medico-Report 21: Der Preis der Versöhnung

Südafrikas Auseinandersetzung mit der Wahrheitskommission

29.04.1999   Lesezeit: 4 min

Thema des medico-Reports ist die südafrikanische Wahrheitskommission, deren Arbeit 1998 zu Ende ging und der durch sie moderierte »Versöhnungs«-Prozeß im Nach-Apartheid-Südafrika. Damit ist zugleich der Verlauf des Transformationsprozesses nach dem Ende des Befreiungskampfes, seine historische Entstehung, sein Verlauf und seine Funktion angesprochen. Der »Versöhnungs«-Prozeß kann als Resultat und als Moment des Übergangs begriffen werden. Er schafft Legitimität im Aufbau des neuen Staates und der Herausbildung einer neuen gesellschaftlichen Hegemonie, belastet mit der Hypothek einer ›unvollendeten‹ Revolution, die in der neoliberalen Modernisierung und im durchgeführten Anschluß Südafrikas an den globalisierten Kapitalismus zu verenden droht. Der Akzent der Zusammenstellung von Texten und Interviews liegt auf der Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen, diesen Prozeß umzukehren, eine andere Dynamik zu entfalten: Versöhnung an die Herstellung von Gerechtigkeit zu binden, eine Gerechtigkeit, die auch materiell herzustellen wäre. Mit Interviews und Beiträgen u.a. von Mahmood Mamdani, Usche Merk, Njabulo Ndebele und Steven Robins.


Die Arbeit der südafrikanischen Wahrheits- & Versöhnungskommission (TRC) geht dem Ende entgegen, noch 1998 wird der Abschlußbericht erwartet. Beendet wird damit ein einzigartiger Prozeß der ›Aufarbeitung der Vergangenheit‹, von dem heute nur eines schon feststeht: Er hat ungeheure und ungeahnte Diskussionen hervorgerufen, in Südafrika selbst wie im Ausland. Noch nie hat eine Wahrheitskommission, die es zuvor auch in anderen Ländern gab, national wie international eine derartige öffentliche Aufmerksamkeit erfahren: über die TRC wurden und werden unzählige Artikel, Filme, Bücher und jetzt auch Doktorarbeiten produziert, Konferenzen durchgeführt.

Mit der Broschüre »Der Preis der Versöhnung« ist beabsichtigt, die kritische Auseinandersetzung mit der und um die TRC ein wenig nachzuzeichnen, um deren Bedeutung und Funktion im historischen Kontext der südafrikanischen Geschichte näher verstehen zu können.

Die Wahrheitskommission hat Erstaunliches oder besser Entsetzliches über die Verbrechen der Apartheidzeit zutage gebracht: Die lang vermutete Existenz von verdeckten Killerkommandos, deren einzige Aufgabe es war, politische Gegner zu terrorisieren und umzubringen, konnte endlich bewiesen werden. Im Detail wurden Struktur und Vorgehen der sogenannten ›Vlaakplaas‹-Einheit von der TRC und engagierten Journalisten aufgedeckt, die Killer bekamen Namen und Gesicht. Auch andere ungeklärte Fälle konnten aufgeklärt werden, als verschwunden geglaubte Ermordete konnten gefunden und exhumiert werden.

Doch genau dieses Verständnis über die Wahrheit der Apartheid, das nur die ›illegalen‹ Menschenrechtsverletzungen ins Zentrum setzt, ist der Kern der inzwischen prominenten Kritik Mahmood Mamdanis in dem Text »Die Kommission und die Wahrheit« im ersten Abschnitt der Broschüre: Die TRC habe es versäumt, auf die ›legalen‹ Verbrechen der Apartheid aufmerksam zu machen, die millionenfachen Zwangsumsiedlungen, Verhaftungen wegen des Paßgesetzes etc. Damit sei nicht nur der strukturelle und systemimmanente Gewaltcharakter des Apartheidregimes ausgeblendet, es verschweige auch die Rolle und Verantwortung der ›beneficiaries‹, der Nutznießer des Regimes, Weiße vor allem und Teile der Homeland- & Townshipverwaltung und des ›Dreikammernparlaments‹.

Über das Problem, wie die TRC das südafrikanische Geschichtsbild und Selbstverständnis prägt und welche Folgen das hat bzw. haben könnte, reflektiert Brandon Hamber in einem Gespräch mit medico (»Entpolitisierung dient immer denjenigen, die an der Macht sind«). Als intimer Kenner und Berater der TRC gibt er eine erste Auswertung der Arbeit und verweist auf die offenen Fragen und unabgeschlossenen Diskussionen.

Wer die Opfer, die Täter und die Nutznießer der Apartheid sind, auch dies ist Gegenstand einer heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung, der sich der zweite Abschnitt widmet. Welche Fragen und Probleme die enge Opferdefinition der TRC aufwirft, die eine Grundlage für Entschädigungsforderungen darstellt, erläutert Ntombi Mosikare von der Selbsthilfegruppe Khulumani in einem Interview.

Hält man sich vor Augen, wie unzureichend die TRC die Verbrechen der Apartheid definiert hat und wie eingeschränkt der Kreis der Opfergruppen ist, dann erscheint die Kritik vieler Weißer um so anmaßender, die TRC sei einseitig und eine Hexenjagd, wie sie exemplarisch der burische Autor Rian Malan formuliert. Der Beitrag »Eine burische Kontroverse« stellt einen scharfen Schlagabtausch mit dem ebenfalls burischen Journalisten Max du Preez, der in einer südafrikanischen Tageszeitung ausgetragen wurde, dar. Er zeigt exemplarisch die Dimension der Ignoranz und Verleugnung von Weißen, die sich nun selbst als Opfer sehen wollen.

Im dritten Abschnitt wird darüber reflektiert, wie sich die TRC auf die Art und Weise der Erinnerung von Geschichte auswirkt. Der bekannte südafrikanische Schriftsteller Njabulo Ndebele begrüßt in dem Text »Die Erinnerung, die Metapher und der Triumph der Erzählung« das Aufkommen einer Erzählkultur, deren Grundstein die TRC gelegt hat und bemerkt gleichzeitig, wie schwierig es ist, von Apartheid zu erzählen, wo die Realität der absurdesten Vorstellung weit voraus war. Der Schaffung einer Gesellschaft, die sich als nicht-rassistisch versteht, geht die Wahrnehmung, Anerkennung und kritische Durchdringung auch der ›kleinsten‹ Demütigung durch Weiße voraus.

Wo Ndebele mit charmanter Schärfe den Finger auf die (weißen) Wunden legt, da betont Steven Robins in »Die Stille im Haus meines Vaters. Erinnerung und Nationalismus« noch eine andere Dimension: Das geschichtliche Selbstverständnis, die Art und Weise der Erinnerung prägt Identität auf eine nationalistischen oder ethnizistischen Interessen folgenden Weise.


Jetzt spenden!