Flüchtlinge und viele Migrantinnen und Migranten verlassen ihre Heimat aufgrund existenzieller Nöte und Bedrohungen: Sie fliehen vor Verfolgung, politischer Unterdrückung, Krieg, Gefahr für Leib und Leben. Sie fliehen auch vor Lebensumständen, die beispielsweise aufgrund des weltweiten Klimawandels keine gesicherte Existenz mehr zulassen. Obwohl dafür vor allem die reichen Länder des Nordens verantwortlich sind, entziehen sich diese ihrer Verantwortung für die Ursachen von Flucht und Migration und den Schutz von Flüchtlingen. Angesichts globalisierter Zusammenhänge ist es höchste Zeit umzudenken. Es ist Zeit für eine veränderte Flüchtlings- und Migrationspolitik.
Die Grenzschutzbehörden der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, so auch das in Deutschland zuständige Bundesinnenministerium, sprechen von weltweit anwachsenden »Migrantenströmen«, die bedrohliche Ausmaße annehmen würden. Die Fakten sind weit weniger dramatisch. Nach Angaben der UN waren es im Jahr 2005 weltweit rund 200 Millionen Menschen, die außerhalb des Landes lebten, dessen Staatsbürger sie sind. Der »Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen« (UNFPA) hat festgestellt, dass der Anteil der Migrantinnen und Migranten an der Weltbevölkerung seit den 60er Jahren mit nur geringen Schwankungen bei etwa 3 % liegt. Viele EU-Staaten, auch Deutschland, sind nicht nur Ziel von Einwanderung, sondern in beträchtlichem Maße auch Auswanderungsland.
Auch in Bezug auf Flüchtlinge klaffen die Realität und die öffentliche Wahrnehmung auseinander. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge schätzt das »Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge« (UNHCR) auf 40 Millionen Menschen. Die weit überwiegende Mehrheit von ihnen – 80 bis 85 % – verbleibt in der Herkunftsregion. Allein die Zahl der »Binnenflüchtlinge«, die innerhalb ihres Herkunftslandes auf der Flucht sind, liegt nach Schätzungen des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) aus dem Jahr 2006 bei 24,5 Millionen – darunter 5,8 Millionen Binnenflüchtlinge im Sudan, zwischen 2 und 4 Millionen in Kolumbien, 2,2 Millionen im Irak, 1,4 Millionen in der Demokratischen Republik Kongo, 1,3 Millionen in Uganda und über 1 Million in der Türkei.
Im Falle grenzüberschreitender Flucht sind es die unmittelbaren Nachbarländer, die die Aufnahme von Hunderttausenden Flüchtlingen gewährleisten müssen – darunter Länder wie Pakistan (wo 2 Millionen afghanische Flüchtlinge leben), Tansania (mit je über 1 Million Flüchtlingen aus dem Kongo und Burundi), Syrien (mit 500.000 Irakerinnen und Irakern allein im Jahr 2006) oder Jordanien (das ebenfalls 700.000 Menschen aus dem Irak aufgenommen hat).
Zum Vergleich: In allen 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) zusammen wurden 223.000 Asylanträge im Jahr 2007 verzeichnet. So spektakulär die Bilder von Flüchtlingsbooten vor den Kanarischen Inseln und im Mittelmeer wirken und so dramatisch auch die Schicksale der betroffenen Menschen sind – die Zahlen relativieren sich im weltweiten Kontext. Von den häufig zitierten »Massen«, die vor den Toren Europas stünden, kann keine Rede sein. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge lebt unter prekärsten Bedingungen in Notbehausungen und Flüchtlingslagern in den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Flüchtlinge unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention
Die 1951 verabschiedete »Genfer Flüchtlingskonvention« (GFK) definiert Flüchtlinge als Menschen, »die aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, befinden und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen.«
2006 standen rund 9,9 Millionen Flüchtlinge weltweit unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention. 144 Staaten der Welt haben sie unterzeichnet, darunter alle EU-Staaten. Die Europäische Union hat auf der Grundlage der GFK Mindeststandards für ein gemeinsames Asylsystem beschlossen. Hüter der GFK ist das »UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge« (UNHCR).
Die GFK, in deren Zentrum die Flüchtlingsdefinition und Bestimmungen zum Schutz vor Ab- bzw. Rückschiebung in den Verfolgerstaat stehen, entstand als Antwort auf die exzessiven Verfolgungen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und des Nationalsozialismus . Aktualität aber besitzt sie nach wie vor: Auch heute noch fliehen Menschen aus den in der GFK genannten Gründen. Zu den Flüchtlingen zählen verfolgte Einzelpersonen, aber auch Menschen, die als Gruppe verfolgt werden – beispielsweise weil sie einer bestimmten ethnischen Minderheit angehören, sich zu unerwünschten bzw. verbotenen Religionen bekennen oder aufgrund ihrer sexueller Orientierung verfolgt werden.
