Militarisierte soziale Konflikte, eine tiefe und lang andauernde politische Krise, ein antidemokratischer Präsident und jetzt das neue Epizentrum der Corona-Pandemie: Die Partnerorganisationen von medico in Brasilien – dem nach Einwohner*innen fünfgrößten Land der Welt – stehen vor gigantischen Herausforderungen, die sie in großen, landesweiten Netzwerken der Solidarität mit vielen weiteren Organisationen angehen. Ihre Arbeit reicht von der Versorgung armer Familien mit Lebensmitteln bis zum Entwurf einer politischen Alternative für Brasiliens Zukunft in diesen wenig aussichtsreichen Zeiten.
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Das Virus und die sozialen Folgen von Corona treffen die Ärmsten besonders hart, insbesondere wohnungslose Menschen, die Bewohner*innen der Peripherie, der ländlichen und indigenen Gebiete und der Favelas. Die Todesrate in den Armenvierteln der großen Städte Rio de Janeiro und São Paulo liegt zehnmal höher als in den Reichenvierteln und das öffentliche Gesundheitssystem – auf dem Papier garantiert die brasilianische Verfassung das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung – ist unterfinanziert und komplett überlastet. In den letzten Jahren gab es mehrfach Gesetzesänderungen und Mittelkürzungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Mit einer Verfassungsänderung im Jahr 2016 wurden die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen und anderer sozialer Bereiche für einen Zeitraum von 20 Jahren eingefroren.
Die medico-Partnerorganisationen versuchen, die sozialen Folgen der Corona-Maßnahmen ebenso abzufedern wie sie mit Aufklärung und Produkten für den Schutz vor einer weiteren Virusausbreitung sorgen – unter den erschwerten Bedingungen in Favelas und Armenvierteln. Alle Aktivitäten sind selbstorganisiert und werden von ehrenamtlichen Aktivist*innen durchgeführt. medico unterstützt sie auch beim Schutz ihrer Bildungsstätten und Büros, wo Archive und Dateien lagern – in einem gesellschaftlichen Klima, das so bedrohlich ist, dass einige prominente Gesichter der Bewegungen um ihr Leben fürchten müssen.
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Die Wohnungslosenbewegung MTST organisiert seit 22 Jahren Menschen aus den Randbezirken der Großstädte, um für ihre Rechte zu kämpfen, insbesondere für das Recht auf menschenwürdigen Wohnraum. In diesem Zeitraum haben sich mehr als 55.000 Familien an den Besetzungen beteiligt – Menschen, die hohe Mieten nicht mehr zahlen konnten, die zwangsgeräumt wurden und ihre Hoffnung in den MTST legen.
Seit dem Covid-19-Ausbruch unterstützt der MTST seine Netzwerke mit Hilfsgütern, Beratung, Rechtsbeiständen und Informationen. Seit dem Ausbruch von Covid-19 werden bislang 18.500 Familien in den Randgebieten von 11 Bundesstaaten mit Lebensmitteln versorgt. 500 Freiwillige verteilen die Pakete und können durch die Auslieferungen auchKontakt zu den Familien halten und sie anderweitig unterstützen, zum Beispiel durch psychologische Beratungsangebote und Unterstützung bei der Beantragung von Corona-Soforthilfen des Staates. Eine Kooperative obdachloser Frauen im MTST aus 5 Bundesstaaten näht und verteilt Stoffmasken in ganz Brasilien, organisiert die Verteilung von Mahlzeiten aus Gemeinschaftsküchen und versorgt schwangere Frauen mit Hilfsgütern.
Die Landlosenbewegung MST wurde 1984 gegründet und kämpft mit Landbesetzungen für eine Agrarreform in Brasilien. Sie ist in fast allen Bundesstaaten aktiv. Zum Teil in Abstimmung mit dem MTST und anderen Solidaritätsnetzwerken spendete der MST mehr als 1.500 Tonnen Nahrungsmittel aus den eigenen landwirtschaftlichen Betrieben. In fast allen Bundesstaaten sammelt die Bewegung außerdem Nahrungsmittel und andere Produkte, stellt Pakete zusammen und organisiert die Verteilung an Familien.
