"Marshallplan mit Afrika"

Guter Plan oder schlechter Witz?

16.05.2018   Lesezeit: 5 min

Würde das Entwicklungshilfeministerium seinen 2017 vorgelegten "Marshallplan mit Afrika" ernst nehmen, wäre die gesamte deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik in Frage gestellt. Was halten medico-Partner in Kenia und Simbabwe davon?

Von Anne Jung

„Europa hat seine Afrikapolitik an kurzfristigen Wirtschafts- und Handelsinteressen ausgerichtet.“ Wie wahr. „Es ist notwendig, die Zusammenarbeit mit den Ländern Afrikas neu zu gestalten.“ Unbedingt. „Der Aufbau von Produktionsketten, faire Handelsbedingungen, Diversifizierung der Wirtschaft, gezielte Förderung von Landwirtschaft und die Stärkung des Zugangs zum EU-Binnenmarkt müsste umgesetzt werden.“ Kopfnicken und verwundeter Blick auf das Titelblatt. Diese Analyse stammt, man mag es kaum glauben, aus der Feder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), das 2017 im Kontext des G20-Treffens in Deutschland den „Marshallplan mit Afrika“ vorgelegt hat. Sogar weitreichende Empfehlungen wie die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialstandards sowie der Stopp illegaler Finanzströme und aggressiver Steuervermeidung werden genannt.

Bei genauer Betrachtung entpuppt sich der „Marshallplan mit Afrika“ bald als eine Irreführung. Der Marshallplan von 1948, der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau ermöglichte, war mit enormen finanziellen Mitteln ausgestattet. Im gleichnamigen Plan für Afrika hingegen ist kein einziger Euro vorgesehen. Das BMZ-Papier formuliert wünschenswerte Leitlinien einer anderen Afrika-Politik. Aber bei seiner Umsetzung hapert es. Denn der „Marschallplan mit Afrika“ erwähnt mit keinem Wort, dass seine Leitlinien im krassen Widerspruch zu der an den Interessen des Nordens ausgerichteten Politik in Afrika und zu den Entwicklungen in Afrika selbst stehen.

Leichte Beute Afrika

„Die europäische Politik erklärt den afrikanischen Kontinent zur leichten Beute “, kommentiert Abdullahi Mohamed Hersi von der medico-Partnerorganisation NAPAD (Nomadic Assistance for Peace and Development) die Politik jenseits des Marshallplans. Im immer wieder von Dürre und Hungerkrisen geplagten Kenia pachten internationale Konzerne riesige Landflächen für den Anbau von Jatropha für die Produktion von Biosprit. Die Regierung erhofft sich darüber kurzfristige Gewinne. In einem Land aber, in dem ohnehin nur knapp zehn Prozent der Landesfläche landwirtschaftlich nutzbar ist, gleichzeitig aber die Bewirtschaftung von Land für die große Mehrheit der Bevölkerung die Lebensgrundlage bildet, hat dies katastrophale Auswirkungen für die Ernährungssicherheit.

Im Widerspruch zu den Freihandelsabkommen mit Afrika

„Europa hat alles dafür getan, um die Länder des Südens in unfaire Handelsstrukturen zu pressen, deren Rahmen die Economic Partnership Agreements (EPA) sind.“ Rangarirai Machemedze vom medico-Partnernetzwerk Equinet, einem regionalen Zusammenschluss von Organisationen aus dem östlichen und südlichen Afrika zur Stärkung sozialer Teilhabe lässt in seiner Analyse keinen Zweifel daran, dass der Marshallplan mit Afrika nicht isoliert von der globalen Handelspolitik zu betrachten ist. Die von Europa unter Federführung Deutschlands ausgehandelten EPA werden von afrikanischen Ländern nur zögerlich unterzeichnet. Kenia hat nach massivem politischem Druck durch Europa unterschrieben und muss in Zukunft bis zu achtzig Prozent seines Marktes für Waren aus Europa öffnen, während nur rund zehn Prozent der Waren aus den afrikanischen Ländern international wettbewerbsfähig sind.