Alte und neue Fluchtursachen
Politische Verfolgung ist oft untrennbar verknüpft mit massiven sozialen und wirtschaftlichen Missständen. Ein Blick auf Afrika macht das deutlich. Viele der dortigen Konflikte und Kriege werden durch Auseinandersetzungen um Ressourcenreichtum angeheizt. Paradoxerweise ist es ja nicht die Armut, sondern der Reichtum der Länder, der die Kriege in Gang hält. Viele Konflikte, namentlich ethnische Spannungen, resultieren aus den willkürlich vorgenommenen kolonialen Grenzziehungen. Und es waren auch die Kolonialmächte, die mit einer auf den Export ausgerichteten Wirtschaftspolitik die Grundlage für die andauernde Abhängigkeit vieler afrikanischer Staaten von den Weltmarkt beherrschenden Konzernen legten. Dies ist der Kontext, in dem lokale Eliten ihre Macht zur persönlichen Bereicherung nutzen, während die Bevölkerung auf dramatische Weise verarmt.
Ein Beispiel ist Kenia. Dort drohte, ausgelöst durch eine manipulierte Präsidentschaftswahl, ein Bürgerkrieg. Die tiefen sozialen Gegensätze des Landes, die mit ethnischen Zugehörigkeiten in Zusammenhang stehen, lösten Verfolgungswellen aus. Binnen kurzem wurden mehr als 500.000 Menschen zu Flüchtlingen. In der DR Kongo war und ist es die Auseinandersetzung um die reichhaltigen Ressourcen des Landes, die zu Hunderttausenden Toten, einer weitgehenden Zerstörung von Lebensgrundlagen und schwersten Menschenrechtsverletzungen, insbesondere an Frauen und Mädchen, ethnischen Minderheiten und Oppositionellen, führten. Menschenrechtsverletzungen, die von Warlords, Privatarmeen, aber auch von staatlichen Sicherheitskräften, gedeckt durch einen korrupten Justizapparat, verübt wurden. 2007 registrierte der UNHCR 400.000 Flüchtlinge allein aus der DR Kongo.
Eine Weiterentwicklung der GFK und ihre Ergänzung sind nötig.
Zweifellos ist die GFK heute das wichtigste Instrument zum Schutz von Flüchtlingen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass »Binnenflüchtlinge« von der GFK-Definition ausgeschlossen sind und der UNHCR seine Aufgaben auch nur in den Staaten effektiv wahrnehmen kann, die der GFK beigetreten sind. Von den 40 Millionen »Menschen in flüchtlingsähnlichen Situationen« (UNHRC) kann der UNHCR nur rund die Hälfte praktisch unterstützen. Erschwerend kommt hinzu, dass vielen Flüchtlingen der Schutz verweigert wird, der ihnen gemäß der GFK völkerrechtlich garantiert ist. Dies gilt insbesondere für Personen, die in den Industriestaaten Asyl suchen. Mitte der 90er Jahre etwa protestierte der UNHCR dagegen, dass die Massenvergewaltigungen von Frauen in Bosnien, die offenkundig Teil einer gezielten Kriegsstrategie waren, in den Asylverfahren als »allgemeine Kriegsfolge« betrachtet wurden und deshalb nicht zu einer Anerkennung führten. Heute werden in Deutschland die Asylanträge eines Teils der tschetschenischen Asylsuchenden unter Hinweis auf eine sichere Ansiedlungsalternative in der Russischen Förderation abgelehnt. Irakischen Flüchtlingen wurde sogar zeitweilig unter Verweis auf den Regimewechsel der einstmals gewährte Status entzogen. Flüchtlinge aus fast allen afrikanischen Staaten sehen sich mit dem Generalverdacht konfrontiert, aus ökonomischen Gründen gekommen zu sein, was sich in den Anerkennungsquoten widerspiegelt. Generell ist in den Industriestaaten eine fortschreitende Tendenz zur Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes festzustellen.
Dabei wäre das Gegenteil notwendig: Unbedingt müsste die Genfer Flüchtlingskonvention beachtet und als völkerrechtliches Instrument weiterentwickelt werden, um neue Fluchtgründe zu erfassen. Mit der Klarstellung, dass Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung in den Schutzbereich der GFK fallen, ist dies in der Vergangenheit bereits geschehen. Diesen Fortschritten steht eine Gesamttendenz gegenüber, die keineswegs positiv ist. Denn bedauerlicherweise ist in der Europäischen Union heute die Bereitschaft zu einer umfassenden Anwendung der GFK in vieler Hinsicht einer immer restriktiveren Auslegung gewichen. Auch steht die Entwicklung von ergänzenden Schutzformen für Bereiche, die vom Flüchtlingsrecht bisher nicht erfasst werden, auf EU-Ebene noch in den Anfängen.
Für Menschen, die vor einer Umweltkatastrophe oder vor Elend und Not fliehen, gibt es in der Regel weder das Recht auf Zugang nach Europa noch einen Schutz vor Abschiebung. Gute Gründe, ihre Heimat zu verlassen, haben sie dennoch.
Flüchtlinge im Kontext globaler Migration
Menschen, die ihre Heimat verlassen, haben dafür meist mehrere Motive. Nicht immer steht Verfolgung im Vordergrund. Oft sind es Gründe der Existenzsicherung, die zum Weggang bewegen, mithin die Hoffnung, anderswo ihr Glück zu finden (»pursuit of happiness« – Bill of Rights).
