Gesundheit: An die Patente muss man ran

21.07.2007   Lesezeit: 6 min

Der südafrikanische Anwalt und AIDS-Aktivist, Jonathan Berger, über die Auseinandersetzungen mit Regierung und Pharmafirmen um den Zugang zu AIDS-Medikamenten und die Frage wie eine 100-prozentige Versorgung von AIDS-Patienten ermöglicht werden könnte.

medico: Wie viele Menschen haben derzeit Zugang zu AIDS-Medikamenten und Behandlung in Südafrika?

Jonathan Berger: Die uns vorliegenden Zahlen sind nur bedingt zuverlässig. Denn im staatlichen Gesundheitssektor, der für 80 Prozent der Bevölkerung zuständig ist, gibt es kein gutes Evaluations- und Monitoringsystem. Im öffentlichen Sektor werden ca. 250.000 Patienten mit antiretroviralen Medikamenten behandelt, im privaten 90.000. Der private Sektor versorgt alle, die selbst bezahlen, krankenversichert sind oder Medikamente direkt vom Arbeitgeber, meist großen Firmen, erhalten. Damit sind etwa 30-40 Prozent des gesamten Bedarfs in Südafrika gedeckt. Eigentlich bräuchten heute 700.000 Menschen Medikamente. Im Jahr 2011 werden es bereits 1,65 Millionen sein. Es ist also noch ein langer Weg zu gehen, bis wir eine 100-prozentige Versorgung erreichen werden.

Welche Rolle spielt die Höhe der Medikamentenpreise für den Zugang in Südafrika?

Noch erhält die große Mehrheit der Patienten Medikamente aus der ersten Generation. Hier gibt es aufgrund des langen Kampfes gute Preise. Wenn aber die Kranken Resistenzen entwickeln und auf Medikamente der zweiten oder gar dritten Generation umsteigen müssen, wird der Preis ein enormes Hindernis darstellen. Denn viele sind noch immer unter Patent und teuer. Derzeit bietet kein staatliches Programm Medikamente der dritten Generation an. Außerdem ist die Preis- und Lizenzpolitik der Pharmaindustrie ein großes Hindernis bei der Gewährleistung einer adäquaten Behandlung.

Kann die südafrikanische Medikamentenproduktion nicht für Abhilfe sorgen?

Kein Medikament wird vollständig in Südafrika produziert. Die Generika-Firma "Aspen Pharmacare" versorgt den öffentlichen Sektor. Doch sie muss alle Wirkstoffe importieren. Die derzeit wichtigsten Medikamente sind Efavirenz und Kaletra von Merck und Abott. Beide Produkte müssen komplett importiert werden. Abott weigert sich Lizenzen zu vergeben – weder für die lokale Produktion noch für den Import von Generika. Merck hat Aspen lizenziert, aber nur für Efavirenz als Einzelprodukt. Efavirenz als Teil einer Kombination ist ebenfalls nicht lizenziert worden. Daraus ergeben sich enorme Probleme. Der Vorteil eines Kombinationspräparats liegt auf der Hand: Nämlich nur eine Pille pro Tag. Das ist ganz offenkundig eine viel einfachere und praktikablere Therapie. Die Nebenwirkungen sind geringer, weniger medizinisches Personal ist nötig, die Einnahmesicherheit ist wesentlich höher und so auch der therapeutische Erfolg. Doch Merck verweigert die Lizenz und die südafrikanische Regierung ist leider überhaupt nicht bereit eine Zwangslizenz zu verhängen. Außerdem gibt es keine lokale Konkurrenz für Aspen. Also hält auch diese Firma den Preis künstlich hoch. Aspen verlangt für Efavirenz 240 US-$ pro Patient und Jahr. Die indische Generika-Firma Cipla produziert dasselbe Medikament für 164 US-$. Macht einen Unterschied von 80 US-$. Cipla besitzt aber von Merck keine Lizenz und darf deshalb nicht nach Südafrika verkaufen.

Kürzlich sorgten Pressemeldungen über niedrige Preise, ausgehandelt durch die Clinton Foundation weltweit für Furore. Ist das kein Ausweg für Südafrika?

Die Clinton Foundation hat gute Preise für AIDS-Medikamente ausgehandelt. Aber sie hat die Patenthindernisse nicht angetastet. So gehört laut Clinton Foundation Südafrika zu den 66 Ländern, für die niedrigere Preise gelten müssten. Nur leider wird die Vereinbarung nicht wirksam, weil Südafrika wegen der Patentbarrieren nicht an die Medikamente gelangt. Insbesondere zum Kombinationsprodukt aus Tenofovir, Efavirenz und 3TC für weniger als 1 US-$ am Tag bekommen wir keinen Zugang wegen der Patente. Deswegen organisieren wir Aktionen gegen Merck und Abott.

