„Freiwillige Rückkehr“

Kolu Bilisuma wird verraten

22.06.2017   Lesezeit: 6 min

Geflüchtete in Europas Lagern werden zermürbt, damit sie einer „freiwilligen Rückkehr“ zustimmen – mit zum Teil verheerenden Folgen. Von Maria Hartmann und Kolu Bilisuma

Der Sommer der Migration 2015 ist lange her, die kurzfristige Willkommenskultur in der deutschen Politik ist einer immer restriktiveren Migrationspolitik gewichen. In diesem Kontext nahm im März 2017 das „Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr“ seinen Betrieb auf. Es soll Geflüchtete mit geringen Chancen auf Asyl zur Teilnahme an einem „freiwilligen Rückkehrprogramm“ ermutigen – selbst wenn ihr Anspruch auf Asyl noch nicht vollständig geprüft ist.

Als Anreiz wird den Rückkehrenden Geld als Starthilfe und Wiedereingliederungsmaßnahme angeboten. Der bereitgestellte Betrag, von der Bundesregierung als neue Form der Entwicklungshilfe angepriesen, reicht allerdings in der Regel nicht. Vor allem nicht, um damit eine stabile Existenz unter schwierigen politischen und ökonomischen Bedingungen aufzubauen.

Wie dramatisch und lebensbedrohlich die Konsequenzen einer „freiwilligen Rückkehr“ sein können, zeigt das Schicksal von Kolu Bilisuma*, der nach seiner Flucht zunächst auf Lesbos strandete und schließlich der ausweglosen Situation im Lager durch eine „freiwillige Rückkehr“ zu entgehen versuchte – mit fatalen Folgen.

Die Flucht

Kolu Bilisuma war in seinem Geburtsland Journalist und ein bekannter Social Media-Aktivist. Als Teil einer unterdrückten Bevölkerungsgruppe schloss er sich den Protesten gegen das Regime an. Obwohl bereits viele Mitglieder seiner Familie und Bekannte getötet worden waren, wurde er zu einer wichtigen Stimme der Opposition.

Als die Regierung ihm wegen seines politischen Aktivismus den Zugang zu sämtlichen staatlichen Institutionen versagte, gründete er nach Beendigung der Universität ein kleines Unternehmen, um den Lebensunterhalt seiner verbliebenen Familie zu sichern – bis der Geheimdienst all seine Mittel konfiszierte. Nach einigen Verhaftungen sah Kolu Bilisuma, dass die Unterdrückung der Opposition, seine schwierige ökonomische Perspektive, vor allem aber die direkte Bedrohung seines Lebens durch Gefängnis und Folter ein Bleiben unmöglich gemacht hatten. Er entschloss sich zur Flucht.

Das Lager

Kolu Bilisuma landete in Moria, dem berüchtigten Flüchtlingslager auf Lesbos. „Als ich in Moria ankam war es, als würde ich die Hölle betreten. Es gab unendliche Menschenschlangen, überall. Man wartete stundenlang auf ein wenig Essen, Duschen und sogar Toiletten. Es war beinahe unmöglich Wasser zu holen. Im Lager herrschte das absolute Chaos. Überall gab es handgreifliche Konflikte, die verschiedenen Nationalitäten kämpften gegeneinander. Es war ein gefährlicher Ort. Ich fühlte mich, als sei ich einem Gefängnis entkommen nur um im nächsten festzusitzen. Infolge der Folter kann ich Lärm nicht ertragen. Deshalb musste ich manchmal im Zelt bleiben und konnte mich nicht dem Chaos der Schlange vor der Essensausgabe aussetzen. Nach einer Weile schaffte ich es, eine Genehmigung zu organisieren, die mir eine Wohnmöglichkeit und Zugang zu Lebensmitteln im Lager garantierte. Aber die Situation machte mich komplett hoffnungslos. Ich war permanent gestresst und zunehmend ängstlich.”

Trotz der lebensbedrohlichen Situation in seiner Heimat schien Kolu Bilisuma nicht den Asyl-Anforderungen zu entsprechen. In der scheinbaren Ausweglosigkeit dieser Situation ließ er sich zur freiwilligen Rückkehr überreden. Der Grund für seine Entscheidung, so betont er, ist einfach: Er wurde betrogen. Ihm wurde im Namen der Regierung seines Geburtslandes seine Unversehrtheit garantiert und sogar eine Ausbildungsförderung in Aussicht gestellt.

Die Rückkehr

Um an dem Programm zur „freiwilligen Rückkehr“ teilnehmen zu können, musste Kolu Bilisuma seinen Anspruch auf Asyl aufgeben. Bei Ankunft in seinem Heimatland wurde er dann anstatt des zugesicherten Ablaufes seiner Rückkehr direkt am Flughafen festgenommen. „Es war das schlimmste Untersuchungsgefängnis. Die Polizei verlangte urplötzlich eine riesige Geldsumme, die ich natürlich nicht hatte. Sie behandelten mich wie einen Dieb.”