Infolge dieser asymmetrischen Vereinbarungen sind massive Einnahmeverluste für Kenia und viele weitere afrikanische Länder zu befürchten, weil die EU staatliche Subventionen für die lokale Landwirtschaft in afrikanischen Ländern verbietet. Arbeitsplätze werden wegfallen, Preisschwankungen können zum lebensbedrohlichen Risiko werden, etwa wenn die Brotpreise steigen, und die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe nimmt zu.

Forderungen versus Fakten

Der Marschallplan fordert mehr Fairness in der Handelspolitik. Doch die EPA sind die harten Fakten. Wenn Europa keine kohärente Politik mit Afrika verfolgt, werden alle politischen Bemühungen, die europäisch-afrikanischen Beziehungen fairer zu gestalten, ins Leere laufen. „Der Marshallplan mit Afrika droht dann nicht mehr zu sein als ein schlechter Witz“, sagt Abdullahi Mohamed Hersi von NAPAD. Er fordert Europa auf, mit tragfähigen Ideen für die Ausgestaltung des Verhältnisses zur südlichen Hemisphäre an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Rangarirai Machemedze von Equinet hat schon einen ersten Vorschlag für die Tagesordnung: „Wenn der Marshallplan fairen Handel will, stellt sich die Frage, ob Deutschland und Europa bereit sind, die Freihandelsabkommen EPA zu revidieren. Daran muss sich die Glaubwürdigkeit der Afrikapolitik messen lassen.“

Die Vereinigten Staaten von Afrika

Dass es in der Kritik am Marshallplan auch um Wertschätzung und die Grundsätze politischer Kommunikation geht, erläutert Susan Wamuti von NAPAD: „Europäische Konzepte wie der Marshallplan erwähnen die afrikanischen Institutionen noch nicht mal. Wir können aber nur eine von innen heraus entwickelte Lösung zur Bewältigung der Probleme in Afrika brauchen.“ Um in Handelsfragen und weit darüber hinaus die vielzitierte Augenhöhe zu erringen, beschlossen die Regierungen von 44 afrikanischen Ländern, ein starkes Gegengewicht zur Marktdominanz Europas, Chinas und der USA zu schaffen. Sie schlossen sich zur größten Freihandelsregion der Welt zusammen, der African Continental Free Trade Area, kurz AfCFTA. Das Abkommen zielt darauf, den innerafrikanischen Handel zu stärken, Handelsschranken innerhalb des Kontinents abzubauen und perspektivisch die Grenzkontrollen unter den Unterzeichnerländern abzuschaffen. Ob das AfCFTA mehr sein kann als ein kapitalistisches Modell auf afrikanischem Boden, werden die nächsten Jahre zeigen.

Widersprüche statt Kohärenz

In Zeiten des Umbruchs lässt sich der Marshallplan lesen als Versuch, die interessengeleitete Politik Europas in Afrika abzusichern und zugleich das Scheitern dieser Politik, deren tödliche Folgen sich nicht mehr verbergen lassen, einzugestehen. In dieser Paradoxie könnte eine Chance liegen – sofern aus dem wachsenden Unbehagen am globalisierten Kapitalismus eine ebenso globale Bewegung wird, die die Politik an ihre Verpflichtung erinnert, die Einhaltung der Menschenrechte sicherzustellen. So ist das Bemühen der UNO für ein rechtlich bindendes Menschenrechtsabkommen für (transnationale) Unternehmen eine ermutigende Entwicklung. Die Initiative aus Südafrika und Ecuador schlägt die Haftung von Konzernen entlang der kompletten Zulieferkette vor. Staaten sollen verpflichtet werden, den von Menschenrechtsverstößen Betroffenen international Rechtsschutz zu gewähren.

Die Bundesregierung hat kürzlich entschieden, sich nicht direkt an den UN-Gesprächen für ein Menschenrechtsabkommen zu beteiligen und führt damit die gesamte Rhetorik des Marshallplans mit Afrika einmal mehr ad absurdum. Umso wichtiger ist es, dass sich eine internationale Koalition von über tausend Gruppen, sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen gebildet hat, zu der auch medico und einige Partnerorganisationen gehören, um die Regierungen unter Druck zu setzen. Immerhin wurde auch das völkerrechtlich bindende Abkommen zum Verbot von Landminen 1997 dank einer internationalen Kampagne gegen alle Widerstände erstritten.


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