Online-Konferenz 12.-14.Februar 2021, u. a. mit Achille Mbembe, Susan Buck-Morss, Rita Segato, Ulrike Herrmann, Sandro Mezzadra, Jean Ziegler
Eine Konferenz nicht nur zur miserablen Lage der Welt, sondern auch und vor allem zu den Möglichkeiten ihrer Rekonstruktion zu einem Ort, den zu bewohnen sich endlich lohnen wird. In Vorträgen und Foren geht darum, das Verhältnis von Hilfe, Solidarität und Politik aus dem Versprechen zu bestimmen, das wir uns in der Erklärung der Menschenrechte selbst gegeben haben: Das Versprechen einer globalen und sozialen Ordnung, in der die uns allen zuerkannten Rechte voll verwirklicht wären. Mehr ...
Programm
Alle Veranstaltungen werden simultan in vier Sprachen übersetzt: Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch.
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Auftakt 17:00 – 17:30 | Eröffnung und Wegweiser durch die Online-Konferenz Perspektiven auf die Welt aus der Sicht der Hilfe „Die (Re)konstruktion der Welt“ beschäftigt sich insofern mit der Hilfe, als sie uns besonders eindringliche Erfahrungen und damit ein vertieftes Verständnis ihres gegenwärtigen Zustands erschließt. Wie unsere Welt heute eigentlich beschaffen ist und wozu sie morgen werden könnte, lässt sich exemplarisch an Haiti und an Moria verdeutlichen. Aus der Erfahrung der Hilfe erschlossen, stellen diese beiden Inseln „Hot Spots“ der gegenwärtigen und der kommenden Weltgeschichte dar. |
17:30 – 18:30 | 1. Der Fall Haiti Von der haitianischen Revolution und ihrem Verschwinden aus der Idee von Universalität – Betrachtungen über ein Zerstörungswerk Mit: Haiti ist mit der Revolution von 1804 essentieller Bestandteil der Geschichte der Moderne. Deshalb bedarf ein von seiner eurozentrischen Prägung befreites Verständnis des Universalismus der ausdrücklichen Erinnerung an diese Revolution und an die lange Geschichte ihrer Verdrängung aus dem historischen Gedächtnis der Gegenwart. |
18:30 – 18:45 | Pause |
18:45 – 19:45 | 2. Der Fall Moria Entrechtet und zu Objekten humanitärer Hilfe degradiert: Flüchtlinge an Europas Grenzen Mit: Das inzwischen abgebrannte Flüchtlingslager bei Moria auf Lesbos ist zum Symbol der fehlgeleiteten Flüchtlingspolitik Europas geworden. Flüchtlinge werden systematisch entrechtet und dann zu Objekten humanitärer Hilfe degradiert. In einem schwammigen Konglomerat aus Migrationsmanagement, Sicherheitspolitik und Barmherzigkeit bleiben Menschenrechte auf der Strecke, während die Hilfe auch nach Jahren die Situation vor Ort kaum verbessern konnte. Es entstehen Räume ohne demokratische und rechtsstaatliche Strukturen, in denen das Hilfsregime zusammen mit dem Sicherheitsapparat die Kontrolle übernimmt. Doch wie kann es sein, dass NGOs europaweit mit dem Stichwort „Moria“ Spendengelder einwerben, ohne dass sich die Situation der wenigen tausend Menschen vor Ort merklich verbessert? Wie muss eine Hilfe aussehen, die zugleich der Entrechtung von Flüchtlingen entgegenwirkt? |
Tagesabschluss 20:00 | Virtuelles Come-Together |
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Auftakt 10:00 – 10:30 | Einführung und Zusammenfassung des Vortages |
Lecture 1 | Von der Not, nicht mehr wachsen zu dürfen Ulrike Herrmann (Autorin, taz, Berlin) Die ökologische Krise wird nur im Übergang zu einer Postwachstumsökonomie anzugehen sein. Dieser Übergang aber kann nur ein Ausgang aus dem Kapitalismus sein, der bei Strafe seines und unseres Untergangs wachsen muss. Der Aus- und Übergang muss deshalb auch und gerade im globalen Norden gesucht und gefunden werden: „Wenn die Menschheit überleben soll, müssen die Industrieländer ihren Verbrauch schrumpfen.“ (Herrmann) |
Forum 11:05 – 12:05 | Ökologie und Transformation Mit: |
12:05 – 12:25 | Pause |