Bei näherer Betrachtung aber wird deutlich, dass auch die Migration von Menschen, die sich nicht auf der Flucht vor Verfolgung fühlen, von einem wachsenden Zwang begleitet wird. Es ist deshalb sinnvoll, von erzwungener Migration zu sprechen und diese stärker als bisher politisch in den Blick zu nehmen. Zur Zwangsmigration gehört nicht nur die unmittelbare und spontane Flucht vor politischer Unterdrückung oder Bürgerkrieg, sondern auch Formen von Auswanderung, die vordergründig noch den Schein von Freiwilligkeit aufweisen. Wem aber Elend, Landlosigkeit oder Umweltzerstörung keine andere Wahl mehr lassen als zu emigrieren, der ist Zwangsmigrant. Die Global Commission on International Migration (GCIM) unterscheidet drei Hauptursachen für Migration: Unterschiede in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, in der Demographie und in Bezug auf demokratische Garantien. Im Hinblick auf die Herausforderungen der kommenden Jahre wären Umwelt- bzw. klimatische Bedingungen noch hinzuzufügen.
Migration und Flucht als Folge globaler wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit
Einer der Hauptgründe für Flucht und Migration ist die sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich. Die Welt ist im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung zwar näher zusammengerückt, doch sie ist heute gespaltener denn je. Hier der globale Norden mit seiner wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Vorherrschaft, dort der globale Süden mit den Zonen der Elends, der Ausgrenzung und Demütigung. Die Ungleichheit aber wächst nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch innerhalb der einzelnen Länder.
Etwa 550 Millionen Menschen leben heute von weniger als einem Dollar pro Tag, die Hälfte der 2,8 Milliarden Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit verdient weniger als zwei Dollar pro Tag. Zwar ist die Weltwirtschaft seit 1950 um das 7-fache gewachsen, doch profitieren immer weniger Menschen von ihrem Ertrag. Drei Milliarden Menschen, etwa die Hälfte der Weltbevölkerung, haben zusammen ein geringeres Einkommen als die 400 reichsten Familien. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind, obwohl die Landwirtschaft der Welt problemlos imstande wäre, das Doppelte der gegenwärtigen Weltbevölkerung zu ernähren.
Eine Folge der Ungleichheit ist der »Brain-Drain«, der die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus den ärmeren Ländern bezeichnet. Auf den Philippinen beispielsweise verdient eine Krankenschwester 146 Dollar im Monat, in den USA sind es 3.000 Dollar. In den letzten Jahrzehnten sind jährlich 3.000 philippinische Krankenschwestern ausgewandert. In manchen afrikanischen Ländern können Krankheiten und Seuchen deshalb nicht bekämpft werden, weil das dafür nötige medizinische Personal ins Ausland abgewandert ist.
Viele Länder sind auf den »Export« von Fachkräften angewiesen. Zur Tilgung von Schulden brauchen sie Deviseneinahmen, und dabei spielen die von den Migrantinnen und Migranten geleisteten Rücküberweisungen eine nicht unerhebliche Rolle. 2005 betrug deren Summe über 232 Milliarden Dollar. Davon gingen 167 Milliarden Dollar in die Entwicklungsländer. Das ist doppelt so viel wie die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe.
Die Menschen in den Armutsregionen der Welt wissen meist sehr genau, dass Erhalt und Vernichtung der eigenen Lebensgrundlagen von den globalen Verhältnissen abhängen. Viele Dörfer, Clans, Familien setzen zur Risikominderung auf eine Art Diversifizierung ihrer Einkünfte. Gezielt werden Hoffnungsträger auf die Welt verteilt, um die Chancen der eignen Zukunftssicherung zu erhöhen. Und so drückt sich in der weltweiten Migration nicht nur Ungleichheit und die Vernichtung von Lebensgrundlagen aus, sondern auch der Anspruch auf Überleben, eine »Globalisierung von unten«.
Für die Vernichtung von Lebensgrundlagen in den Ländern des Südens sind endogene wie exogene Faktoren verantwortlich. Fraglos ist es beispielsweise in Angola eine korrupte Elite, die mit repressiven Mitteln dafür sorgt, dass der Reichtum des Landes nicht der Bevölkerung zu gute kommt, sondern auf Konten im Ausland verschwindet. Mitverantwortlich aber sind auch multinationale Konzerne und Regierungen im Norden, die zum Wohle der eigenen Rendite mit diesen Eliten Verträge schließen, die Korruption fördern und für die Aushöhlung staatlicher Institutionen sorgen. In vielen Ländern des Südens kann von staatlicher Sozialpolitik nicht mehr die Rede sein, seit Kreditauflagen und die vom »Internationalen Währungsfonds« (IWF) aufgezwungenen Strukturanpassungsprogramme die Herrschaft übernommen haben. Auch wenn unterdessen selbst der IWF seine Politik korrigieren musste, fließen noch immer Mittel, die eigentlich für Bildung oder Gesundheit notwendig wären, in den Schuldendienst oder versickern in korrupten Strukturen, die mit den globalen Großkonzernen aufs Engste zusammenarbeiten.
