Von Sultan Mahmud, verantwortlich für das Rohingya-Hilfsprogramm des medico-Partners Gonoshasthaya Kendra (GK) in den Distrikten Cox’s Bazar und Bandarban, Bangladesch.
Ich beschränke mich hier auf die allgemeine Lage und die Gesundheitsbedingungen der nach Bangladesch geflohenen Rohingya und gehe nicht ausführlich auf die politischen und umweltbezogenen Aspekte ein, auch nicht auf die Lage der gastgebenden bangladeschischen Gemeinden. Nach Angaben der bangladeschischen Regierung sind zwischen dem 25. August und Ende September 2017 über 650.000 Rohingya plötzlich und unerwartet aus Myanmar in die bangladeschischen Grenzdistrikte Cox’s Bazar und Bandaban geflohen. Verschiedene Medien schätzen ihre Zahl allerdings sehr viel höher ein, ihnen zufolge könnte sie bei 1,2 Millionen liegen – also nahezu doppelt so hoch wie von der Regierung geschätzt.
Die meisten der Geflüchteten brachten nichts mit als Schusswunden und die Verletzungen, die ihnen von Minen beigefügt wurden. Sie sind krank, leiden Hunger und werden von den fürchterlichen Erfahrungen ihrer Vertreibung gepeinigt: Männer wurden gefoltert, viele Frauen gleich mehrfach hintereinander vergewaltigt, alle wurden Zeugen der Ermordung von Verwandten und Freunden, allen steht das Inferno vor Augen, in dem ihre Häuser und ihr Besitz verbrannt wurden.
Die Geflüchteten haben Bangladesch über Grenzübergänge zu Land und zur See erreicht, über die Bucht von Bengalen oder über den Fluss Naf. Die Fluchtbewegungen dauern an, viele Leute wechseln wiederholt ihren Aufenthaltsort, es kommen immer noch Nachzügler aus Myanmar. All das macht schon die Registrierung der Angekommenen äußerst schwierig.
Es fehlt an fast allem
Die Gesundheit der Geflüchteten ist stark angegriffen, die Leute leiden zugleich physisch, mental und in ihrem sozialen Befinden. Dazu tragen natürlich auch der Mangel an Gesundheitsversorgung und die extrem elenden Lebensbedingungen in den vollkommen überfüllten Lagern bei, in denen es an allem fehlt: an geeigneter Unterkunft, an Nahrungsmitteln, Wasser und natürlich auch an sanitären Anlagen.
Unter diesen Umständen müssen wir nicht nur die akuten Erkrankungen behandeln, sondern immer auch die Verletzungen, die ihnen bei der Vertreibung zugefügt wurden: Brand-, Schnitt- und Schusswunden, die Erschöpfung durch die tagelangen Fußmärsche ohne Nahrung und Wasser, schließlich die Trauer über den Verlust von Verwandten und Freunden und überhaupt den Verlust des bisher gelebten Lebens und alles noch so ärmlichen Besitzes.
Die Mehrheit der Geflüchteten sind Frauen und Kinder. Nach Regierungsangaben wurden bis zum 26. Oktober 1832 schwangere und 42.541 stillende Mütter, 2472 Menschen mit besonderen Bedürfnissen, 1215 unbegleitete Kinder und 27185 alte Menschen registriert – die tatsächlichen Zahlen dürften auch hier deutlich höher liegen. Frauen und Kinder stellen die Mehrheit der Geflüchteten.
Die Regenzeit hat gerade erst begonnen
Die hohe Zahl der Geflüchteten übersteigt die personellen und die finanziellen Möglichkeiten der bangladeschischen Regierung, der internationalen Hilfsorganisationen, der gastgebenden Gemeinden und natürlich auch der örtlichen Gesundheitsdienste: niemand war auf die Ankunft so vieler notleidender Menschen in so kurzer Zeit vorbereitet, niemand konnte das sein. Hinzu treten die logistischen Herausforderungen durch fehlende Straßen und befahrbare Wege. Die Geflüchteten hausen direkt an den Rändern der Hauptstraßen, in der Nähe von Wäldern und auf den Feldern der umliegenden Dörfer. Ihre provisorischen Unterkünfte mussten sie sich aus Materialien zusammenzimmern, die sie vor Ort vorfanden.