Lecture 2 12:25 – 13:00 | Von der Not und der Lust, zu gehen und anzukommen Sandro Mezzadra (Politologe, Bologna) Der globale Kapitalismus ist „postkolonial“, weil er aus der kolonialen Durchdringung der Welt hervorgegangen ist. Postkolonial sind unsere Welt und unsere Geschichte aber auch, weil sie zugleich aus den vielstimmigen Widerständen gegen Kolonialisierung und Kapitalisierung hervorgegangen sind. In diesen Erfahrungen erschließen sich „spannungsgeladene und konfliktbehaftete Möglichkeiten“, die in und aus ihrer Postkolonialität heraus Wege „zu einer neuen Bewohnbarkeit der Welt eröffnen können.“ (Mezzadra) |
Forum 13:00-14:00 | Kapitalistische Globalisierung und Grenzüberschreitung Mit: |
14:00 – 15:00 | Pause |
Forum | Hilfe umgestalten – ungleiche Machtverhältnisse reflektieren Mit: |
16:00 – 16:15 | Pause |
Lecture 3 16:15 – 16:50 | Von der Not und der Lust, in Verbindung zu sein Rita Segato (Anthropologin, Buenos Aires) Die feministischen Bewegungen in Lateinamerika sind so stark wie nie zuvor. Ihre Kämpfe erweitern das Verständnis der uns beherrschenden Geschlechterverhältnisse und gründen die Kritik des globalen Kapitalismus auf eine noch einmal tiefer ansetzende und weiter ausgreifende Kritik des globalen Patriarchats. Sie erschließen damit nicht nur die Komplexität der uns bedrängenden Krisen, sondern auch neue „Projekte der Verbindungen“ (Segato), in denen wir sie überwinden und uns aus ihrer Umklammerung befreien können. |
Forum 16:50 – 17:50 | Die umkämpfte feministische Revolte Mit: |
Tagesabschluss 18:00 | Virtuelles Come-Together |
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Auftakt 11:00 – 11:30 | Einführung und Zusammenfassung des Vortages |
Lecture 1 11:30 – 12:05 | Von der Not und der Lust, die Welt zu reparieren Achille Mbembe (politischer Philosoph, Johannesburg) Wenn Reparatur und Reparation des Gewesenen Voraussetzungen sind für den „Aufstieg zum Menschsein“, dann geht es in der Politik um einen Dialog gleichberechtigter Subjekte im Kampf um eine „von der Last der Rasse“, damit aber auch vom Kapital befreiten Welt (Mbembe). Der Weg wie das Ziel einer solchen Politik liegt in der Globalisierung von Rechten, die historisch immer schon als universelle Rechte eingefordert, zunächst aber immer nur exklusiv, d.h. als rassifiziertes Privileg durchgesetzt wurden. |
Forum 12:05 – 13:05 | Reparatur und Reparationen Mit: |
13:05 – 14:30 | Pause |
Lecture 2 | Von der Not und der Lust, (wieder) Weltgeschichte zu machen Susan Buck-Morss (politische Philosophin, New York City) Wenn eine Politik der Universalisierung der Rechte gar nicht anders kann, als Universal-, d.h. Weltgeschichte zu machen, dann darf die mit ihr angestrebte Gleichberechtigung weltweit aller Subjekte nicht als Gleichberechtigung ihrer „Kulturen“ gefasst werden. Sie muss stattdessen als Weltgeschichte gemacht werden, die durch ihre eigenen Bruchstellen hindurch geht, sich dort immer neu entzündet, und deshalb stets „trotz der Kulturen und all‘ ihrer Unterschiede“ fortschreitet (Buck-Morss): von Bruch zu Bruch. |
Forum | Revolutionen heute Mit: |
16:05 – 16:15 | Pause |
Forum 16:15 – 17:15 | Menschenrechtsrevolution Mit: |
Lecture | Weltgesellschaft im Kommen Thomas Gebauer (Psychologe, stiftung medico international, Frankfurt) |
17:55 – 18:00 | Pause |
Abschlusspanel 18:00 – 19:30 | Abschlusspanel Die Verantwortung Europas Mit: |
Alle Veranstaltungen der Konferenz werden simultan in vier Sprachen übersetzt: Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch. |
Filme zur Konferenz
Das Mal Seh’n Kino bietet parallel zur Konferenz vom 12. bis 19. Februar Filme zum Thema per Stream an. Gezeigt werden der gerade veröffentlichte Film von Milo Rau »Das neue Evangelium«, der Spielfilm von Raoul Peck »Mord in Pacot« (2014) und der 2018 erschiene Dokumentarfilm des syrischen Filmemachers Saeed al Batal »Still recording«. Die Links erhalten Sie unter www.malsehnkino.de
Hilfe. Solidarität. Politik.
