Nordostsyrien

Hilfe unter Beschuss

12.05.2021   Lesezeit: 2 min

Der Kurdische Rote Halbmond organisiert in der anhaltenden Misere des Krieges die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung in Nordostsyrien. Jamila Hami und Sherwan Bery leiten die Hilfsorganisation.

Ob bei der Befreiung Tausender Jesid:innen aus den Fängen des IS im nordirakischen Shingal-Gebirge oder während des türkischen Militärangriffs auf die Provinz Afrin in Nordsyrien – als Nothelfer:innen waren Jamila Hami und Sherwan Bery oft mitten im Kriegsgeschehen, organisierten Flüchtlingskonvois oder bargen verletzte Zivilist:innen. In ihren Berichten tun sich alle Abgründe des seit zehn Jahren andauernden Krieges in Syrien auf. Dabei waren sie der gebeutelten Bevölkerung oft mehr als nur eine medizinische Stütze und der Halbmond hilft längst nicht mehr nur in akuten Krisensituationen, sondern übernimmt auch Verantwortung beim Wiederaufbau der Gesundheitsversorgung, mit inzwischen über 2.000 Mitarbeiter:innen. Und Jamila und Sherwan sind inzwischen Co-Vorsitzende der Organisation.

Begonnen hat ihre Geschichte Ende 2012. Damals fanden sich einige wenige Ärzt:innen und Medizinstudierende zusammen, um zu helfen. Der IS hatte gerade sein Terrorregime auf Teile Syriens ausgeweitet, dessen Nachwirkungen bis heute präsent sind. Noch immer müssen Hunderte ausländische IS-Frauen und Kinder in kurdischen Lagern festgehalten werden. Internationale politische Verantwortung: Fehlanzeige. Der Kurdische Rote Halbmond kümmert sich um ihre medizinische Versorgung. Dabei unterstützen zwar auch internationale Hilfsorganisationen, doch beim letzten größeren türkischen Angriff im Oktober 2019 verließen kurzzeitig fast alle die Region. Allein die Mitarbeiter:innen des Halbmondes blieben, sie stammen selbst aus Syrien. „Wir haben die Flüchtenden versorgt und versucht, diejenigen zu retten, die nicht rechtzeitig fliehen konnten“, berichtete mir Jamila später. Sie konnte nicht über alles sprechen, was sie in dieser Zeit erlebte.

In der umkämpften Stadt Serêkaniyê wurden Kolleg:innen von ihr gezielt beschossen und mussten Verletzte ihrem Schicksal überlassen. Ein klarer Bruch des Völkerrechts. Nur eine von vielen Geschichten, die Jamila und Sherwan erzählen können. Während der großen Schlacht um Rakka hatte der Halbmond rund um die Stadt sogenannte Traumapoints errichtet, in denen Verletzte für den Weitertransport stabilisiert wurden. Auch IS-Kämpfer. „Mit dieser Haltung stehen wir über ihrer menschenverachtenden Ideologie – und das macht uns stark“, sagt Sherwan.

Obwohl der Kurdische Rote Halbmond eng mit internationalen Hilfsorganisationen zusammenarbeitet, wird die Organisation bis heute nicht offiziell anerkannt. Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist das ein großes Problem. Jegliche UN-Hilfe läuft über Damaskus und kommt – obwohl dringend benötigt – oft verzögert oder gar nicht im Nordosten Syriens an. Jamila, Sherwan und ihre Kolleg:innen machen allen Widrigkeiten zum Trotz weiter. Ihre Hilfe ist so politisch wie der Konflikt.

Anita Starosta


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