Beispiel Fischfang: Es war in erster Linie die EU, die die Existenz westafrikanischer Fischer mit industriellen Fangmethoden ruiniert hat. Zuerst wurden den Regierungen der Küstenländer – oftmals unter Druck – die Fischereirechte abgekauft. Dann holten hochtechnisierte steuersubventionierte Fischereiflotten in kürzester Zeit mehr Fisch aus dem Wasser, als die Einheimischen dies in Jahrzehnten vermocht hätten. Schließlich blieb vielen der um ihre Verdienstmöglichkeiten gebrachten Fischer keine andere Wahl, als ihre Boote an Flüchtlinge zu vermieten oder zu verkaufen oder gar selbst die gefährliche Fahrt in Richtung kanarische Inseln anzutreten. So sorgt die EU indirekt selbst für seeerfahrene Schleuser und Bootsflüchtlinge.
Angesichts des erreichten Globalisierungsgrades entpuppt sich die Idee nationalstaatlicher Souveränität zunehmend als Illusion. Das gilt aber nicht nur für die so genannten »failed states« des Südens, sondern auch für die reicheren Staaten des Nordens, deren Politik von den Vorgaben einer längst globalisierten Ökonomie bestimmt wird. Für den Kontext der Menschenrechte und damit den Schutz menschenwürdiger Lebensumstände ist das insofern von Bedeutung, weil deren Verwirklichung den einzelnen Staaten obliegt. So jedenfalls steht es in den internationalen Menschenrechtskonventionen. Vielen Ländern der Welt aber fehlen heute die politischen und materiellen Voraussetzungen, um beispielsweise den allgemeinen Zugang zu einem Höchstmaß an Gesundheit zu garantieren. Sie sind dazu genauso wenig imstande, wie es selbst den hoch technisierten Ländern nicht gelingen wird, die Ausbreitung von neuen globalen Krankheiten wie SARS oder Tuberkulose an den Landesgrenzen aufzuhalten.
Der Druck, unter dem die Menschenrechte heute weltweit stehen, zeigt, dass ihre Verwirklichung nicht mehr im nationalen Kontext, sondern nur noch unter der Bedingung ihrer supranationalen Ausdehnung gelingt. Notwendig ist die Schaffung eines Bündels von internationalen Verträgen, die den Menschenrechtsschutz sozusagen internationalisieren.
Denkbar sind z.B. völkerrechtlich geregelte Ausgleichfinanzierungssysteme, mit denen die wohlhabenden Länder beispielsweise für die Gesundheitsbedürfnisse der ärmeren aufkommen. An den Kosten müssen solche Ideen nicht scheitern. Mit nur 30 $ pro Kopf und Jahr wäre für alle Menschen eine grundlegende Krankenversicherung zu ermöglichen.
Auch die Bewältigung der Folgen des globalen Klimawandels ist nur im Rahmen internationaler Abkommen möglich.
Flucht vor Umweltschäden und Klimawandel
Bereits seit 20 Jahren weisen wissenschaftliche Studien darauf hin, dass sich hinter vielen Migrationsprozessen und Fluchtbewegungen auch ökologische Probleme verbergen. Hierzu gehören die grenzüberschreitende Luft- und Wasserverschmutzung, die Verringerung des weltweiten Rohstoffpotenzials, die Vernichtung der Biotope, Abholzung der tropischen und subtropischen Wälder und deren Folgen – Erosion, Brennstoffknappheit, Verminderung der Bodenfruchtbarkeit, Wassermangel. Die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass heute bereits mehr Menschen vor Umweltkatastrophen fliehen als vor Kriegen. Nach UN-Schätzungen werden in den kommenden Jahren mehr als 50 Millionen Menschen aufgrund von Wüstenbildung, Überschwemmungen oder anderen ökologischen Katastrophen ihre Heimat verlassen. Ressourcenkriege, vor allem Krieg um den Zugang zu Wasser stehen zu befürchten.
Die Entwicklungsländer werden am härtesten betroffen sein: Sie sind nicht nur ökonomisch schwächer, sondern tragen die Hauptlast der großen ökologischen Probleme. Die rücksichtslose Ausbeutung von Bodenschätzen und fossilen Brennstoffen hat bereits zu erheblichen Schäden geführt. Vielerorts ist die ländliche Selbstversorgung durch Monokulturen ersetzt worden, die für überregionale Märkte produzieren. Die Folgen: Überdüngung, die Zerstörung des Wasserhaushaltes, Degradierung der Böden, Verwüstung. Aktuell sorgt die Umstellung großer Teile der globalen Landwirtschaft auf Bioäthanol für wachsende Armut und erhöhten Druck auf bislang ungenutzte Biosphären.
