Geschichte einer Partnerschaft

Seit vielen Jahren kooperiert medico mit der südafrikanischen Organisation Sinani

20.07.2010   Lesezeit: 5 min

Auf Veranstaltungen und in Gesprächen werden wir immer wieder gefragt: Wie kommt eine Partnerkooperation zustande? Formal ist das einfach zu erklären. Die südafrikanische Organisation Sinani, mittlerweile ein guter langjähriger Partner, hatte 1999 einen Antrag auf Unterstützung seiner Friedens-Arbeit mit Frauen und Jugendlichen in der südafrikanischen Provinz KwaZulu- Natal gestellt. Und wir bewilligten ihn. Die Geschichte dahinter ist viel komplexer. Die GründerInnen der Organisation kannten wir schon seit vielen Jahren. Sie hatten als Psychologen während der Apartheid-Zeit freigelassene Gefangene betreut, die zumeist schwer gefoltert worden waren. Sie gehörten zur Emergency Service Group, in der Psychologen und Mediziner während der Kämpfe gegen das rassistische Regime Opfer physisch und mental betreuten. medico hatte diese Gruppe finanziell unterstützt und war auch in Deutschland Teil der Solidaritätsgruppen, die sich mit öffentlichen Aktionen gegen das Apartheid-Regime wandte. Dann kam das Ende des Apartheid-Regimes und jeder setzte andere Prioritäten.

Einige der PsychologInnen begannen in der Provinz KwaZulu-Natal zu arbeiten, weil die noch von der weißen Regierung geschürte Gewalt unter der dortigen schwarzen Bevölkerung in bürgerkriegsähnliche Konflikte mit vielen Toten eskalierte und eine ernsthafte Bedrohung für die politische Entwicklung eines befreiten Südafrikas darstellte.

In den Konfliktgemeinden in KwaZulu-Natal waren die PsychologInnen mit neuen Fragen konfrontiert. Denn diese Bürgerkriegssituation war etwas anderes als die staatliche Repression, mit der sie sich zuvor auseinandergesetzt hatten. Klassische Therapiegespräche schienen bei den völlig verarmten Gewaltvertriebenen aus den eher ländlichen Gemeinden nicht das richtige Angebot zu sein. Sinani wandte sich radikal von allen einzeltherapeutischen Ansätzen der ‚Behandlung’ posttraumatischer Störungen ab und begann die Suche nach geeigneten Strategien, Gemeinden zu unterstützen, um mit den zerstörerischen Dynamiken und traumatischen Folgen politischer und sozialer Gewalt umzugehen.

Als wir die Sinani-KollegInnen Jahre später auf einer Konferenz in Maputo wieder trafen, entwickelten sich gleich intensive kritische Gespräche über das Problem von westlich-klinisch orientierter ‚Traumaarbeit’, die mit ihrem individuellen Ansatz in einem Bürgerkriegskontext wie in KwaZulu-Natal nicht hinreichend erschien. Obwohl wir lange nichts von einander gehört hatten, bewegten wir uns in den psychosozialen Fragen wieder in einer ähnlichen Denkrichtung und einem ähnlichen Arbeitsansatz. Die Voraussetzungen für eine gemeinsame Arbeit waren wieder gegeben und die Grundlage für eine lange Kooperation, die sich auch in schwierigen Herausforderungen immer bewährte. Wir begannen als Erstes, die Arbeit mit Frauen und Jugendgruppen in den Konflikt-Gemeinden kontinuierlich finanziell zu fördern.

Sehr bald stellte sich heraus, dass eine wirksame Deeskalation des Konfliktes nicht nur an der Basis geschehen kann, sondern die Einbindung der Gemeindeführer notwendig machte. Sinani fragte nach unserer Unterstützung für ein großes Pilotprojekt mit Gemeindeführern. Wir bemühten uns deshalb um öffentliche Zuschüsse aus einem neuen Förderprogramm im Auswärtigen Amt: Zivik – Zivile Konfliktbearbeitung. Es klingt paradox, aber damit wurde die Kooperation zwischen medico und Sinani einer ersten wirklichen Belastungsprobe ausgesetzt. Vor Ort experimentierten die KollegInnen mit verschiedenen Maßnahmen, um die Gemeindeführer in einem nach wie vor brandheißen Konflikt zu erreichen und ein gemeinsames Gesprächsforum einzurichten. Zur gleichen Zeit versuchten wir, das mit den Förderrichtlinien und Verwaltungsanforderungen des Auswärtigen Amts in Einklang zu bringen. Das wiederum war damals selbst noch dabei, ein Profil des Programms zu entwickeln. Manchmal war ein wirklicher Spagat nötig, um die auseinanderdriftenden Interessen zusammenzuhalten. Es gelang, weil es eine offene und intensive Kommunikation zwischen medico und Sinani gab, und weil für medico nicht die reibungslose Abwicklung von Zuschüssen im Mittelpunkt stand, sondern die Eigenständigkeit des Partners. Wir schrieben mit viel Aufwand immer wieder Änderungsanträge. Es hat sich gelohnt: Das Projekt endete erfolgreich und Zivik machte es als ein Beispiel für ‚Best-Practice’ öffentlich.

Eine Nagelprobe: Korruption

Partnerorientierung muss sich auch in schwierigen Zeiten bewähren. Sinani deckte 2005 in den eigenen Reihen einen Korruptionsfall (die Summe bewegte sich im vierstelligen Bereich) auf. Nach einer so langen Partnerschaft war das für alle Beteiligten ein Schock. In der Krise bewährte sich unsere inhaltliche Übereinstimmung und das System, das wir zuvor entwickelt hatten: Möglichst viele partizipative Prozesse und Strukturen tragen dazu bei, Transparenz zu schaffen und klare Regeln zu vermitteln. Öffentlichkeit und Rechenschaftspflicht auf allen Ebenen, zwischen den Gemeinden und Sinani, Sinani und medico, medico und Spendern wie Zuschussgebern, vermindern die Grauzonen, in denen Korruption blüht. Der Fall wurde schnell offenkundig und vor allen Dingen ohne Beschönigung und in offener Debatte uns mitgeteilt. Im Ergebnis nahm weder Sinani noch die Kooperation mit medico Schaden. Mit mehreren Süd-Süd-Projekten, unter anderem zur Unterstützung von medico-Partnern in Sierra Leone, mit neuen Projekten im Bereich der Männer- Arbeit, in der wegweisenden Arbeit mit Aids-Waisen hat sich die Kooperation zwischen medico und Sinani seither kontinuierlich entwickelt.

Sinani hat mit seinem umfassenden Gemeindeentwicklungsansatz, seit 15 Jahren in mehr als 20 Gemeinden erprobt, inzwischen breite Anerkennung in Südafrika und darüber hinaus gefunden. Weil die Anfragen nach Fortbildung und Beratung mittlerweile so zahlreich sind, wollen wir nun ein systematisches Fortbildungsprogramm auf der Basis der Ansätze und Erfahrungen entwickeln und perspektivisch in Form von zertifizierten Kursen anbieten. Die ersten Curricula sind 2009 entwickelt worden, geplant ist die Fertigstellung des Programms 2011.

Wenn es gelänge, ein solches Fortbildungsprogramm auch für Teilnehmer aus anderen Konfliktregionen in Afrika oder anderswo anzubieten, dann hätten wir auch das gemeinsame Wissen, die langjährigen Erfahrungen der Kooperation und der Entwicklung von Konzepten in einem institutionellen Rahmen festgehalten und weitergegeben. So kann Partnerorientierung zur Entwicklung aller beitragen.

Projektstichwort: Südafrika

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