Schließlich war es Bilisuma möglich, zu seiner Familie zurückzukehren, er machte sich trotz allem Hoffnung auf eine gute Wendung. Doch er wurde aufs Brutalste eines Besseren belehrt: „Bereits nach einigen Stunden im Haus meiner Familie fuhr draußen ein Pick-up vor. Zwei Männer stiegen aus, verschafften sich Zutritt zum Haus und zwangen mich mitzukommen. Sie nahmen noch viele private Gegenstände mit und brachten mich erneut in eine Art Untersuchungsgefängnis. Dort wurde ich gedemütigt und gefoltert. Sie sperrten mich in eine komplett dunkle Zelle, wo ich mit nur einem Stück Brot und einem Glas Wasser drei Tage lang ausharren musste. Es waren die schlimmsten Tage meines Lebens. Ich hatte das Gefühl, zu sterben.“

Es liegt die Vermutung nahe, dass Bilisuma bereits während seines Aufenthaltes in Griechenland mutwillig falsch informiert und hintergangen worden war. Nachdem er das Gefängnis verlassen konnte, blieb er vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Er durfte weder Geld abheben oder überweisen, sich nicht auf öffentlichen Plätzen aufhalten, frei bewegen oder bei jeglicher Form von Menschenansammlung gesehen werden. Zudem war es ihm verboten, auf jedwedes Kommunikationsmittel, weder Telefon noch Social Media, zuzugreifen. Seine berufliche Tätigkeit als Journalist wurde verunmöglicht.

Der Zynismus der „freiwilligen Rückkehr“

Kolu Bilisuma beschreibt, wie Geflüchtete und AsylbewerberInnen durch eine Politik der Zermürbung systematisch eingeschüchtert und dazu gebracht werden, ihr Recht auf ein Asylverfahren aufzugeben. Die Situation in Lagern wie Moria, aber auch in Deutschland, ist in manchen Fällen schlechter als die, vor der die Menschen einst geflohen waren. Durch die politisch motivierte Einteilung in sichere und nicht-sichere Herkunftsstaaten wird vielen Geflüchteten suggeriert, ihr Asylanspruch sei ungerechtfertigt. Die persönlichen Schicksale scheinen keine Geltung zu haben.

In dieser ausweglos erscheinenden Situation wird den Betroffenen eine freiwillige Rückkehr angeboten. Während sogenannter Beratungsgespräche empfehlen die MitarbeiterInnen der zuständigen Behörden, die „Chance“ freiwilliger Rückkehrprogramme zu nutzen und das Starthilfegeld zur Wiedereingliederung anzunehmen. Eine ernstzunehmende Aufklärung über die Risiken und die möglichen rechtlichen Konsequenzen einer Rückkehr in die Länder ihrer Herkunft wird nicht gewährleistet.

Selbst das Versprechen einer menschenwürdige Behandlung bei der Rückkehr löst sich in Luft auf. Kolu Bilisuma resümiert: „Das von der EU implementierte Programm zur freiwilligen Rückkehr ist nichts als ein Trick, ein Trugschluss und eine Verschwörung. Vor meiner Ausreise war ich in Athen im Gefängnis. Dort habe ich viele Menschen aus Pakistan, Bangladesch, nordafrikanischen Ländern und anderen Regionen getroffen. Ihnen wurde erzählt, sie könnten Griechenland binnen zweier Tage verlassen. Stattdessen wurden sie eingesperrt und gezwungen, zu warten. Manche wurden 6 Monate lang aus obskuren Gründen festgehalten ohne die Zelle verlassen zu dürfen – selbst wenn sie keinerlei Gesetz gebrochen hatten. Andere wurden urplötzlich dazu aufgefordert, für ihre Rückkehr-Tickets selbst aufzukommen, was sie natürlich nicht konnten. Also wurden sie eingesperrt. Ich habe viele Menschen gesehen, die zur Einnahme von Medikamenten gezwungen wurden, ohne über deren Wirkung informiert worden zu sein.“

Die Zukunft von Kolu Bilisuma bleibt unsicher. Für sein Schicksal scheint er nunmehr allein verantwortlich zu sein. Und obwohl die derzeitige Handhabung von Programmen zur „freiwilligen Rückkehr“ vermehrt ähnliche  Fälle schaffen wird, ziehen sich die Regierungen der Europäischen Union  im Umgang mit den tatsächlichen Konsequenzen aus der Verantwortung.

* Bei dem Namen Kolu Bilisuma handelt es sich um ein Pseudonym der Person, deren Geschichte hier erzählt wird. Aus Sicherheitsgründen werden weder sein richtiger Name noch sein Geburtsland genannt. Bestimmte Aspekte seiner Geschichte bleiben bewusst unscharf, zu gefährlich ist seine derzeitige Lage.


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