Abseits von katastrophalen Zuspitzungen wie Dürrekatastrophen oder Überschwemmungen wurden die Dimensionen von ökologischen Fluchtursachen bislang nur schemenhaft deutlich. Durch den Klimawandel wird sich dieser Prozess aber beschleunigen. Einige pazifische Inselstaaten sehen sich bereits heute gezwungen, mit anderen Staaten über eine mögliche organisierte Aufnahme ihrer Bevölkerungen zu verhandeln, da sie mit dem kaum noch aufzuhaltenden Ansteigen des Meersspiegels in wenigen Jahrzehnten verschwunden sein werden. Den Bewohnern von Tuvalu, von Kiribati, der Malediven und der Marshall Inseln bleibt wahrscheinlich nur noch die Flucht. Verzweifelt versuchen deren Vertreter, wie auf der Klimakonferenz in Nairobi im November 2006, auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Ein Delegierter von Tuvalu: »Was wird die Geschichte von uns sagen, wenn wir Beschlüsse fällen, die ganze Länder verschwinden lassen? Das hat es im UN-System noch nie gegeben.«
Die Hauptverursacher der globalen Umweltprobleme aber sind die Staaten des reichen Nordens und zunehmend die so genannten Schwellenländer. Sie verbrauchen vier Fünftel der weltweiten Ressourcen und verursachen CO2-Emissionen in ähnlicher Größenordnung.
Steuerung von Migration: Selektion entlang wirtschaftlicher Eigeninteressen
Sowohl die Bundesregierung wie die Regierungen der EU-Staaten gehen von der Prämisse aus, Migration könne und müsse global gesteuert werden. Die verstärkte Selektion der Migranten unter strikt wirtschaftlichen Nützlichkeitskriterien haben die EU-Regierungen und die EU-Kommission als politisches Ziel ausgegeben. Migration, die die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum stärkt, ist aus Sicht der EU erwünscht.
Unter dem Label einer so genannten »Blue Card« wird aktuell auf EU-Ebene diskutiert, gezielte Einwanderung von qualifizierten und hochqualifizierten Arbeitskräften zu ermöglichen. Am 23. Oktober 2007 hat die EU-Kommission zwei entsprechende Vorschläge für EU-Richtlinien verabschiedet. Primär richten sich die Überlegungen der EU-Kommission auf Maßnahmen zur Beseitigung des Mangels an bestimmten Arbeitskräften.
Flüchtlinge zählen nicht zu den »Erwünschten«. Flüchtlinge stellen vielmehr aus Sicht der europäischen Staaten und der EU eine Bedrohung ihrer Souveränität und Handlungsfähigkeit bei der Migrationssteuerung dar. Infolgedessen haben die EU-Staaten in den letzten Jahren ein außerordentlich restriktives Grenz- und Migrationsregime errichtet: Es umfasst die »Sicherung« der Außengrenzen mit repressiven Methoden, ein restriktives Flüchtlingsrecht und eine Einwanderungspolitik, die nahezu ausschließlich den eigenen Interessen dient. Neben der intensivierten Abwehr unerwünschter Migration diskutiert die Europäische Union auch Strukturmaßnahmen zur Verbesserung der Situation in Herkunfts- und Transitländern – Ansätze, die bislang weitgehend theoretisch geblieben sind.
Damit das Grenz- und Migrationsregime der EU öffentliche Legitimation erfährt, wird dem Bedrohungsszenario das Wort geredet, Europa müsse sich eines gewaltigen Zustroms von Migranten erwehren. Außerdem werden die Motive für Flucht und (Zwangs-)Migration in der öffentlichen Debatte diskreditiert: Im politischen Alltag der reichen Industrienationen werden Asylsuchende vorwiegend als Wirtschaftsflüchtlinge etikettiert oder sogar als Betrüger dargestellt, die es auf die Teilhabe an Gütern abgesehen haben, die ihnen nicht zustehen. Flüchtlinge wurden in den letzten Jahren mehr und mehr wegdefiniert. In der öffentlichen Darstellung werden sie als »illegale Einwanderer« etikettiert. Dass sie Opfer von politischer, ethnischer oder religiöser Verfolgung sind, wird für die allermeisten Flüchtlinge bestritten. Ein Blick auf die Herkunftsstaaten der Flüchtlinge, die etwa die Überfahrt über das Mittelmeer wagen, zeigt ebenso wie die Anerkennungsquote derer, die es gegen alle Widerstände geschafft haben, ihre Asylgründe vorzutragen, dass viele der Bootsflüchtlinge Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sind. Bei der Thematisierung der sogenannten »illegalen Migration« wird dies verschwiegen. Ebenso blenden die EU-Staaten ihre wirtschaftliche Verstrickung in die Krisen und Kriege und ihre Mitverantwortung für soziale und ökologische Katastrophen der Entwicklungsstaaten aus.
»Temporäre Migration« als Neuauflage der »Gastarbeiterpolitik«?
Das Konzept der »temporären« bzw. »zirkulären« Migration wurde im Jahr 2006 von dem deutschen Innenminister Schäuble zusammen mit seinem damaligen französischen Kollegen Sarkozy propagiert und später vom Europäischen Rat übernommen. Der Begriff der »zirkulären Migration« wird in der Migrationsforschung als Beschreibung von pendelnden Migrationsbewegungen genutzt, d. h. mehrfachem Hin- und Herwandern zwischen ursprünglichem Herkunftsstaat und Einwanderungsland. Er wird nun politisch instrumentalisiert und mit anderen Inhalten gefüllt. Es geht um ein Konzept der zeitlich befristeten – sprich temporären – Migration nach Europa.