„Das Politische in unserer Zeit muss von dem Imperativ ausgehen, die Welt gemeinsam zu rekonstruieren. Damit die Idee der Entkolonialisierung in planetarischem Maßstab irgendeinen Wert hat, kann sie nicht von der Annahme ausgehen, dass ich reiner bin als mein Nachbar.“
Achille Mbembe
Viele Krisen fügen sich derzeit zu einer Weltkrise, die sich in der Corona-Pandemie verdichtet. Der Zerfall der alten Weltordnung und der suprastaatlichen Strukturen, das Eindringen der Ökonomie in jeden Winkel des Lebens, die Rückkehr einer autoritären Nationalstaatlichkeit, die Klimakrise und die Kapitulation der Politik – alle Symptome dieser Krise bringt das Virus auf ihren Punkt. Unausweichlich und handgreiflich wird die Weltkrise dort, wo das Überleben von Abertausenden, manchmal sogar Millionen Menschen an der Hilfe hängt, die ihnen gewährt oder verweigert wird. In welcher Welt leben wir, wenn Hilfe nur noch eine Weltordnung stabilisiert, die immer hilfsbedürftiger wird? Und: Was ist das für eine Welt, in der Hilfe nur noch Ausdruck der Unfähigkeit ist, sie anders und besser zu machen?
Hilfe muss heute schon Zeugnis von der Welt ablegen, die sie vorfindet und dabei sich und anderen Rechenschaft über die eigenen Erfahrungen und das eigene Tun ablegen. Wir wollen diese Erfahrungen politisch zur Diskussion stellen. Dabei kann es aber nicht nur um die Krise, es muss ihr stets auch um deren Lösung gehen: zumindest um Versuche einer Lösung. Von solchen Lösungsversuchen wissen wir immerhin, dass sie global sein müssen, Lösungsversuche für ausnahmslos alle, wenn sie gerecht und deshalb tragfähig sein sollen. Und die erste Frage, die von uns allen zu beantworten ist, ist die Frage nach den Möglichkeiten, eine Politik zu beenden, die das Ende von Politik bedeutet, weil sie die Bearbeitung der globalen Probleme aufgibt und Hilfe als Müllabfuhr für die globalen Verwüstungen des Kapitalismus instrumentalisiert.
Die Diskussion der in der Hilfe gesammelten Welterfahrung spürt die Anfänge einer erneuerten Politik in den Praktiken der Solidarität auf, die in den globalen Protesten für Klimagerechtigkeit, den transnationalen feministischen und antirassistischen Bewegungen, den lokalen Aufständen für Demokratie, Menschenrecht und ein würdiges Leben aufscheinen. Von dort her will unser Kongress „Die (Re)konstruktion der Welt“ das Verhältnis von Hilfe, Solidarität und Politik aus dem Versprechen bestimmen, das wir uns in der Erklärung der Menschenrechte selbst gegeben haben: Das Versprechen einer globalen und sozialen Ordnung, in der die uns allen zuerkannten Rechte voll verwirklicht wären.
Die Anmeldung zur Konferenz ist nicht mehr möglich. /
Registration for the conference is closed.