Südafrika

Starke Stimme

25.05.2021   Lesezeit: 4 min

Die südafrikanische Gesundheitsaktivistin Lydia Cairncross sprach auf der Konferenz Armut und Gesundheit über die Corona-Situation und Gegenstrategien. Von Vicky Lessing.

Auf dem jährlich stattfindenden Kongress Armut und Gesundheit beschrieb Lydia Cairncross die Auswirkungen der Corona-Pandemie in Südafrika, einem Land, das lange und harte Erfahrungen mit der HIV/AIDS-Krise hat, deren tödliche Gefahr von Ex-Präsident Thabo Mbeki geleugnet worden ist. Diesmal wurde die Realität der Pandemie nicht ignoriert, doch die Krisenpolitik der südafrikanischen Regierung hatte andere Konsequenzen: Die Krise hat keine Normalität im Land erschüttert, sondern der Normalzustand ist bereits die Krise. Insbesondere offenbart die Pandemie die Fallstricke des Post-Apartheid-Gesundheitssystems in Südafrika. So trifft die Krise die Schwarze Bevölkerung, die deutlich stärker von Armut betroffen ist, besonders hart. Ebenso der Lockdown, der von 70.000 Soldaten durchgesetzt wurde. Vor allem Schwarze Südafrikaner:innen waren von Polizeigewalt betroffen, es kam zu Verhaftungen und Tötungen. In den Townships wurden die Mikroökonomien trocken gelegt, Tagelöhner:innen, die sich und ihre Familien finanzieren, indem sie je nach Arbeitsangebot den Ort wechseln, verloren ihre Einkommen.

„Auf der einen Seite haben wir eine Regierung, die die Ernsthaftigkeit der Lage erkannt hat, auf der anderen Seite entstand ein sozialer Zusammenbruch, der auf Jahrzehnten und Jahrhunderten der Armut und Ungleichheit aufbaut“, sagte Cairncross.

Dagegen gibt es eine lange Tradition politischer und sozialer Auseinandersetzungen, die von der starken südafrikanischen Zivilgesellschaft geprägt wurden, die die Interessen der armen und marginalisierten Bevölkerung vertritt. Zu Beginn der Pandemie gründete sich aus diesen Netzwerken heraus die C19 Coalition, bestehend aus 310 Gruppen im ganzen Land. Die größte Stärke dieses Zusammenschlusses liegt in der gegenseitigen, community-übergreifenden Unterstützung. Dabei passiert die Mobilisierung und Vernetzung der Aktivist:innen vorwiegend online, aber nicht nur: Mahnwachen vor den Botschaften der reichen Länder sowie den Geschäftssitzen großer Pharmaunternehmen trugen beispielsweise den Protest gegen die Blockade des TRIPS-Waiver durch die Europäische Union und die Bundesregierung auf die Straße. Außerhalb der Online-Treffen führten die Aktivist:innen Community-Trainings in kleinen Gruppen von 10 bis 15 Personen durch, in denen über Impfungen und Sicherheitsmaßnahmen aufgeklärt wurde. Die Coalition gibt den am härtesten von Corona Getroffenen in Südafrika eine Stimme. Das ist bitter nötig, denn die Regierung war derweil vornämlich damit beschäftigt, sich wegen Diebstählen von Schutzausrüstung und Korruptionsskandalen zu rechtfertigen, die das Vertrauen in ihre Arbeit untergruben.

Immerhin: Als eines der ersten Länder der Welt betonte Südafrikas Regierung die Wichtigkeit einer gerechten globalen Verteilung der Corona-Impfstoffe und brachte zusammen mit Indien den Vorschlag zur Aussetzung der Patente auf Covid-19-Impfstoffe, Medikamente und Schutzausrüstung bei der WTO ein. Die von den USA Anfang Mai bekanntgegebene Unterstützung des TRIPS-Waiver (zumindest auf Impfstoffe) ist ein großer Erfolg der südafrikanischen und globalen Zivilgesellschaft, doch damit ist es nicht getan. Lydia Cairncross betont, dass Südafrika selbst keine Kapazitäten habe, Impfstoff selbst zu produzieren, selbst wenn der Patentschutz aufgehoben würde.

Auch angesichts der Korruption ist Cairncross skeptisch gegenüber der eigenen Regierung: „Wir verteidigen einen zentralen Einkauf des Impfstoffs, denn wir wollen ein zentralisiertes Programm für die ganze Nation, andererseits kritisieren wir aber die Geschwindigkeit in der dieses Programm vonstattengeht, insbesondere die Transparenz und die Rechenschaft hinter diesem Plan, die praktisch nicht vorhanden ist.“ Dagegen brauche es eine demokratische Umstrukturierung der Zugänge zu Impfstoffen und medizinischer Versorgung im Land. Außerdem betonte Cairncross, dass die Bedingungen bestmöglicher Gesundheit nicht geschaffen werden könnten, wenn andere Faktoren ausgeblendet würden, etwa die Gewährleistung sicherer Verkehrssysteme, von Arbeitsplätzen, hygienischen Bedingungen, Wasserversorgung usw. „Es gibt in Südafrika immer noch viele Menschen, die ohne fließendes Wasser leben müssen, da bringt es nichts, zu sagen, dass sie Abstand halten und sich die Hände waschen sollen. Das ist nicht umsetzbar“, betonte Cairncross. Die Interessen der marginalisierten Gruppen müssten stärker berücksichtigt werden. Zum Schluss stellte Cairncross fest:

„Als zivilgesellschaftliche Bewegung müssen wir sicherstellen, dass wir eine alternative Machtstruktur aufbauen, die nicht nur von Gesundheitsexpert*innen getragen wird, sondern auch von Gewerkschaften, Gesundheitsarbeiter:innen, Frauenorganisationen und Schüler:innen, also die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in Südafrika gerade eine Blüte erleben. Sie sind der Hoffnungsschimmer, dass wir die Pandemie überwinden und vielleicht zu einem anderes Land in einer anderen Welt werden können."


Jetzt spenden!