Das Ziel der Innenminister ist es, »illegale Einwanderung« zu verhindern und vor allem illegal Eingewanderte abschieben zu können. Hierzu werden Rückübernahmeabkommen abgeschlossen, die eine erleichterte Abschiebung ermöglichen. Um Länder wie Marokko, Senegal, Libyen dazu zu bewegen, wird eine höhere Entwicklungshilfe sowie eine befristete legale Einwanderungsmöglichkeit für ein begrenztes Kontingent ihrer Staatsangehörigen versprochen. Spanien hat zum Beispiel mit Senegal und Marokko derartige Abkommen abgeschlossen. Italien kooperiert in ähnlicher Weise seit längerem mit Tunesien.
Eine Politik der temporären Migration mit Rückkehrzwang würde die Mängel der alten Ausländerpolitik wiederholen. Die Parallelen zur Gastarbeiteranwerbung, dem alten deutschen Rotationsmodell, sind unübersehbar. Sie wird das Recht auf ein Zusammenleben mit der Familie beschneiden, Familienzusammenführungsmöglichkeiten ausschließen, die Eheschließung im Aufnahmeland zu verhindern suchen – Elemente, die bereits in der Tendenz der aktuellen Verschärfung des deutschen Ausländerrechtes liegen. Kurz: Sie wird fundamentale Menschenrechte verletzen.
Hinter solchen Plänen steht eine Sichtweise, die Migranten in erster Linie als Arbeitskräfte sieht, aber nicht als Menschen mit Hoffnungen, Plänen und vor allem Rechten. Sollbruchstelle ist die eingeplante Rückkehr der Migranten. In den Papieren der Brain-Trusts, aus denen sich die Regierungen der Industriestaaten bedienen, findet man zahlreiche Ideen, wie die Rückkehr der zeitweise gebrauchten Migranten zu erzwingen ist, nämlich durch ein System von Anreizen und Sanktionen. Man könnte Arbeitnehmer oder Arbeitgeber zur Hinterlegung von Kautionen zwingen oder Lohnbestandteile einbehalten, die dann in Pensionen im Herkunftsland fließen.
Das Konzept der temporären Migration ist im übrigen nicht unbedingt zielführend im Sinne der Migrationskontrolleure: Es gibt in der internationalen Migrationspolitik eine ganze Reihe von Beispielen, die belegen, dass niedrigere Hürden zwischen Staaten Migranten nicht nur den Zuzug, sondern auch die (probeweise) Rückkehr ins Heimatland erleichtern. Verschärfungen bei der Grenz- und Visapolitik hingegen führen beispielsweise auch dazu, dass bis dahin offiziell als Pendelmigranten lebende Menschen sich gezwungenermaßen eher auf einen Daueraufenthalt im Arbeitgeberland einrichten. So ging auch mit der Verhängung des Anwerbestopps für Nicht-EU-Ausländer Ende 1973 die Zahl der Ausländer in Deutschland nicht zurück. Im Gegenteil: Der Anwerbestopp forderte den Familiennachzug heraus, denn er war die einzig noch zugelassene Form von Zuwanderung.
Auch Flüchtlingen fällt es oftmals leichter, die Entscheidung über eine Rückkehr ins Herkunftsland auf der Basis eines gesicherten Aufenthaltsrechtes zu treffen, denn so bleibt ihnen der Weg zurück offen, falls die erwartete Sicherheit sich als trügerisch erweist.
Das Grenzregime
Seit vielen Jahren bemühen sich die europäischen Staaten, die Zugangswege nach Europa zu versperren. Entlang der Landgrenzen patrouillieren Tag und Nacht bewaffnete Grenzschützer, es gibt Wachtürme, Barrikaden, meterhohe, stacheldrahtbewehrte Zäune, Grenzgefängnisse für die Ankommenden. Als Mittel der Küstenüberwachung eingesetzt werden: Patrouillenboote, Flugzeuge, Hubschrauber mit Wärmebildkameras und vieles mehr.
Seit Mitte 2006 spielt die europäische Grenzschutzagentur Frontex bei Abfangmaßnahmen weit vor den Toren Europas eine wichtige Rolle. Mit einem Etat, der für das Jahr 2007 etwa 35 Millionen Euro betrug und im Jahr 2008 bereits auf 70 bis 75 Millionen Euro steigt, soll die Agentur den Kampf gegen die »illegale Migration« unterstützen und koordinieren. Im Zuge von FRONTEX-Einsätzen werden Flüchtlingsboote in internationalen Gewässern aufgebracht und Tausende in Transit- oder Herkunftsländer zurückverfrachtet.
Für Menschen, die nur unentdeckt eine Chance haben, europäischen Boden zu erreichen, erweist sich der Fluchtweg über das Mittelmeer und den Atlantik vor Westafrika als besonders gefährlich. Um der sofortigen Rückschiebung auf See zu entgehen, nehmen Flüchtlinge in immer kleineren Booten immer weitere und gefährlichere Seewege auf sich. Schätzungen über die Zahl derjenigen, die diesen Versuch mit ihrem Leben bezahlen, schwanken erheblich. UNHCR spricht von mindestens 500 Toten im Jahr 2007. Die spanische Regierung schätzte allein für 2006 die Zahl der vor den Kanaren ertrunkenen oder verhungerten Menschen auf 6.000 Personen, örtliche Nichtregierungsorganisationen gehen davon aus, dass auf drei ankommende Flüchtlinge ein toter komme. Genau weiß es niemand, aber eines ist sicher: Das Mittelmeer und der Atlantik vor den Kanaren ist in den letzten Jahren zu einem riesigen Massengrab geworden.
