Notizen aus Südafrika

01.11.1999   Lesezeit: 4 min

real life economics

Am Anfang jeder Projektarbeit stehen Reisen, diesmal: Eine Reise nach Südafrika. Wir fahren zu zweit, sehen uns in den Städten um, in Kapstadt, Johannesburg, Durban. Schon zu Beginn lernen wir: Die Welt entspräche den Phantasmen liberaler Ideologen, genügte es, einfach nur auf die eigene Kraft zu vertrauen. Zwar kommt es – und nirgendwo härter als in real life economics – auf den Willen zur Selbsthilfe an. Die aber gelingt nur, wenn zum unternehmerischen Mut des einzelnen die Solidarität der anderen hinzutritt. Eine Frage der Organisation.

Drei Beispiele.

Westbury, ein township von Johannesburg. Eine Nicht-Regierungs-Organisation macht den Gangs Konkurrenz und versucht, Kinder und Jugendliche von der Straße zu holen. Angesichts einer Jugenderwerbslosigkeit von 70% gehören dazu real life economics. Die jungen Leute produzieren Spülmittel, die Chemikalien und ein einfaches Mischgerät werden gestellt, der Verkauf läuft von Haustür zu Haustür, die Erlöse gehen ans Projekt und in die eigene Tasche.

Soweto, seit den Schüleraufständen der achtziger Jahre das berühmteste township Südafrikas. Hier unterstützt medico die Khulumani Support Group, eine Selbstorganisation von Apartheid-Opfern. Die Arbeit wird von Frauen getragen, deren Männer oder Söhne ermordet wurden. Sie sind die »breadwinner« der Familien. Am Rand eines Gemeindezentrums wird uns ein kleiner Garten gezeigt, in dem sie Gemüse ziehen. Die Ernte soll verkauft werden – an die community, wo niemand Geld hat und die meisten erwerbslos sind. Andere Frauen der Gruppe haben sich zu einer »sewing association« zusammengetan. Von der Gemeinde haben sie den Auftrag erhalten, die Uniformen der Schulanfänger zu nähen. Jetzt sind sie auf der Suche nach Stoffen, die Zeit drängt.

Bhambayi, ein township in Durban. Hier haben schwere Kämpfe zwischen Anhängern des ANC und der Inkhata-Partei getobt, ein Bürgerkrieg unter den Armen, den das weiße Regime angestiftet hatte. Jetzt versucht eine Nicht-Regierungs-Organisation den brüchigen Frieden zu stärken, indem sie in beiden Lagern dieselben Projekte initiiert: eine Frauengruppe, eine Jugendgruppe, einen Kindergarten. Letzterer befindet sich auf ANC-Gebiet, seit einiger Zeit aber schicken auch die Inkhata-Frauen ihre Kinder dorthin. Ein erster, ein wichtiger Erfolg. Natürlich schließt das Projekt real life economics ein, die auch hier mit einem gemeinsam bewirtschafteten Gemüsegarten beginnen. Vom Ertrag kaufen die Frauen Parafin, das zum Betrieb kleiner Kochherde benötigt wird und für die stinkenden Lampen, die abends die Hütten erhellen. Ein Teil des Parafins wird zu höheren Preisen weiterverkauft. Vom Gewinn werden Nähmaschinen angeschafft, auf denen die Frauen Kleider nähen: zum Eigengebrauch und für den örtlichen Markt. Aktivitäten alles in allem, die die Armut lindern, aber nicht überwinden. Weil nie genug da ist, um »größer« einzusteigen, und weil der Markt, für den produziert wird, ein Markt für Leute ist, die selbst arm sind. Eine Grenze, die am Ort gar nicht überschritten werden kann. Hier sind andere Solidaritäten gefragt, Netzwerke und Kampagnen, die über den alltäglichen Überlebenskampf hinausgreifen, der trotzdem den Anfang des Widerstands bildet.

Die Organisierung der Armen

Wie organisiert man die Armen, wie organisieren sie sich selbst? In Durban treffen wir Gewerkschafterinnen besonderer Art: Vertreter nicht von Industriearbeitern, sondern von Straßenhändlerinnen. Von Einzelkämpferinnen also, die auf dem Bürgersteig gegeneinander antreten, weil sie dieselben Waren anbieten, ein wenig Obst und Gemüse, einfache Kleidung, Kaugummi, Sonnenbrillen, Erfrischungen. Die Gewerkschaft schließt die Einzelkämpferinnen zusammen, gegen Überfälle korrupter Polizisten, gegen »Säuberungsaktionen« der Stadtverwaltung. Auch gegen Straßenhändlerinnen, die illegal aus Ghana eingereist sind, mit besserer Ware und größerem Verkaufsgeschick. Wir fragen nach rassistischen Einstellungen, schließlich kennen wir die Haltung deutscher Bauarbeiter gegen ihre polnische und britische Konkurrenz. Die Gewerkschafterin versichert uns, das die Organisation niemanden ausschließt und nach einer Regelung sucht, mit der alle Seiten leben können.

Aktivistinnen der Gewerkschaft sind eingeladen, wenn das »Alternative Information and Development Center« (AIDC) Seminare zum Neoliberalismus anbietet. Die Seminare sind kein Selbstzweck, sondern Teil einer Kampagne, in der die Regierung aufgefordert wird, fünfzig Liter Trinkwasser bereitzustellen, pro Person, täglich, unentgeltlich. Um die dafür nötigen Mittel kämpft eine andere Kampagne, auch sie wesentlich von AIDC unterstützt. Hier geht es darum, die Rückzahlung der Apartheidschulden zu stoppen, durch die das demokratische Südafrika denen Extraprofite verschafft, die den rassistischen Terror finanziert und an ihm verdient haben. An erster Stelle dabei: Deutsche Banken, deutsche Konzerne. Im Kapstädter AIDC-Büro reden wir über eine andere deutsch-südafrikanische Zusammenarbeit.

Thomas Seibert

medico unterstützt AIDC finanziell – und politisch, durch Teilnahme an der deutschen Kampagne gegen die Apartheidschulden. Auch dies sind real life economics: »Built up people's power now!«, titelt die Zeitung des AIDC. Spenden Sie unter dem Stichwort: »Südafrika«.


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