Kritisches Glossar zur globalen Patentdebatte

07.04.2008   Lesezeit: 8 min

Antiretrovirale Medikamente (ARV)

Zur Behandlung von AIDS wird eine Kombinationstherapie von ARVs eingesetzt. Diese Medikamente können zwar die Krankheit nicht heilen, sie unterdrücken jedoch die Virusvermehrung und können das Auftreten opportunistischer Infektionen erheblich verringern. Dadurch steigt die Lebenserwartung von AIDS-Patienten deutlich. Unter den weltweit 39,5 Mio. HIV-Positiven befinden sich 6,8 Mio. AIDS-Kranke, deren Krankheitsstadium eine ARV-Behandlung erforderlich macht. Durch den Druck einer weltweiten Bewegung konnten die Pharmakonzerne gezwungen werden die Preise für ARVs deutlich zu senken. Immer noch bekommen aber nur 1,6 Mio. Menschen bzw. 24% der AIDS-Kranken in Entwicklungsländern tatsächlich die notwendigen Medikamente.

Bilaterale Verträge

Im Rahmen von regionalen Freihandelsabkommen versuchen die Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern Standards zum Schutz des geistigen Eigentums festzulegen, die noch über die des TRIPS-Abkommens hinausgehen. Derzeit finden Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und 79 der ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifikraum (AKP-Staaten) statt, um ein neues Wirtschaftsabkommen, genannt EPA (Economic Partnership Agreement), abzuschließen. Neben der EU ist auch die USA insbesondere in Lateinamerika sehr bestrebt weitere Freihandelsabkommen mit verschärftem Patentschutz durchzusetzen. Nobelpreisträger Sir John Sulston bezeichnet dies als "Rückkehr zu alten Systemen von meistbegünstigten Nationen und in der Tat Imperialismus".

G8

Gruppe der sieben wirtschaftsstärksten Industriestaaten und Russland. Vom 6. bis zum 8. Juni 2007 kommen ihre Regierungschefs zum G8-Gipfel (früher Weltwirtschaftsgipfel) in Heiligendamm/Mecklenburg-Vorpommern zusammen. Ein zentrales Thema der Beratungen ist der verstärkte Schutz geistigen Eigentums. Für den Gesundheitsbereich bedeutet dies die weitere Protektion der transnationalen Pharmakonzerne statt einfachem Zugang zu Gesundheitsversorgung und Medikamenten für arme Menschen.

Geistige Eigentumsrechte

Geistige Eigentumsrechte bezeichnen Exklusivrechte an immateriellen Gütern, z.B. Wissen oder Ideen. Immaterielle Güter sind nicht endlich und können ohne Qualitätsverlust beliebig oft gebraucht werden. Sie könnten deshalb von beliebig vielen Personen gleichzeitig genutzt und extrem kostengünstig vervielfältigt werden. Um dennoch eine kapitalistische Verwertung sicherzustellen, wird durch geistige Eigentumsrechte eine künstliche Verknappung erzeugt. Der Schutz des geistigen Eigentums ermöglicht dem Rechteinhaber anderen Personen die Verwendung, Nachahmung oder Nutzung zu verbieten oder dafür Lizenzgebühren zu erheben. Durch die Ausweitung der geistigen Eigentumsrechte wird zunehmend freies Wissen zu monopolisiertem Privateigentum.

Generika

Als Generikum (sing.) bezeichnet man ein Arzneimittel, welches eine wirkstoffgleiche Kopie eines bereits unter einem Markennamen auf dem Markt befindlichen Medikamentes ist. Generika sind meist preisgünstiger als das Originalpräparat, wodurch insbesondere Patienten in armen Ländern der Zugang zu Medikamenten erleichtert wird. Neben internationalem Druck sorgte vor allem die Konkurrenz durch Generika, für eine Preissenkung von antiretroviralen Medikamenten der ersten Generation in armen Ländern um bis zu 90%. Die neueren ARV-Medikamente der zweiten Generation sind jedoch wieder bis zu 100-mal teurer. Wenn nach einigen Jahren die Umstellung der HIV-PatientInnen auf Medikamente der zweiten Generation erfolgen muss, steigen die Kosten entsprechend. Hersteller von Generika, etwa in Indien, bieten bisher nur Nachahmungen der ersten Generation an. Durch seinen Beitritt zur WTO im Jahr 2005 musste Indien seinen Patentschutz für Arzneimittel, gemäß TRIPS deutlich verschärfen. Dies verhindert die Produktion von notwendigen, billigeren AIDS-Medikamenten der zweiten Generation.