Auch wenn die Arbeit von Frontex gelegentlich als eine Art von Rettungswerk auf hoher See dargestellt wird: Die »Seenotrettung« durch FRONTEX-Einheiten bedeutet häufig die unmittelbare Zurückweisung bzw. Zurückverfrachtung in einen Transitstaat. Eine Prüfung, ob Schutzbedürftige unter den Aufgebrachten sind, findet nicht statt. FRONTEX-Chef Ilkka Laitinen hat im Dezember 2006 klargestellt: »Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten.« Die Realität sieht anders aus: 2007 haben allein auf der italienischen Insel Lampedusa rund 2.000 Bootsflüchtlinge einen Asylantrag gestellt, das waren 60 % aller Asylanträge in Italien. Rund die Hälfte von ihnen erhalten in Italien einen Flüchtlingsstatus oder subsidiären menschenrechtlichen Schutz. Auch auf Malta, das zahlreiche Bootsanlandungen hat, beträgt die Anerkennungsquote knapp 50 %. Bei den FRONTEX-Operationen aber sehen sich die europäischen Grenzschützer nicht an die völkerrechtlichen Garantien der GFK und der Europäischen Menschenrechtskonvention gebunden. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet eine Zurückweisung von Flüchtlingen ohne Prüfung der Schutzbedürftigkeit. Es ist juristisch unstrittig, dass Grenzbeamte auch jenseits des Staatsgebiets staatliche Herrschaftsgewalt ausüben und deshalb an die in Europa geltenden Gesetze gebunden sind.
Ein von der Stiftung PRO ASYL, amnesty international und dem Forum Menschenrechte in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten des European Center for Constitutional and Human Rights vom September 2007 kommt zu der eindeutigen Schlussfolgerung, dass potentiell Schutzbedürftige auf See weder zurückgewiesen, zurückeskortiert, an der Weiterfahrt gehindert noch in nicht zur EU gehörige Länder zurückgeschleppt oder zurückgebracht werden dürfen, so lange die Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit nicht abgeschlossen ist. Sie haben vielmehr einen Rechtsanspruch, in den nächsten sicheren Hafen auf europäisches Territorium gebracht zu werden. Bei Maßnahmen auf See gilt dies sowohl innerhalb der eigenen Zwölf-Meilen-Zone als auch für Maßnahmen in der Anschlusszone, der hohen See und den Küstengewässern von Drittstaaten.
Sofern drittstaatsangehörige Stellen in die Überwachungs- und Rettungsmaßnahmen europäischer Stellen einbezogen werden, besteht für die europäischen Grenzschutzorgane die Pflicht sicherzustellen, dass die Schutzsuchenden und Migranten im Einklang mit den menschen-, flüchtlings- und seerechtlichen Normen an einen sicheren Ort verbracht werden, an dem Gewähr dafür besteht, dass insbesondere das refoulement-Verbot eingehalten wird. Dies ist in den afrikanischen Transitstaaten nicht gewährleistet, weshalb die Verbringung auf das Territorium von EU-Mitgliedstaaten geboten ist.
Dass die Abriegelung der Seegrenzen verzweifelte Flüchtlinge zu riskanten Unternehmen zwingt, ist den EU-Verantwortlichen klar. Und dass die Abschottung auf diese Weise immer mehr Menschenleben fordert, wird offenkundig in Kauf genommen. So macht sich die EU mitverantwortlich für das tägliche Sterben an den EU-Außengrenzen.
»Regionaler Schutz für Flüchtlinge« – in Lagern?
Die Staaten der EU entwickeln zunehmend Konzepte eines »regionalen Schutzes«. Faktisch wollen sie erreichen, dass Flüchtlinge nicht die EU erreichen, sondern in den Transitstaaten und in den Herkunftsregionen verbleiben.
Größere Fluchtbewegungen werden schon jetzt in der Krisenregion aufgehalten und die Flüchtlinge in Lagern untergebracht. Ein Leben in Würde ist für die meisten Flüchtlinge dort nicht erreichbar. Die Erfahrung zeigt zudem, dass ursprüngliche Lager-Provisorien oft zum Dauerzustand werden. Über die Hälfte der Flüchtlinge weltweit lebt, trotz Anerkennung nach der GFK, seit mehr als zehn Jahren in Lagern, ohne Zugang zu zentralen Rechten und ohne Perspektive. Für sie ist eine sichere Rückkehr oder eine mit Rechten verbundene Integration in die Aufnahmegesellschaft kaum möglich. So wird mit humanitären Begründungen für eine Regionalisierung des Flüchtlingsschutzes letztendlich nur eine Kombination aus Notversorgung und Fluchtverhinderung betrieben.
