Mehr als 100 Personen aus Wissenschaft, Politik, staatlicher wie nicht-staatlicher Entwicklungszusammenarbeit, Aktivistennetzwerken und aus der Pharmaindustrie folgten am 10.5.2007 der Einladung zum Tagessymposium "Patienten, Patente und Profite" von medico international und den Mitveranstaltern BUKO Pharma-Kampagne, Brot für die Welt und Misereor. Der Veranstaltungsort, die Vertretung des Landes Mecklenburg-Vorpommern beim Bund in Berlin unweit des Brandenburger Tores, war im Hinblick auf den bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligendamm mit Bedacht gewählt. Auf den hochkarätig besetzten Podien lieferten Gesundheitsexperten aus den USA, Thailand, Kenia, Brasilien, Südafrika und anderen Ländern fundierte Bestandsaufnahmen und Analysen zum sich verschärfenden Spannungsfeld von globaler Gesundheit und geistigem Eigentum. Dabei gingen die Experten weit über die Kritik am bestehenden System von Forschung, Entwicklung und Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten hinaus. Sie entwickelten gemeinsam Vorschläge für öffentlich gesteuerte Forschung und für alternative Anreiz- und Preissysteme, die günstige Medikamente und damit Zugang für Arme sichern könnten.
Das Programm
Eröffnungsvortrag: Gesundheitsversorgung als globales öffentliches Gut – Für einen Wandel in der aktuellen Medikamentenpolitik
Eröffnet wurde die eintägige Veranstaltung durch medico Geschäftsführer Thomas Gebauer. Nach einer kurzen Begrüßung führte sein Vortrag "Gesundheitsversorgung als globales öffentliches Gut – Für einen Wandel in der Medikamentenpolitik" in die Thematik ein und skizzierte den weiteren Ablauf.
Panel 1:
Patienten zuerst! Die Auseinandersetzung um Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten
Daran schloss sich das von Astrid Berner-Rodoreda (Brot für die Welt) moderierte erste Panel an. Der Blick fiel zu Beginn der Konferenz exemplarisch auf die Immunschwächekrankheit HIV/AIDS und dabei insbesondere auf die zentralen Auseinandersetzungen, die in den letzten Jahrzehnten geführt werden mussten, um den Zugang zu wirksamen AIDS-Präparaten zu erhöhen.
Referat Jonathan Berger: Politics and patents: TAC's campaign for patient rights
Als erster berichtete Jonathan Berger vom "AIDS Law Project" der südafrikanischen "Treatment Action Campaign", über die Mobilisierung der Betroffenen sowie der internationalen Unterstützung in den 90er Jahren, der schließlich die Industrie zum Einlenken und zur Senkung der Preise zwang.
Referat Eloan Pinheiro: Intellectual Property and Human Rights: Myths and Reality on the Access to ARVs medicines
Eloan Pinheiro, die ehemalige Direktorin der staatlichen Pharmaproduktion, zeigte den brasilianischen Weg auf. Mit dem Aufbau einer eigenen staatlichen Generika-Produktion gelang es eine marktförmige Konkurrenz zu schaffen und darüber wichtige Pharma-Monopole aufzubrechen. Zuletzt erließ die brasilianische Regierung zudem eine Zwangslizenz um ein weiteres verbessertes, aber patentgeschütztes AIDS-Präparat selbst preiswerter herstellen zu können.
Referat Dr. Suwit Wibulpolprasert: Thailand CL: Lessons learned and the Way Forward
Über die Auseinandersetzungen um Zwangslizenzen informierte ebenfalls Suwit Wibulpolprasert, der Chef-Berater für Gesundheitsökonomie im thailändischen Ministerium für öffentliche Gesundheit. Thailand befindet sich aktuell im offenen Konflikt mit multinationalen Pharmakonzernen, da es von den sog. TRIPS-Flexibilitäten Gebrauch macht und Zwangslizenzen erteilt hat. Damit soll AIDS-Patienten im eigenen Land der Zugang zu hochwirksamen, patentgeschützten "second-line" Präparaten ermöglicht werden.