Harmonisierung der nationalen Patentrechte

Unter diesem Schlagwort wird die internationale Vereinheitlichung und Vereinfachung der komplizierten und national sehr unterschiedlichen Patentgesetze vorangetrieben. In der Realität bedeutet dies, dass Entwicklungsländern eine Patentgesetzgebung nach Vorbild der Industrieländer und Interessen der Konzerne aufgezwungen werden soll. Dieses einheitliche Recht bei höchst ungleicher Ausgangslage im globalen Wettbewerb führt dazu, dass die sog. Dritte Welt weiter unterentwickelt gehalten wird. Durch die Lizenzzahlungen wird der Ressourcenstrom vom globalen Süden in die Kassen der Konzerne des Nordens verstärkt. Nobelpreisträger Sir John Sulston zu den aktuellen Verhandlungen in der World Intellectual Property Organization (WIPO): "Bedauerlicherweise, Harmonisierung ist ein Weg für diejenigen die bereits eine erfolgreiche Lage erreicht haben, um die Leiter heraufziehen und andere aufzuhalten ihnen beizutreten."

Öffentliches Gut

Der Begriff der öffentlichen Güter steht dem Begriff der Ware diametral gegenüber. Der Zugang zu öffentlichen Gütern soll grundsätzlich allen Mitgliedern einer Gesellschaft, unabhängig von ihrem Einkommen, offen stehen. Im Rahmen eines Konzepts von Essentialität müssen Arzneimittel und andere lebenswichtige Bereiche der Daseinsvorsorge als öffentliche Güter begriffen werden. Folglich sollten sie prinzipiell vom Patentschutz ausgenommen sein. Ein Blick auf die Arzneimittelforschung zeigt, dass Arzneimittel als öffentliches Gut keine Utopie bleiben müssen. Der Großteil der Grundlagenforschung wird bereits in staatlichen Einrichtungen geleistet. Auch klinische Studien werden vermehrt von öffentlichen Einrichtungen durchgeführt. In letzter Zeit haben auch in den Naturwissenschaften öffentliche Forschungsprojekte, die mit ähnlichen Schemata wie Open-Source im Softwarebereich arbeiten, große Erfolge erzielt. Da im Bereich der umstrittenen und stark kommerzialisierten Biotechnologie kaum noch eine Neuentwicklung möglich ist, ohne Patente anderer Forscher zu verletzen, hat sich das Projekt zur Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes zum Grundsatz gemacht, den freien Austausch von Wissen wieder in den Vordergrund zu stellen. Die Vorteile werden schnell deutlich. Der Zugang zu Daten ist einfach und sie können öffentlich und weltweit von anderen Forschern diskutiert werden. Fehler werden schneller entdeckt und der Forschungsprozess ist transparent, schneller, billiger und qualitativ hochwertiger. Dies gilt ebenso für den Pharmasektor. Mit dem Ausbruch des SARS-Virus kam es weltweit zu einer beeindruckenden Kooperation vieler Wissenschaftler bei der Bestimmung des Erregers und der Entwicklung von Gegenmaßnahmen. Auch die unabhängige Non-Profit-Organisation DNDi (Drugs For Neglected Diseases Initiative) hat mit der Markteinführung eines neuen Malaria-Medikaments bewiesen, dass die Entwicklung neuer Medikamente auch ohne Patentschutz möglich ist. DNDi hat sich zum Ziel gesetzt hat, wirksame Arzneimittel gegen Krankheiten zu entwickeln, an denen vor allem Menschen in ärmeren Ländern leiden. Analog zum Open-Source-Gedanken darf jedes Pharmaunternehmen diese Medikamente produzieren.

Patent

Ein Patent ist ein hoheitlich erteiltes gewerbliches Schutzrecht auf Erfindungen. Es wird ein meist 20-jähriges Ausschlussrecht gewährt, um damit die Forschungs- und Entwicklungskosten amortisieren zu können. Das bedeutet aber auch ein Monopol auf Wissen. Darüber ob oder unter welchen Bedingungen dieses Wissen von Dritten genutzt werden darf, entscheidet der Patentinhaber. Dieses Monopol ermöglicht der Pharmaindustrie die Medikamentenpreise zu diktieren und künstlich hoch zu halten. Damit bleiben lebenswichtige Arzneimittel für Arme unerreichbar oder werden erst gar nicht erforscht. Patente als Anreizstruktur zur Entwicklung neuer Wirkstoffe funktionieren nur in kaufkraftstarken Marktsegmenten. Diese finden sich hauptsächlich in Industrieländern. So werden 90% der Forschungsmittel für Krankheiten ausgegeben, die nur 10% der weltweit verlorenen gesunden Lebensjahre ausmachen. Eine Forschung zur Behandlung von sog. Armutskrankheiten wie Malaria oder Tuberkulose, die praktisch ausschließlich die Entwicklungsländer betreffen und deren kommerzielles Potential gering ist, findet von Seiten der profit- und patentorientierten Pharmakonzerne kaum statt. Stattdessen werden Forschungsgelder, laut Zahlen des amerikanischen Pharma-Verbandes PhRMA, zu 70% in Scheininnovationen investiert. Diese Nachahmerprodukte von erfolgreichen Medikamenten der Konkurrenz werden auch als me-too-Produkte bezeichnet. Sie bringen keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen, sind aber patentiert, teuer und gut für die Bilanz der Unternehmen. Da me-too-Präparate im Grunde überflüssig sind, wird dafür umso mehr für Werbung ausgegeben. So verwundert es kaum, dass Pharmaunternehmen im Schnitt für Forschung nur halb so viel Geld ausgeben wie sie in die Werbung stecken. Die wenigen neuen Medikamente, die wirklich einen medizinischen Fortschritt bringen, stammen hauptsächlich aus der öffentlich finanzierten Grundlagenforschung. Dennoch strebt die deutsche G8-Präsidentschaft eine weitere Ausweitung und Verschärfung des Patentschutzes an.

