelegt wurden und mit der "Doha Erklärung über Geistige Eigentumsrechte und öffentliche Gesundheit" (2001) nochmals bestätigt wurden.

Wir sehen die Notwendigkeit zur:

  • Unterstützung von Entwicklungsländern beim Aufbau eigener Produktionskapazitäten (Technologietransfer) und leistungsfähiger regionaler Verteilungssysteme
  • Einrichtung eines Patentpools zur einfacheren und kostengünstigeren Handhabung von Lizenzverträgen.
  • Nutzung von Zwangslizenzen und der anderen TRIPS-Flexilibitäten im weitest möglichen Maße. Länder, die zur Beantwortung bestehender Gesundheitsbedürfnisse das Recht auf Erteilung von Zwangslizenzen in Anspruch nehmen, verdienen Unterstützung, nicht aber den politischen und wirtschaftlichen Druck seitens betroffener Patenthalter und deren Regierungen.

2. Essentielle Arzneimittelforschung

Gesundheitsforschung ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die öffentlicher Finanzierung und staatlicher Regulierung bedarf. Auch wenn Public Private Partnerships (PPPs) heute einen wichtigen Beitrag dazu leisten, warnen wir davor, ihre Bedeutung zu überschätzen. Insbesondere dann, wenn solche Partnerschaften maßgeblich vom Goodwill privater Großstifter bzw. dem Marketinginteresse von Unternehmen abhängen, bieten sie keine Gewähr für eine nachhaltige Finanzierung. Langfristige Sicherung essentieller Gesundheitsforschung gelingt nur über die Schaffung eines transparenten und demokratisch legitimierten Rahmens, der sowohl Prioritäten zu setzen vermag als auch die notwendigen neuen Anreize geben kann.

Im Einzelnen folgt daraus:

  • Die Schaffung einer zwischenstaatlichen Einrichtung, die zur Festlegung von Forschungsprioritäten fähig und legitimiert ist (z.B. bei der WHO).
  • Die Abkoppelung der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung von den Arzneimittelpreisen.
  • Die Einführung neuer Forschungsanreize, beispielsweise durch einen "Prize Fund", der erfolgreiche therapeutische Innovation finanziell angemessen belohnt, statt Forschungskosten über das Gewähren von Monopolen zu refinanzieren - und damit hohe Medikamentenpreise in Kauf zu nehmen. Kritisch hinterfragt werden sollten in diesem Kontext Anreize, die alleine auf die Erzeugung von Nachfrage setzen, wie "Advanced Market Commitments" (AMC). Solche vorab gegebenen Abnahmegarantieren können zwar zur Forschung, insbesondere ihrer letzten Stufen anstoßen, sie ändern aber nichts an dem Grundproblem, dass der Zugang zu essentiellem und öffentlich finanziertem Gesundheitswissen durch privat gehaltene Patente eingeschränkt bleibt.
  • Die direkte öffentliche Finanzierung essentieller Gesundheitsforschung, um gezielt und bedarfsgerecht die Entwicklung von Impfstoffen, Diagnostikverfahren und Arzneimitteln in Auftrag zu geben bzw. über Zuschüsse in Gang zu setzen.
  • Die Schaffung von globalen Finanzierungsmechanismen, mit der erschwingliche medizinische Innovationen für alle nachhaltig sichergestellt werden kann. Die dafür notwendigen Kosten müssen von allen Ländern gemeinsam getragen werden. Auch die ärmeren Länder sollen entsprechend ihrer Möglichkeiten einen Beitrag leisten.

Wir fordern eine an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichteten Politik, die Arzneimittel, wie auch andere unentbehrliche Güter der Daseinvorsorge als öffentliche Güter begreift, die prinzipiell von Monopolen und exklusiven Vermarktungsrechten ausgenommen sind müssen, damit sie allen Menschen zugänglich gemacht werden.

Initiiert von:

Brot für die Welt, BUKO - Pharma-Kampagne, medico international, Misereor

Unterzeichner

Aktionsbündnis gegen AIDS, Health Action International (HAI), European AIDS Treatment Group, IPPNW – Ärzte in sozialer Verantwortung, Médecins Sans Frontières (MSF), medico international (Schweiz), Seeds Action Network (SAN)


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