Nelson Mandela wäre entsetzt angesichts der Situation von Migrant_innen im heutigen Südafrika, waren sich viele Vortragende und Teilnehmende des 6. Weltsozialforums für Migration einig, das Anfang Dezember 2014 in Johannesburg stattfand. Zu Zeiten der Apartheid hätten Südafrikaner_innen sich noch ohne Probleme über den afrikanischen Kontinent bewegen können, erklärte André Mangu, der Vorsitzende des Forums, in seiner Eröffnungsansprache. Das sei heute deutlich schwieriger. Welche Auswirkungen zunehmender Rassismus und verstärkter Grenzschutz auf allen Kontinenten für Menschen auf der Flucht und in der Migration haben, wurde in zahlreichen weiteren Vorträgen und Workshops deutlich, an denen rund tausend Aktivist_innen aus Afrika, den Amerikas, Asien und Europa teilnahmen, um sich auszutauschen und zu vernetzen.
Symbolträchtiger Veranstaltungsort
Freiheit verteidigen und Mobilität neu denken, hatte sich das Forum auf die Fahnen geschrieben, und es war kein Zufall, dass der Eröffnungstag des ersten Weltsozialforums für Migration auf dem afrikanischen Kontinent mit dem ersten Jahrestag des Todes von Anti-Apartheid-Kämpfer Mandela zusammenfiel. Auch der Ort, an dem das Treffen stattfand, war symbolträchtig. Auf dem Constitution Hill in Johannesburg befindet sich nicht nur eine große ehemalige Gefängnisanlage, in der Mandela, Gandhi und andere Freiheitskämpfer_innen einsaßen. Es ist auch der Ort des Verfassungsgerichts der Republik Südafrika, das nach dem Ende der Apartheid seine Arbeit aufnahm und für die Überwindung eines Unrechtsstaates steht.
Dass das Forum überhaupt stattfinden konnte, war bis kurz vor Beginn nicht sicher. Im Organisationsteam habe es Meinungsverschiedenheiten gegeben zwischen Vereinigungen, in denen sich Migranten selbst organisieren, und solchen, die sich für Migranten einsetzen, erklärte Aline Mugisho, eine der Organisatorinnen vom African Diaspora Forum (ADF) der Badischen Zeitung. Nachdem die Selbstorganisationen die Federführung übernommen hätten, habe die Stadt Johannesburg ihre Unterstützung zurückgezogen. Trotz dieser Widrigkeiten und eines gekürzten Budgets ist es den Veranstalter_innen gelungen, das Forum mitten Johannesburg auf die Beine zu stellen.
Mit Zwelinzima Vavi, dem Generalsekretär des größten südafrikanischen Gewerkschaftsdachverbands COSATU, hat das Forum einen namhaften und kämpferischen Gewerkschafter für die Eröffnung der inhaltlichen Debatte gewinnen können. Der Kampf gegen Xenophobie sei untrennbar verbunden mit dem Kampf gegen das kapitalistische System, betonte er. Konkret sei es Aufgabe der Gewerkschaften, migrantische Arbeitskräfte über Grenzen hinweg und unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus zu organisieren - und auf lokaler Ebene dafür zu sorgen, dass Asylsuchende Unterstützung bekämen.
Zutritt nur für Asylberechtigte
Der Vertreter des UNHCR Südafrika Arvin Gupta, der später auf dem Podium saß, fasste das Aufgabengebiet seiner Organisation deutlich enger. Die Mobilität von Menschen habe ganz unterschiedliche Gründe, erklärte er, und es sei schwer festzustellen, wer asylberechtigt sei und wer nicht. Da Staaten jedoch ein Recht darauf hätten, ihre Grenzen zu kontrollieren, unterstütze das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen die südafrikanische Regierung beim „Migrationsmanagement“ und helfe dabei, Asylberechtigte unter den Einwandernden herauszufiltern. Gupta verließ das Forum unmittelbar nach seinem Vortrag, so dass es keine Möglichkeit gab, seine Thesen zu diskutieren, was einige der Zuhörenden gerne getan hätten.
Dass es inzwischen häufig gar nicht mehr darum geht, diejenigen ausfindig zu machen, die des Schutzes bedürfen, ist in einer der Publikationen von Loren Landau zu lesen, der ebenfalls mit einem Podiumsvortrag beim Weltsozialforum Migration vertreten war. Der Direktor des African Center for Migration and Society (ACMS) in Johannesburg hatte in einer Untersuchung festgestellt, dass sich der Fokus bei der Grenzkontrolle umgekehrt hat: Oberstes Ziel des südafrikanischen Department of Home Affairs (entspr. Innenministerium) sei es, diejenigen aufzuspüren und abzuweisen, denen man einen Missbrauch des Asylsystems vorwerfen könne. Der Schutz der anderen sei längst nachrangig geworden. (Ein Befund, der nicht nur für Südafrika gilt und auch auf den Einfluss des UNHCR zurückzuführen ist.) Auf dem Forum vertrat Landau die These, dass der eigene Rechtsstatus für Migrant_innen weniger wichtig sei als lokale soziale Beziehungen, über die sie Zugang zu Information und materieller Unterstützung erhalten können. Die Solidarität sollte sich entsprechend auf letzteres konzentrieren und die sozial benachteiligte Lokalbevölkerung einbeziehen.