Das Coronavirus ist bei den Indigenen in Amazonien angekommen. Viele Völker haben begonnen, ihre Reservate zu schließen und sie, wenn irgend möglich, nicht mehr zu verlassen. Andere ziehen sich weiter in die Wälder zurück, um den Ansteckungsgefahren zu entkommen. Krankenhäuser sind weit weg und verfügen über wenige Intensivbetten und Beatmungsgeräte. So ist beispielsweise die Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser in Manaus im Bundesstaat Amazonas bereits erschöpft. In fast allen indigenen Gebieten fehlt es an medizinischer Basisversorgung und an Schutzausrüstung. Die ASchließung der indigenen Gebiete, um ein Eindringen des Virus möglichst zu verhindern, ist aber auch problematisch, weil es an Lebensmitteln mangelt und die Versorgung durch die Blockade behindert wird.
medico unterstützt seit den Amazonas-Bränden gemeinsam mit der Stuttgarter Organisation POEMA die indigene Gemeinschaft der Ka’apor beim Schutz ihres Gebietes, auf dem etwa 2000 Menschen leben. Das klingt klein, aber das Gebiet umfasst 600.000 Hektar und ist damit doppelt so groß wie das Saarland. Über 90 Prozent des Ka’apor-Territoriums an der Grenze der Bundestaaten Pará und Maranhão sind vom Amazonas-Regenwald bedeckt.
„Captain Chainsaw“ (Kapitän Kettensäge) nannte sich Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro einmal selbst in Bezug auf seine Amazonas-Politik. Ausnahmsweise sagte er da die Wahrheit: Brasilien hatte über Jahre eine Vorreiterrolle beim Schutz vor weiteren Waldrodungen gespielt. Doch nun werden Geldstrafen für Umweltverbrechen gesenkt, die jahrzehntelang eingeübte Indigenen-Politik in Frage gestellt und neue Großprojekte geplant. Das hat sich im Jahr nochmal 2020 verschärft – und im Windschatten von Corona kommt es zu weiteren Brandrodungen und Abholzungen im Amazonas. Die Ka'apor kämpfen derweil um den Erhalt ihrer Rechte und ihres Waldes, der nicht nur für sie Lebensgrundlage ist. Menschen zerstören die Natur, doch es sind auch Menschen, die sie schützen.
Das alternative Medienprojekt Outra Saúde (Andere Gesundheit) entstand Anfang 2018, zur Zeit der Regierung Michel Temers, die eine Reihe von Angriffen auf soziale Rechte, insbesondere auf das Recht auf bestmöglichen Zugang zu Gesundheit vollzog. In den letzten zwei Jahren hat sich Outra Saúde als wichtige Stimme der kritischen Gesundheitspolitik in Brasilien etabliert, sowohl durch die Produktion eigener Inhalte als auch durch die Diskussion anderer Veröffentlichungen. Outra Saúde verschickt den ersten und einzigen Newsletter, der sich ausschließlich der Gesundheitspolitik in Brasilien widmet.
Das seit 2010 bestehende Nachrichten- und Debattenportal Outras Palavras ist das Dach von Outra Saúde und zu einer der Referenzen des Journalismus in Brasilien geworden. Die Seite ist nicht den „harten Nachrichten“, sondern der Analyse gewidmet. Sie versammelt rund 700 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen aus Brasilien und anderen Ländern.
medico international verbindet eine lange und intensive Beziehung mit den brasilianischen Partnerorganisationen. Sie leisten in dieser dramatischen Situation Großes. Sie schnüren Essens- und Informationspakete gegen die Armut, sie leisten dort politische Hilfe, wo sonst niemand mehr ist. Und sie brauchen unsere Unterstützung, denn Corona ist noch lange nicht vorbei. Helfen Sie jetzt mit einer Spende!