Das Bild des auf der Flucht umgekommenen Junge aus dem syrisch-kurdischen Kobane geht um die Welt und steht für die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer und das europäische Scheitern. Das Bild und die Geschichte des Kindes steht aber auch paradigmatisch auch für das Scheitern einer Politik, die „die vermeintliche geostrategische und wirtschaftliche Interessen wichtiger findet als Humanität“, so Martin Glasenapp, medico-Nahostreferent, der mehrfach Kobane besucht hat. Die syrischen Kurden, so Glasenapp, die einen hohen Preis bezahlt haben, um den IS aus Kobane zu vertreiben, seien nach der Befreiung der Stadt im Stich gelassen worden.
Unsere Partner vor Ort berichten heute aus der Stadt über die aktuelle Situation. In der zu 60 Prozent zerstörten Stadt lebten 130.000 Menschen. Und jede Woche kämen 3000 hinzu. Aber das Attentat von ISIS hänge wie eine Glocke über der Stadt, weil ein solcher Anschlag jederzeit wieder passieren könne. Außerdem behindere die Türkei jeden Zugang humanitärer Güter über die Grenze. Auch Kurden aus der Türkei und aus der kurdisch-türkischen Behörden in der Grenzregion, wie zum Beispiel der Bürgermeister von Suruc, dürften die Grenze nicht passieren, obwohl gerade von hier viel Aufbauhilfe kommen könne und die Bereitschaft dazu sehr groß sei. Stattdessen seien türkisch-kurdischen Intiativen von Verhaftung bedroht. In der Grenzregion herrsche seitens der Türkei permanente Willkür.
„Familien aus Kobane brauchen Sicherheit, damit sie dort bleiben können“, so Martin Glasenapp. „Die europäische und US-amerikanische Politik hat ihnen diese Sicherheit verweigert, als man die Türkei zum Hauptakteur der IS-Bekämpfung machen wollte.“
Nach der Tragödie im Mittelmeer, müssten klare politische Konsequenzen gezogen werden, so Glasenapp. Die Bundesregierung müsse Druck einen weitaus größeren Druck auf die Türkei ausüben, die Grenzen für Güter zum Wiederaufbau zu öffnen. Der Krieg gegen die Kurden müsse sofort beendet werden. Auch hier sei klarer politischer Druck von außen nötig.
Der Vater der ertrunkenen Familie will nach Kobane zurückkehren und seine zwei Söhne und seine Frau dort beerdigen. Vor einem Jahr war die Familie vor dem IS geflogen. Wie er haben viele Menschen in Kobane Angehörige und Freunde verloren. Es ist Zeit für einen Politikwechsel: „Jetzt brauchen wir ein klares Zeichen für das Recht aller Menschen auf der Flucht vor Krieg und Armut auf Schutz und Sicherheit.“
medico unterstützt den Wiederaufbau von Kobane, unter anderem mit Projekten im sozialmedizinischen Bereich.
- Für Hintergrundinformationen und Interviewanfragen wenden Sie sich an Martin Glasenapp: 0179-1091553