Wer durch San Salvador fährt, der wähnt sich mitten in Boomtown. Die Straßen sind vollgestopft mit den neuesten Fahrzeugmodellen. Schick gekleidete Damen tragen in der Mittagspause Coffee-to-go spazieren. Am späten Nachmittag treffen sich deren männliche Kollegen in der Sauna des Hotels Alameda und genießen bei Bier und Live-Übertragungen aus der US-amerikanischen Fußball-Liga das Gefühl des Mittendrin-Seins.
El Salvador trägt für den Außenstehenden eine Fassade der geordneten Emsigkeit, hinter der die tiefen Brüche und Spaltungen dieses Landes verschwinden. An der Gedenkstätte für die Toten des Bürgerkriegs allerdings erhält dieser bunte Anstrich Risse. Eine mannshohe Mauer zieht sich meterlang durch den Park. Sie ist übersät mit Namen ermordeter und verschleppter Salvadorianer, deren Schicksal nie aufgeklärt wurde. Sie wurden während des Bürgerkrieges (1979 – 1991) Opfer der Polizei, der Regierungstruppen oder der Todesschwadronen. 75.000 Namen stehen auf dem Denkmal.
Mehr als nur Überleben
Leonides Argueta war ein Kämpfer in diesem Krieg. Er hat überlebt – aber wie? Durch eine Minenexplosion ist er so schwer verletzt worden, dass er heute im Rollstuhl sitzt. Argueta ist ein ruhiger besonnener Mann, der wenig lacht. Er stammt aus einer Bauernfamilie. Als Guerillero kann man ihn sich nicht vorstellen. "Ich hatte damals die Wahl zwischen der Nationalgarde und der Guerilla – tödlich war beides. Da war es doch besser, für die Freiheit zu sterben." Heute ist Argueta der Direktor der salvadorianischen Prothesen-Werkstatt "PODES".
PODES bedeutet auf spanisch soviel wie "Du kannst" und steht für den "Förderverein zur Organisation der Versehrten in El Salvador". Hier arbeiten nur Kriegsversehrte wie Argueta. Sie sind alle Bauernkinder aus den damaligen Kriegszonen El Salvadors, meist verletzt durch Minen, die während des Krieges verlegt wurden. Das vertrackte Schicksal hat ihnen ein paradoxes Leben beschert. Sie sind kriegsverwundet und traumatisiert durch die langen Jahre des Kampfes. An dessen Ende bekam ihre Guerilla zwar den Frieden und eine geordnete Entmilitarisierung, die Verbrechen jedoch, die zu 85 Prozent von den Regierungstruppen begangen wurden, sind nie juristisch verfolgt worden.
Bei PODES stellen acht behinderte Prothesentechniker und fünf Verwaltungsfachleute Prothesen, Orthesen und Komponenten her, wie sie internationalen Standards entsprechen, und können damit ihre gesamten Familien versorgen. Eine Erfolgsgeschichte, die mit einer Zusammenarbeit von medico und PODES vor 14 Jahren begonnen wurde.
Sozialfonds als Bewegungshilfe
Das sah allerdings lange ganz anders aus. Noch vor einigen Jahren stand PODES vor dem Aus. Zur Stärkung der Organisation entstand die Idee eines Sozialfonds. medico international und andere Hilfsorganisationen zahlen direkt in den Sozialfonds ein. Die Patienten können einen Antrag auf Bewegungshilfe stellen. Aus dem Sozialfonds können sich bis heute mittellose Patienten eine Prothese finanzieren lassen. Sie werden so in den Stand autonomer Patienten versetzt. Diese Umstellung hatte weitreichende Folgen. Innerhalb von PODES wuchs wieder das Ansehen der Prothesentechniker. Die Verwaltung wurde in ihrer Rolle neu bestimmt. PODES ist wieder ausgerichtet am Wohlergehen der Patienten, was auch die Bedeutung der Kollegen erhöhte, die direkt mit den Patienten arbeiten. Im Resultat hat sich nicht nur das Betriebsklima erheblich verbessert, sondern auch die Arbeitsergebnisse. "Wir sind aus den Schulden raus", erzählt Leonidas Argueta. "Nun wollen wir positive Abschlüsse erreichen." Der Gewinn wird aber nicht wie in einer privaten Werkstatt an die Besitzer ausgeschüttet. Ein ehrenamtlicher Vereinsvorstand wacht über dessen Verwendung. Raul Mijango, ein bekannter ehemaliger Guerilla-Kommandant, ist ein Vorstandsvorsitzender von PODES, der klare Prioritäten hat.
Für Mijango ist der Sozialfonds eine wegweisende Idee, die er für die Versorgung aller Behinderten durchsetzen möchte. "Der Staat", so Mijango, "interessiert sich hier überhaupt nicht für die Belange der Behinderten." Die seien gerade noch gut, um einmal im Jahr als Objekte der Wohltätigkeit in einer Spendengala des Fernsehens bedacht zu werden. "Da treten Minister und Unternehmen auf, um sich großzügig für den guten Zweck zu zeigen. Wenn es aber darum geht, allen Behinderten einen Zugang zu Gesundheit zu sichern, gibt es kein Erbarmen." El Salvador hat wie alle Länder Mittelamerikas eine Privatisierungswelle im Gesundheitssystem durchgemacht, bei der die Schwächsten von jeder Versorgung ausgeschlossen wurden. Mit der Idee der Sozialfonds will Mijango der Forderung nach einer öffentlichen Gesundheitsstruktur wieder Nachdruck verleihen.
Von unten entsteht sie bereits, zumindest exemplarisch. PODES hat begonnen, aus dem Sozialfonds auch Prothesen für Patienten zu finanzieren, die nicht mehr Bürgerkriegsopfer sind, sondern im Kampf ums Überleben ihre Gliedmaßen verlieren. Dazu gehören lateinamerikanische Flüchtlinge, die auf dem gefährlichen Weg in die USA verunglücken. Auch erste Vereinbarungen mit Versehrtenverbänden aus benachbarten mittelamerikanischen Ländern wie Guatemala sind auf dem Weg.
medico international unterstützt den Sozialfonds von PODES jährlich mit etwa 13.000 Euro. Davon können etwa 50 Behinderte ihre Prothesen kaufen oder erneuern. Unterstützen Sie diese Hilfe zur Selbsthilfe und solidarischer Versicherung.
Katja Maurer
Der Minenopfer-Fonds
Mit Ihrer Spende finanziert medico international die aufwendige Arbeit des Minenräumens, Maßnahmen zur psychischen und physischen Rehabilitierung der Überlebenden von Minenunfällen sowie die Aufklärung der Bevölkerung über die von Minen ausgehenden tödlichen Gefahren. Diese Arbeit können Sie mit Ihrer Spende konkret unterstützen. Stichwort: Minenopfer