»Reconciliation goes with a package« – Versöhnung gibt es nicht kostenlos. So kann man den nüchternen Kommentar von Ntombi Mosikare, Generalsekretärin der Khulumani Support Group einer Selbsthilfeorganisation von Apartheidopfern – zur Lage in Südafrika frei übersetzen. Die Opfer sind es leid, auf Entschädigung zu warten. Sie haben jahrzehntelang unter dem Apartheidregime gelitten und gegen die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit gekämpft. Aber bis heute hat das Ende der Apartheidära für die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung keine entscheidende Veränderung gebracht; der soziale Status macht sich noch immer an der Hautfarbe fest. Der wachsende Zorn und die tiefe Enttäuschung der Opfer ist verständlich. Viele von ihnen sagten vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission aus, auch in der Hoffnung auf eine Entschädigung für begangenes Unrecht. Doch bislang ist nicht viel geschehen. Die im Prinzip zugesagten Zahlungen an Opfer und Angehörige sind bislang gar nicht oder in nur geringer Höhe geleistet worden.
Khulumani Support Group ist eine Bewegung von Selbsthilfegruppen, zu der sich Überlebende und Angehörige von Opfern der Apartheid 1995 zusammengeschlossen haben. Gegründet haben sich die Gruppen, um Opfer und Angehörige bei ihren Zeugenaussagen vor der Wahrheitskommission zu begleiten. Die Gruppen befinden sich überwiegend in den schwarzen Townships und werden zu über 90 Prozent von Frauen aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung besucht. Zum Gruppenalltag gehörte und gehört das Erzählen der eigenen Verfolgungsgeschichte, aber auch die praktische Bewältigung des Alltags. Khulumani besorgt psychologische Einzelbetreuung dort, wo Menschen an der Traumatisierung durch die eigene Repressionserfahrung oder durch den Verlust eines Angehörigen zu zerbrechen drohen. Juristischen Beistand gewährt Khulumani Menschen zur Anerkennung ihres Opferstatus und der Beantragung von Entschädigungen. Ähnlich wie die Mütter vom Plaza de Mayo in Argentinien sind die Khulumani-Gruppen zu einer Instanz in Südafrika geworden. Wenn es um den Umgang mit den Opfern des Apartheidregimes geht, kommt an der gewichtigen Stimme von Khulumani keiner vorbei. Verkörpert wird sie durch solche Frauen wie Zodwa Thobela oder der Begründerin von Khulumani Sylvia Dlomo-Jele, die unter tragischen Umständen im März 1999 ums Leben gekommen ist. Frauen wie sie sind Autoritäten in den Townships. Mit ihrem unnachgiebigem Beharren darauf, daß die vollständige Wahrheit über das Schicksal ihrer Angehörigen an das Tageslicht muß, bevor von Versöhnung überhaupt die Rede sein kann, legen sie die Grundlagen für eine Kultur der Menschenrechte.
Südafrikanische Juristen sehen in dieser Nichtzahlung einen Rechtsbruch. Denn die Aussage der Opfer vor der Wahrheitskommission war eng mit der Gewährleistung von Entschädigungszahlungen verknüpft. Wenn diese nun nicht geleistet werden, hätten die Opfer wieder Rechtsansprüche gegen die bereits amnestierten Täter.
Die Frage nach Entschädigung ist nicht nur eine materielle Notwendigkeit – in vielen Familien sind die Ernährerinnen oder die Ernährer der Familie ermordet worden – sie ist auch das moralische Recht der Opfer. Darüber hinaus sind Entschädigungszahlungen von hoher psychologischer und gesellschaftlicher Bedeutung. Dass es keine gesellschaftliche Diskussion über Entschädigungen, keine Stellungnahme von Seiten der Regierung und keine Parlamentsdiskussion gibt, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer. »Wir, die Opfer, fühlen uns mittlerweile von der Regierung benutzt – in einem zynischen Prozeß politischer Zweckmäßigkeit.« Die Bereitschaft, den mit der Wahrheitskommission begonnenen Versöhnungsprozess fortzuführen und einen Neuanfang zu wagen, wird durch die Weigerung, Entschädigung zu zahlen, in Frage gestellt. Wenn nicht einmal durch die Zahlung einer symbolischer Summe das geschehene Unrecht als solches anerkannt wird, ist es für die Opfer der Apartheid noch unerträglicher, im Alltag mit den Tätern konfrontiert zu werden. Sie auf der Straße, im Supermarkt, im Kino zu treffen. Von einem der Täter im Bus angelächelt zu werden, der den Tod von Freunden und Verwandten verschuldet (sie erkennt ihn, er kennt sie nicht) – alltägliche Geschichten, wie sie Ntombi Mosikare erzählt.
Mittlerweile ist die Stimme von Khulumani in Südafrika nicht mehr zu überhören. Am Freedom Day, dem 27. April dieses Jahres, kamen die Opfer aus vielen Teilen des Landes zu einer Demonstration in die Hauptstadt. Die Regierung hatte zwar keine Demonstrationserlaubnis am Ort des Festaktes gegeben, aber sie kamen dennoch: »Wir schmuggelten uns ins Union Building. Wir gingen einfach rein wie alle anderen, die Plakate hatten wir unter unseren Kleidern versteckt. Sobald sich alle – darunter Politiker aus mehreren Ländern und bekannte Persönlichkeiten – versammelt hatten, zogen wir unsere Plakate raus und fingen an zu singen. ›Ich will meine Würde wieder herstellen und die Zahlung einer Entschädigungssumme ist Teil dieses Prozesses‹, so ein Demonstrationsteilnehmer. Wir übergaben das Memorandum zur Entschädigung der Opfer; die Leute waren schockiert, beschämt – man werde sich drum kümmern, hieß es. Aber bis heute ist immer noch nichts geschehen.« (Bericht von Ntombi Mosikare) Das verhängte Bußgeld von 20.000 Rand mußten Khulumani übrigens nicht bezahlen.
Eine der Ursachen für die Weigerung der südafrikanischen Regierung den Opfern Entschädigung zu zahlen, ist die hohe Verschuldung Südafrikas. Das abtretende Regime leerte die Staatskasse, bevor es die Macht an die gewählten Vertreter übergab. Die Politiker des alten Regimes hinterließen dem demokratischen Südafrika eine Schuldenlast, die die soziale Zukunft des Landes ernsthaft in Frage stellt – eine Verschuldung, die in diesem Ausmaß nur durch die großzügige Kreditvergabe vor allem deutscher und Schweizer Banken entstehen konnte.
Im Rahmen der »Internationalen Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im südlichen Afrika« fordern die Khulumani-Gruppen von deutschen Unternehmen und Banken,
– die Streichung der unrechtmäßigen Apartheidschulden
– die Rückerstattung von beglichenen Schulden
– die Rückzahlung von Profiten aus Geschäften mit der Apartheid.
Ein Signal der Verhandlungsbereitschaft aus Deutschland könnte, so Ntombi Mosikare, »den Versöhnungsprozess in Südafrika voranbringen«.
Anne Jung
Die Versuche der Regierung, weitere Entschädigungszahlungen an die Opfer generell zu verweigern, sind durch den Protest von Khulumani bislang vereitelt worden. Helfen Sie mit bei der Förderung der Arbeit von Khulumani unter dem Stichwort: »Südafrika«.
Das neue Faltblatt der Internationalen Kampagne für Entschuldung und Entschädigung können Sie bei medico kostenlos bestellen (s. Materialliste).