TRIPS (Trade-related Aspects of Intellectual Property Rights)

TRIPS ist das WTO-Abkommen zum Schutz handelsbezogener Rechte an geistigem Eigentum. Es umfasst Bestimmungen zum Schutz von Patenten oder Copyrights und Handelsmarken. Durch den Beitritt zur WTO sind alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, auch die patentrechtlichen Vorgaben des TRIPS-Abkommens umzusetzen.

Dies ist für Entwicklungsländer von Nachteil, da 97% der Patente Unternehmen aus den Industrieländern gehören und etwa 90% der Patente, die in Entwicklungs- und Schwellenländern angemeldet werden, Firmen mit Sitz in Industrieländern. Dadurch werden der Transfer und die Verbreitung von Technologien in Entwicklungsländer erschwert. Weiter besteht die Gefahr, dass der Technologietransfer bei sehr restriktiver Lizenzpolitik des Patentinhabers ausbleibt. Für Arzneimittel sahen die meisten Länder des Südens bisher keinen Patentschutz vor, da sich ohne Generikaproduktion der Zugang zu Pharmaprodukten verteuern würde. Das TRIPS ermöglicht hingegen Patente auf Medikamente, verteuert diese dadurch und schließt so Millionen von Kranken von der Behandlung aus. Allerdings gibt es eine Ausnahmeregelung für die Gruppe der 50 am wenigsten entwickelten Länder. In Bezug auf pharmazeutische Produkte wird ihnen eine zusätzliche Übergangsfrist bis zum Jahr 2016 für den Patentschutz eingeräumt. Damit dürften, z.B. in Bangladesh, auch ARV-Generika der zweiten Generation legal hergestellt und in andere arme Länder exportiert werden.

Welthandelsorganisation (WTO)

Internationale Organisation die sich mit der Regelung von Handels- und Wirtschaftsbeziehungen beschäftigt. Ziel der WTO ist der internationale Freihandel. Den Kern dieser Anstrengungen bilden die WTO-Verträge. Die WTO ist die Dachorganisation der Verträge GATT, GATS und TRIPS.

Zwangslizenz

Zwanglizenzen wurden auf Druck der afrikanischen Staaten, als Schutzrechte für die öffentliche Gesundheit in das Welthandelsrecht integriert. Im November 2001 verabschiedeten die WTO-Mitgliedstaaten in Doha eine Erklärung zum TRIPS-Abkommen, nach der Ausnahmen des Patentschutzes aufgrund schwerer öffentlicher Gesundheitsprobleme erlaubt sind. D.h. alle WTO-Mitgliedstaaten haben zur Bewältigung von Krisen im öffentlichen Gesundheitswesen das Recht mit Hilfe von Zwangslizenzen Generika von patentgeschützten Medikamente herzustellen oder zu importieren. Jeder Mitgliedstaat darf dabei selbst festlegen, was einen nationalen Notstand oder einen anderen Umstand äußerster Dringlichkeit darstellt. Krisen durch HIV/Aids, Tuberkulose, Malaria oder anderen Epidemien können solche Situationen sein. Allerdings wurden Zwangslizenzen von wirtschaftlich ärmeren Ländern wegen der Komplexität des Verfahrens bisher kaum eingesetzt. Weitere Hindernisse bestehen für Länder ohne ausreichende Pharma-Produktionskapazitäten, da sie notwendige Arzneimittel nicht einfach importieren können, sofern diese im Exportland patentgeschützt sind. Außerdem werden Zwangslizenzen weiter von der US-Regierung und der Pharmaindustrie bekämpft. Um Zwangslizenzen abzuwenden und ihre Etablierung zu verhindern, sahen sich einige Pharmafirmen gezwungen "freiwillige Lizenzen" zu erteilen. Zwar wird dann meist auf die Zahlung von Lizenzgebühren verzichtet, aber die Macht über das Patent und die Generikaproduktion bleibt den Pharmakonzernen erhalten.


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