Weil Merck und Abott die Lizenzen verweigern?

Ja. Sie könnten freiwillige Lizenzen vergeben – beide. Merck weigert sich mit der Begründung, ihr Preis liege nur noch bei den Produktionskosten. Aber Merck verlangt 237 US-$, Cipla nur 164 US-$. Auch Abott behauptet, die Firma würde nichts mehr verdienen und sogar Verlust machen. Wenn das Geschäft so schlecht läuft, dann könnte man doch auch Lizenzen vergeben.

Warum verhängt Südafrika keine Zwangslizenzen?

Die Regierung weigert sich bislang Zwangslizenzen zu verhängen, obwohl aus unserer Sicht dringender öffentlicher Bedarf vorhanden ist. Vielleicht geht hier Handel vor Gesundheit. Die Treatment Action Campaign setzt sich seit langem für die Anwendung dieses legalen Mittels ein. Außerdem könnten wir auch Spielräume der südafrikanischen Verfassung nutzen. Gerade haben wir eine Klage anhängig, weil wir glauben, dass die Lizenzverweigerung von Big Pharma gegen das südafrikanische Wettbewerbsrecht verstößt. Das ist von großer Bedeutung. Denn wir müssen den Weg für mehrere Anbieter in diesem Bereich frei machen. Wir brauchen Lizenzen für günstigere Produkte, bessere Kombinationen und nachhaltige Versorgung. Eine einzige Pharmafirma für die Behandlung von 1,65 Millionen Patienten reicht nicht. Abott und Merck sollen vor der Wettbewerbskommission erklären, warum sie nicht lizenzieren. Die Kommission muss die negativen Auswirkungen prüfen und mit dem Verfassungsrecht auf Zugang zu Behandlung abwägen. Wir halten das Geschäftsgebaren der Konzerne für ungesetzlich.

Jetzt hat die Regierung ihre AIDS-Politik verändert. Welche Folgen wird das für das Gesundheitssystem in Südafrika haben?

Das ist ein großer Erfolg. Aber manche haben Befürchtungen, dass das ganze Gesundheitssystem auf die AIDS-Behandlung umgestellt wird und alle anderen gesundheitlichen Fragen vernachlässigt werden. Deshalb müssen die AIDS-Programme so umgesetzt werden, dass das gesamte Gesundheitswesen gestärkt wird. Die Ziele lassen sich nur realisieren, wenn folgendes gelingt: Die Personalkrise muss angegangen werden. Dazu gehört der Mangel an Ärzten und Krankenschwestern. Krankenschwestern müssen viel mehr tun dürfen. Ihnen kann man viel mehr Verantwortung übertragen. Selbst die noch geringer qualifizierten Gesundheitsarbeiter wären dazu in der Lage. Vor allen Dingen der Klientelismus der Ärzte verhindert das bislang und damit auch den Zugang zur Behandlung. Wir brauchen eine gute und effiziente Zulassungsbehörde. Wenn man es schafft diese Elemente zu verbessern, wird das gesamte Gesundheitswesen davon profitieren.

Die Treatment Action Campaign ist eine der wichtigsten sozialen Bewegungen des Südens für gleiches Recht auf Behandlung. Ihr habt Medikament für Medikament durchgefochten, wie lange kann man eine solche Arbeit noch fortsetzen?

Wir müssen immer noch Druck machen, damit sich überhaupt etwas bewegt. Seit 1998 kämpfen wir. Es hat 8 lange Jahre gedauert, bis wir durchsetzen konnten, dass doch eine beachtliche Zahl von Menschen Zugang zur Behandlung hat. Endlich ist nun die Regierung umgeschwenkt. Es gibt einen überprüfbaren strategischen Regierungsplan bis 2011, der klare Ziele formuliert und Patientenzahlen sowie Zeitpläne beinhaltet. Aber an den Auseinandersetzungen mit Abott und Merck sieht man, dass wir noch lange nicht am Ende dieses Kampfes stehen. Tatsächlich aber können wir nicht immer für jedes einzelne Medikament kämpfen. Es muss grundsätzliche Änderungen im Patentrecht geben, damit Generika-Firmen die wichtigsten Medikamente herstellen und in die armen Länder liefern können. Daran führt kein Weg vorbei.

Das Interview führten: Katja Maurer und Bernd Eichner.


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