Ähnlich wie Landau stellten auch die Vorträge von Aurelia Segatti von der ILO Südafrika und Raúl Delgado Wise von der UNESCO Mexiko die vom UNHCR und von nationalen Regierungen beförderte Unterscheidung von Asylberechtigten und anderen Migrant_innen in Frage. „Migration hat immer auch mit Arbeit zu tun – selbst bei Flüchtlingen“, erklärte Segatti, und Delgado Wise betonte umgekehrt: „Migration beinhaltet immer Aspekte von Zwang und Unfreiwilligkeit, auch bei so genannter Arbeits- oder Wirtschaftsmigration. Die neoliberale Globalisierung zwingt Menschen dazu, auf der Suche nach einem Auskommen für sich und ihre Familien zu migrieren.“
Auswirkungen von Migrationsregimen auf Herkunfts- und Transitländer
In den einzelnen Workshops und den Pausen wurde dann über Analysen hinaus verstärkt über Strategien zur Durchsetzung der Rechte von Migrant_innen diskutiert und Vernetzungsarbeit geleistet. Im von medico und Brot für die Welt organisierten Workshop zu den „Auswirkungen von Migrationsregimen auf Herkunfts- und Transitländer“ wurde die 2014 erschienene Studie „Im Schatten der Zitadelle“ vorgestellt und mit Aktivisten aus Deutschland/Nigeria, Mali, Mauretanien und Südafrika diskutiert. Der ebenfalls als Workshopteilnehmer eingeladene Hassan Boubakri aus Tunesien konnte nicht dabei sein, weil ihm – wie auch einigen anderen Angemeldeten – das Visum verweigert worden war.
Amadou M’Bow von der AMDH in Mauretanien und Ousmane Diarra von der AME in Mail plädierten in ihren Redebeiträgen für einen Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Akteur_innen in Westafrika, um gemeinsamen gegen die EU-Politik zu kämpfen. Sie sollten über Staatsgrenzen hinweg darauf hinwirken, dass die Länder Westafrikas keine bilateralen Abkommen mit der EU unterzeichnen und keine Mobilitätspartnerschaften abschließen. Stattdessen sollte es regionale Vereinbarungen zum Umgang mit Mobilität in Westafrika geben und in Zusammenarbeit von Organisationen aus Herkunfts- und Zielländern verhindert werden, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex an Einfluss gewinnt.
Demgegenüber äußerte Rex Osa von The Voice in Deutschland Bedenken, dass korrupte Regierungen zu solchen Schritten bewegt werden können. Die nigerianische Regierung beispielsweise würde alles unterzeichnen, was ihr selbst Vorteile verschaffe. Er sah vor allem die europäischen Länder in der Pflicht, die Situation von Flüchtlingen zu verbessern. In Deutschland herrsche Apartheid. Flüchtlinge würden hier wie potenzielle Kriminelle behandelt und gezwungen, sich über Monate und Jahre hinweg am selben Ort aufzuhalten. Osa forderte, dass Flüchtlinge nach einiger Zeit automatisch ein Bleiberecht erhielten. „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört habt“, klagte er die europäischen Staaten an. „Und wir sind ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘, weil wir keine Wahl haben.“
Die Ausführungen von Gabriel Shumba vom ZEF in Südafrika zeigten, dass der Umgang mit Flüchtlingen in Südafrika ähnlich ist wie in Europa. „Südafrika ist der Westen Afrikas“, erklärte er. „Die Bedingungen in den Auffanglagern sind katastrophal, es gibt sogar Fälle von Folter. Viele Migrant_innen hier erleiden, was Mandela sein Leben lang bekämpft hat.“ Zu den Strategien seiner Organisation, die in erster Linie Flüchtlinge aus Simbabwe unterstützt, gehört sowohl der juristische Beistand für einzelne Migrant_innen als auch ein Hinwirken auf Gesetzesänderungen zur Stärkung der Rechte von Migrant_innen. Zudem bemüht sich das ZEF auf kommunaler Ebene darum, Xenophobie und Diskriminierung entgegenzuwirken.
Freizügigkeit braucht ein globales System sozialer Sicherung
Großformatige zivilgesellschaftliche Zusammenkünfte bringen meist wenig verbindliche Ergebnisse hervor, aber sie ermöglichen unabdingbaren Austausch und stoßen wichtige Initiativen an. Dass es jedoch zusätzlich zu den vielfältigen auf lokaler und regionaler Ebene notwendigen Aktivitäten und Allianzen auch auf globaler Ebene Kämpfe geben muss, die über Austausch und Vernetzung hinausgehen, machte Gustave Massiah von CRID Paris im Workshop „The need for a World Summit on Migration“ deutlich. Er habe nichts gegen ideologische Kämpfe, halte sie sogar für wichtig, aber um das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl des Niederlassungsortes tatsächlich durchsetzen zu können, müsse an globalen Systemen sozialer Sicherung gearbeitet werden, betonte Massiah. Das habe selbst die WTO (Welthandeslorganisation) inzwischen begriffen. Bleibt zu hoffen, dass es weitere Foren gibt, auf denen Ideen wie diese vorangetrieben werden.