Südafrika

01.06.2000   Lesezeit: 8 min

IrritationenÜber Kompensationen, U-Boote und »good governance«

»Das nenn ich mal einen Freiheitskämpfer!« – Verblüfft betrachtet die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte die Statue auf dem kleinen Platz im mosambikanischen Beira. »Sozusagen der Freiheitskämpfer an sich«, ergänzt die Direktorin eines kirchlichen Hilfswerks. Spöttische Ironie, die das Unbehagen nicht verbergen kann: auf einem Podest, das vor wenigen Jahren womöglich noch von der Büste eines realsozialistischen Befreiungshelden geschmückt gewesen sein könnte und davor gar einem kolonialen portugiesischen Reiterstandbild den Platz geboten haben mochte, steht heute, 5 Meter groß und bis ins Detail nachgebildet, das neue Sinnbild der Freiheit: eine Coca-Cola-Flasche.

Wandel durch Handel? – Mit einer außenpolitischen Delegation unterwegs in Afrika

Südafrika, Pretoria, am darauffolgenden Tag: – Es ist schwül, die Kleidung klebt am Körper. Ein Platzregen hat die Gäste des deutschen Botschafters aus dem weitläufigen Garten seiner Residenz ins Haus vertrieben. Die Gläser in der Hand, stehen Minister und Regierungsbeamte im Gespräch mit sportiv gekleideten Schwerindustriellen. Die Ausgehuniformen von Militärs leuchten im Gedränge; hier und da der Ornat eines kirchlichen Würdenträgern. Medienleute lauern auf die Story oder heben mit den Abgeordneten und der lokalen Prominenz einfach nur ein Bier. Die Repräsentanten multinationaler Konzerne unterhalten sich mit Vertretern von Entwicklungshilfe- und Menschenrechtsorganisationen und bieten en passant eine größere Stückzahl südafrikanischer Militärhubschrauber an, die man – falls sich die tragische Überschwemmungskatastrophe in Mosambik wiederholen sollte –, jederzeit aufgrund bester Beziehungen ausleihen könne. Am Morgen, zur Eröffnungssitzung der deutsch-südafrikanischen »Binationalen Kommission« im Union Building, dem Regierungsgebäude von Pretoria, war es noch förmlich zugegangen. Jetzt werden deutsche Schmankerln und feine Kanapees gereicht und laden südafrikanische Musikgruppen – der Regen hat unterdessen aufgehört – zum Tanz im Freien. Die Stimmung ist gut. Redselig berichten die Gäste von ihren Tagesgeschäften. Einige kommentieren geplante Rüstungsdeals.

Anlaß des Botschaftsempfangs ist der Besuch des deutschen Außenministers, der mit großer Entourage auf Afrikareise ist. Und weil modernes »Governance« auf die Moderation der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen setzt (nicht zuletzt um über den Weg des geringsten Widerstandes den Machterhalt zu sichern), gehören der Delegation so verschiedene Akteure an wie neoliberale Globalisierer und NRO-Vertreter, die sich um die negativen Auswirkungen des global entfesselten Kapitalismus zu kümmern haben.

Südafrika hat sich in den letzten Jahren zum wichtigsten deutschen Handelspartner südlich der Sahara entwickelt. Gut 300 deutsche Firmen haben sich hier niedergelassen und unterdessen über 60.000 Arbeitsplätze geschaffen. In hohem Maße vertraue die deutsche Wirtschaft auf die innere Stabilität Südafrikas, sagt der Außenminister zu Eröffnung der in regelmäßigen Abständen tagenden »Binationalen Kommission«. Die freilich wurde eingerichtet, weil Vertrauen bekanntlich gut ist, harte Investitionen und damit verbundene Renditeerwartungen aber doch ein wenig mehr an Verläßlichkeit erfordern. Unternehmerische Initiative verlangt nach günstigen Wettbewerbsbedingungen. Deutschland, der wichtigste Geber Südafrikas, möchte seine Stellung am Kap ausbauen. In Fachkomitees verhandeln die Partner über die Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigungspolitik, Forschung, Kultur, Umwelt, Rechtspolitik und Verbrechensbekämpfung. Das Ziel sei eine strategische Partnerschaft, zu der Deutschland auch mit Blick auf die regionale Bedeutung Südafrikas bereit und willens sei, so der Chef des Auswärtigen Amtes: Südafrika stelle nicht nur den Motor für die wirtschaftlichen Entwicklung des gesamten südlichen Afrika dar, es müsse auch die effektive militärische Kraft haben, um den sicherheitspolitischen Aufgaben entsprechen zu können, die es in der Region künftig wahrzunehmen hat.

Von den Kriegsschäden, die das Apartheidregime in den Nachbarländern hinterlassen hat, ist nicht mehr die Rede. Kein Wort über die Rolle deutscher Banken, die mit Krediten mitgeholfen hatten, das ehemalige rassistische Südafrika allen UN-Sanktionen zum Trotz am Leben zu erhalten. Kein Wort über die Peinlichkeit, daß die Banken noch immer auf die Eintreibung dieser anrüchigen Schulden bestehen. Der kurzer Verweis auf die Versöhnung, die in Südafrika stattgefunden habe, ist alles. Mit der Vergangenheit soll Schluß sein.