»Regionaler Schutz« dient offenkundig in erster Linie den Interessen der Industrieländer, die die Flüchtlinge nicht aufnehmen wollen. Es ist nicht unmoralisch, den Integrationsprozess von Flüchtlingen in Erstaufnahmestaaten durch eine nachhaltige Hilfe zu unterstützen, wo es die Umstände und die Menschenrechtslage erlauben. Maßstab dabei muss allerdings sein, dass Flüchtlinge dort die vollen Rechte nach der Genfer Flüchtlingskonvention genießen und sich ökonomisch und sozial in die Aufnahmegesellschaft integrieren können. Gleichzeitig aber müssen die Industriestaaten einen direkten Beitrag durch die Aufnahme von Flüchtlingen leisten, gerade dort, wo sich Krisensituationen verfestigen und die Nachbarländer überlastet sind. Nur durch die solidarische Teilung der Verantwortung hat der internationale Flüchtlingsschutz dauerhaft eine Chance.
Die Situation von Menschen, die selbst als anerkannte Flüchtlinge über viele Jahre hinweg weitgehend rechtlos in Lagern der 3. Welt leben müssen, muss verbessert werden. An dauerhaften Lösungen müssen sich die EU-Staaten durch Programme zur dauerhaften Aufnahme von Flüchtlingen (Resettlement) beteiligen und insbesondere dazu beitragen, dass besonders schutzbedürftige Menschen die sichere Umgebung finden, die sie brauchen.
Deutschland und die EU setzen mit ihrer Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen das System des internationalen Flüchtlingsschutzes aufs Spiel. Warum sollte der arme Teil der Welt seinen Beitrag zum Flüchtlingsschutz leisten, wenn der reiche sich aus der Verantwortung stiehlt? Die reichen Staaten müssen ihren Beitrag zur Lösung der Flüchtlingsprobleme in der Welt, für die sie mitverantwortlich sind, leisten.
Forderungen
Flüchtlingen den Schutz zu geben, den sie benötigen, ist eine lösbare Aufgabe. Es ist höchste Zeit für eine humane und integrative Migrationspolitik. Migrations- und Flüchtlingspolitik muss als konsequente Menschenrechtsarbeit begriffen werden.
- Das Sterben von Menschen an den europäischen Außengrenzen muss ein Ende haben. Wir fordern die Einstellung aller menschenrechtswidrigen FRONTEX-Einsätze!
- Insbesondere die skandalöse Zusammenarbeit mit autoritären und Unrechtsregimen zum Zwecke der Migrations- und Fluchtverhinderung muss sofort beendet werden.
- Das Gebot der Rettung von Menschenleben ist absolut. Die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention gelten auch auf hoher See.
- Flüchtlinge dürfen nicht zurückgewiesen werden – sie brauchen Schutz und Unterstützung. Wir fordern die Gewährleistung fairer Asylverfahren in Europa und die Abschaffung des Lagersystems an den Außengrenzen. Wer sich zur »absoluten Beachtung des Asylrechts« bekennt, muss Schutzsuchenden auch den gefahrenfreien Zugang zum europäischen Territorium gewähren.
- Jahrelanges perspektivloses Vegetieren in Lagern in den Herkunftsregionen ist mit einem menschenwürdigen Leben nicht vereinbar. Wir fordern die Regierungen der EU dazu auf, ein großzügiges Programm zur dauerhaften Aufnahme von Flüchtlingen (Resettlement) aufzulegen.
- Europa braucht legale Einwanderungsmöglichkeiten. Die Wiederbelebung eines Gastarbeiter- bzw. Rotationsmodells lehnen wir ab.
- Menschen, die vor den Folgen ökologischer Zerstörung fliehen, haben Anspruch auf Schutz und Unterstützung. Mit Blick auf den globalen Klimawandel fordern wir die Schaffung von zusätzlichen Rechtsinstrumenten zum Schutz von Menschen, die aufgrund von Umweltveränderungen ihr Land verlassen müssen (environmentally displaced persons).
- Gleichzeitig gilt es, den Ursachen von erzwungener Migration entgegenzutreten. Wir fordern eine Wirtschafts- und Handelspolitik, die den Schutz der ökologischen Lebensgrundlagen respektiert und die Vernichtung der Lebensgrundlagen von Menschen nicht länger billigend in Kauf nimmt. Den sofortigen Abbau der Agrar- und Fischereisubventionen der Europäischen Union halten wir für unverzichtbar.
- Die beiden großen Menschenrechtspakte, die Konvention über die bürgerlichen und politischen Freiheitsrechte und die Konvention über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, sind unteilbar und nur gemeinsam zu verwirklichen. Angesichts globalisierter Weltverhältnisse zwingt uns die Universalität der Menschenrechte, den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten endlich den gleichen Raum einzuräumen wie den Freiheitsrechten. Wir fordern deshalb verstärkte und wirksame internationale Anstrengungen zur Sicherung von Ernährung, Gesundheit, Bildung und kultureller Teilhabe für alle. Es ist höchste Zeit, über die Schaffung eines Bündels internationaler Übereinkünfte dafür zu sorgen, dass Menschen an allen Orten der Welt zu Trägern gleicher sozialer Rechte werden.
PRO ASYL e.V. & medico international, Oktober 2008