Einigen gelang es, in den Lagern ihren Platz zu finden, in denen Rohingya früherer Vertreibungswellen leben, manche dieser Lager gibt es schon seit Jahrzehnten. Unter diesen Bedingungen müssen wir mit einem dramatischen Anstieg der Erkrankungen, mit dem Ausbruch von Epidemien und deshalb auch mit vielen Todesfällen rechnen. Dabei hat die Regenzeit gerade erst begonnen!
Die meisten Neuankömmlinge im Distrikt Cox’s Bazar leben in den Ortschaften Balukhali, Kutupalong und Putibonia, im Distrikt Bandarban konzentrieren sie sich auf die Gegend um Naikhangchari. Am besten sieht es in der Gegend westlich des Kutupulong Refugee Camps aus, wo die Regierung eine Fläche von 1200 Hektar zur Neuansiedlung von Geflüchteten bereitgestellt hat – wenn auch ohne Verkehrsanbindung, ohne sanitäre Anlagen, Wasserversorgung und Gesundheitseinrichtungen. Im Moment wissen wir nicht einmal, wie viele Lager hier eingerichtet werden sollen.
Mehr Hilfe ist nötig!
Im Prinzip liegt die Verantwortung für die Koordination, Organisation und Restrukturierung der Lager und der humanitären Aktivitäten beim Gesundheitsministerium und bei der bangladeschischen Armee, beide tun unter den gegebenen Umständen ihr Bestes. Da die verschiedenen UN-Organisationen wie UNHCR, OCHA oder IOM, die lokalen Autoritäten wie die lokalen und internationalen Hilfsorganisationen allerdings stets auch unabgesprochen und auf eigene Faust handeln, bleibt die Koordination weit hinter dem zurück, was nötig wäre.
Im Moment verfügen wir nicht einmal über eine zureichende Bestandsaufnahme der Nöte. Wir brauchen schnellere Entscheidungen, und wir brauchen deutlich mehr finanzielle Unterstützung, und das nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch für die gastgebenden Gemeinden, auf deren Land die Geflüchteten siedeln. Es ist absehbar, dass es hier auch zu politischen Verwerfungen kommen wird.
Die Regierung unterhält in der betroffenen Gegend 25 Kliniken, 10 weitere wurden von der Armee, 39 von Hilfsorganisationen eingerichtet, darunter die 13 Kliniken, die wir als Gonoshasthaya Kendra bereitstellen.
- Unsere Teams gehen davon aus, dass die größte Bedrohung von schwangerschaftsbedingten und Durchfallerkrankungen sowie von Hautkrankheiten ausgehen wird. Es fehlt an Latrinen, es fehlt sauberes Wasser, es gibt so gut wie keine Geburtskliniken.
- Wir brauchen nicht nur deutlich mehr Einrichtungen der primären und sekundären Gesundheitsversorgung, sondern auch Möglichkeiten der Traumabehandlung, der mentalen und psychosozialen Hilfe.
- In Erwartung starker Regenfälle müssen schnellstmöglich und in großem Stil Impfkampagnen durchgeführt werden.
- Selbstverständlich müssen auch die allgemeinen Lebensbedingungen in den völlig überfüllten, zum Teil auch ungeeigneten Lagern massiv verbessert werden.
- Die Kliniken wie die Lager und Gemeinden müssen schnellstmöglich mit zureichenden Einrichtungen der Lebensmittelversorgung ausgerüstet werden, wenn es nicht zusätzlich zu Hunger und damit auch zu hungerbedingten Erkrankungen kommen soll.
- Zusätzlich brauchen wir einen schnellen und zureichenden Ausbau der Möglichkeiten zur Dokumentation der Nöte.
Unterstützen Sie die solidarische Nothilfe von medico-Partner GK für die Rohingya unter dem Spendenstichwort "Nothilfe Bangladesch"!