Panel 2:
Gesundheit und Patente – Zugang und Innovation im Kontext der geistigen Eigentumsrechte
Das zweite Panel beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen Entwicklung und Zugang zu Gesundheitswissen im Kontext von geistigem Eigentum. Die Moderation übernahm Petra Buhr vom "Netzwerk Freies Wissen".
Referat Prof. Jerome Reichman: Negativeffekte - Aktuelle Trends in der internationalen Patentpolitik
Als erstes referierte Prof. Jerome Reichman, der an der Duke University School of Laws in den USA lehrt, detailliert über die Auswirkungen der geplante "Harmonisierung" des internationalen Patenschutzes. Aus seiner Sicht ist dies angesichts des unterschiedlichen Entwicklungsstandes der Länder für die Gesundheit und die Gesundheitsforschung kontraproduktiv. Eine Harmonisierung zementiere die Vorherrschaft der entwickelten Länder. Reichman plädierte im Gegensatz dazu für Wissenstransfer in den Süden und gemeinsamer Anwendung von Zwangslizenzen zum Aufbau von lokaler Medikamentenproduktion.
Referat Dr. Wolfgang Wodarg: Kontrolle der Institutionen – Die Bedeutung von öffentlicher Partizipation
Danach kritisierte Dr. Wolfgang Wodarg (SPD, MdB), der Vorsitzende des Unterausschusses Gesundheit der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, dass Patente nicht mehr als Belohnung, sondern als Waffen im Kampf um Monopole eingesetzt würden. Durch Patente wäre das Forschungsgelände vermint und damit Innovationen erschwert. Er verwies weiter darauf, dass durch das Gewähren von Patenten neben der Enteignung öffentlichen Wissens, auch wichtige gesundheitspolitische Entscheidungen der öffentlichen Kontrolle entzogen sind. So könnten die Entscheidungen des Europäischen Patentamtes von keinem Parlament überprüft werden. Er fordert deshalb eine verpflichtende Patentfolgenabschätzung und eine Klausel zur Rücknahme eines Patents bei hinreichendem öffentlichem Interesse.
Referat Peter Wahl: Entwicklungsabgaben – Globale Steuersysteme zu Finanzierung öffentlicher Gesundheit
Wege zur Finanzierung von Gesundheitsforschung in öffentlicher Verantwortung zeigte Peter Wahl von der NGO "Weed" auf. Er untersuchte die Bedeutung von Entwicklungssteuern und schlug die von einigen Ländern bereits praktizierte Flugticket-Abgabe und eine globale Besteuerung aller grenzüberschreitenden Finanztransfers vor.
Panel 3:
Changing the Rules - Ideen zur Neubestimmung von Geistigem Eigentum
Nachdem die Fragen nach der Finanzierung öffentlicher Gesundheitsforschung behandelt waren, lenkte Moderator Tim Reed von Health Action International (HAI) Europe die Aufmerksamkeit auf konkrete Alternativen und Fragen nach der Definierung von Forschungsprioritäten und Anreizstrukturen jenseits von Patenten.
Referat Dr. Pierro Olliaro: Setting Priorities in Essential Health R&D – A Responsibility of the World Health Organization
Welche Rolle die WHO in einem institutionalisierten Rahmen spielen kann, welcher das priority setting für bestehende Gesundheitsbedürfnisse koordiniert und sicherstellt, dazu sprach Dr. Pierro Olliaro vom Special Programme for Research and Training in Tropical Diseases der WHO.
Referat James Love: Why prizes?
Anschließend sprach James Love von der internationalen Konsumentenorganisation "Knowledge Ecology International" über die verschiedenen Arten von "Preisen" und machte eine Reihe von Vorschlägen für alternative push- und pull-Mechanismen, mit denen Regierungen Anreize für die Entwicklung dringend benötigter Arzneimittel schaffen können. Dazu zählt u.a. die Idee eines "Prize Fund", der erfolgreiche Innovation nicht mit der Lizenz zu hohen Preisen belohnt, sondern mit einem angemessenen Preisgeld.
Referat Nicoletta Dentico: DNDi - turning neglect into action
Neben der Stimulierung von essentieller Gesundheitsforschung durch Schaffung alternativer Anreize kann Forschung auch durch "direct funding" in Gang gesetzt werden. Nicht zuletzt die vielen "Private Public Partnerships" (PPP) bzw. "Product Development Partnerships" (PDP), die zur Entwicklung dringend benötigter Medikamente in den letzten Jahren entstanden sind, können als Ausdruck einer solchen zielgerichteten und zum Teil öffentlichen finanzierten Auftragsforschung verstanden werden. Aus der Arbeit einer solchen PPP/PDP berichtete Nicoletta Dentico, die politische Beraterin der "Drugs for Neglected Diseases Initiative" (DNDi), einem weltweiten Zusammenschluss von Forschungsinstitutionen, dem es kürzlich mit öffentlicher Finanzierung und in Zusammenarbeit mit Sanofi-Aventis gelang, ein neues patentfreies Malaria-Medikament vorzustellen.
Panel 4:
Making a Difference: Für einen Politikwechsel
Im letzten, dem vierten Panel ging es um die Frage, wie aus den Ideen Wirklichkeit werden kann, mithin um strategische Überlegungen, die schließlich auch gemeinsam, moderiert durch Katja Mauerer (medico international), mit dem Publikum diskutiert wurden.
Referat Dr. Ahmed E.O. Ogwell: Working on new Strategies – The IGWG on public Health Innovation and intellectual Property at W.H.O
Zuerst referierte Dr. Ogwell über Aufgaben und Chancen der "Intergovernmental Working Group" (IGWG). Er ist Mitglied der IGWG und der Direktor für internationale Gesundheitsbeziehungen im kenianischen Gesundheitsministerium. Ohne ihn wäre die Einrichtung der IGWG vermutlich nicht zustande gekommen. Im Bemühen um eine politische Umsetzung von Alternativen könnte der Ende 2006 von der WHO eingerichteten zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe eine besondere Rolle zukommen. Zentrale Aufgabe dieses Gremiums ist die Definition einer neuen globalen Strategie und eines Plan of Action für den Komplex "Öffentliche Gesundheit, Innovation und geistiges Eigentum".
Referat Prof. Jerome Reichman: Klinische Tests als öffentliches Gut behandeln
Dass Gesundheitsforschung als öffentliches Gut nicht nur eine schöne Idee sein muss, sondern konkret möglich ist, trug Jerome Reichman vor. Er entwickelte einen Vorschlag zur Durchführung von klinischen Tests in öffentlicher Hand ähnlich wie die Grundlagenforschung. Damit sei gewährleistet, dass die Test an den öffentlichen Forschungsbedürfnissen ausgerichtet seien und nicht an den Gewinninteressen der Privatwirtschaft.
Referat Dr. Christian Wagner: Lobbyarbeit für den Wechsel - Die internationale "Plattform Innovation und Zugang"
Christan Wagner vom internationalen pharmakritischen Netzwerk "Health Action International" und Mitarbeiter der deutschen BUKO Pharma-Kampagne benannte die Forderungen, die NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen an den Genfer Prozess rund um die IGWG richten. Zur Sicherstellung von Innovation und dem Zugang zu Medikamenten betonte er die Notwendigkeit öffentlicher Verantwortung für die Gesundheitsforschung und die Steuerung des Arzneimittelmarktes. Arzneimittel als öffentliches Gut sei das Schlagwort, welches die politischen Forderungen am besten zusammenfasst.
Schlusswort
Zum Abschluss der Veranstaltung forderten die Organisatoren einen Wandel in der globalen Medikamentenpolitik und stellten die gemeinsame Erklärung "Für Innovation und Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln!" vor. In der bisher von der Gesundheitsorganisation medico international, den kirchlichen Hilfswerken Brot für die Welt und Misereor sowie des pharmakritischen Netzwerks BUKO Pharma-Kampagne unterzeichneten "Berliner Erklärung" heißt es, dass viele Menschen deshalb sterben müssten, "weil Pharma-Patente als de-facto Monopole dafür sorgen, dass selbst lebensnotwendige Medikamente unerschwinglich teuer sind oder gar nicht erst entwickelt werden." Notwendige Arzneimittel seien als öffentliche Güter zu betrachten und müssten vom Patentschutz ausgenommen werden. Das Schlusswort sprach Mute Schimpf (Misereor).