Stabilität ist die Voraussetzung fürs Geschäft, und da stören Forderungen, die auf die Entschädigung der Apartheidopfer drängen. Eine Pressemeldung, in der medico anläßlich des Ministerbesuchs auf die prekäre soziale Lage der vielen Tausenden von Menschen, deren Leben durch rassistische Verfolgung, den Verlust von Angehörigen, durch wirtschaftliche Nachteile und gesundheitliche Beeinträchtigungen nachhaltig erschüttert worden ist, löst in Berlin diplomatische Irritationen aus. Statt der Arbeit der »Khulumani Support Group«, einem hauptsächlich von Frauen organisierten Selbsthilfeverband der Opfer, emphatisch zur Seite zu stehen, gelten der deutschen Außenpolitik mit einem Mal staatliche Souveränitätsrechte über alles. Selbst der fachlich begründete Hinweis, daß Versöhnung ohne die Kompensation der Opfer nicht gelingen kann, wird als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Südafrikas abgetan. Und weil medico schließlich das Naheliegende anregt, nämlich die Entschädigungsleistungen über die Streichung der Apartheidschulden zu finanzieren, ist die Verärgerung im AA vollständig. Ein bereits in Aussicht gestellter Zuschuß für die »Khulumani-Frauen« aus Mitteln des AA wird gestrichen.

Die Geschäfte, die ein ungestörtes Investitionsklima verlangen, sind Thema des Botschaftsempfangs. Und dabei wird klar, daß Kompensationen als solche nicht unbedingt von Übel sein müssen. Entscheidend ist die Frage, wer an ihnen profitiert. Die Idee ist einfach: Südafrika kauft in Deutschland 3 U-Boote und 4 Korvetten im Werte von 3,6 Mrd. DM, und als Kompensationsleistung verpflichtet sich die deutsche Wirtschaft, in Südafrika ein Edelstahlwerk aufzubauen. 30.000 Arbeitsplätze würde so entstehen, preist der Abgeordnete aus dem Oberfränkischen die Vorzüge des Gegengeschäfts. Und zu diesen zählten schließlich auch, daß Südafrika mit einer leistungsfähigen Marine viel besser seine Fischgründe schützen könnte, was wiederum dem Lande zugute kommen würde. Zufriedene Minen allenthalben, wären da nicht die kritischen Fragen der mitgereisten Rüstungsgegner. U-Boote zum Aufbringen fremder Fischtrawler? Ausländische Direktinvestition als Kompensation für unsinnige Rüstungsausgaben? – Soll die südafrikanische Gesellschaft gleich zweimal zur Kasse gebeten werden? Für Schiffe, die das Land nicht braucht, und für die Rendite deutscher Investoren? – Denn die handeln keineswegs uneigennützig. Sehr genau prüfen sie derzeit die Vor- und Nachteile des Kompensationsgeschäftes. Zwar könne man 1500 Arbeitsplätze kosteneinsparend von der Nordsee an den indischen Ozean verlegen. Aber was, wenn mangelnde Stabilität und die Kompensationsforderungen der Apartheidopfer, die nicht unmittelbar gewinnbringend gewendet werden können, doch ein ernstzunehmendes Risiko darstellen? Noch ist die Investorengruppe für das Gegengeschäft nicht zustandegekommen. Ganz im Gegensatz zu dem Konsortium, das den Verkauf der U-Boote und Korvetten bereits im Internet feiert. Der Staatssekretär im BMVg sekundiert: aus Chile kommend, wo er gleichfalls in Sachen U-Booten unterwegs gewesen war, versucht er nun die südafrikanischen Partner davon zu überzeugen, sich gleich noch ein paar in Deutschland ausgemusterte Minensuchboote anzuschaffen.

Die südafrikanischen NGOs sind empört.

Die »Ceasefire Campaign« und »Gunfree Southafrica«, zwei landesweit tätige friedenspolitische Netzwerke haben medico aufgefordert, gegen den Rüstungsdeal bei der Bundesregierung zu protestieren. Südafrika wird nicht von außen bedroht, sondern von innen. Das eigentliche Konfliktpotential liegt in der anhaltenden sozialen Ungleichheit, die sich in den Townships in einer Jugendarbeitslosigkeit von 70% ausdrückt. Zur Reduzierung der längst endemischen Gewalt und Kriminalität bedarf es breitenwirksamer Programme und keine deutsche U-Boote oder hochspezialisierte Stahlwerke, die für den Weltmarkt produzieren. Und wie solche sozialen Programme möglich sind, zeigt das »Peace and Development« Projekt, das aus BMZ-Mitteln finanziert wird. Getreu der alten sozialistischen Pädagogik Makarenkos fördert es die Idee des »Community Policing«, bei der sozusagen der Bock zum Gärten gemacht wird und arbeitslose Jugendliche im Rahmen eines fachlich begleiteten Sozialdienstes damit beauftragt werden, sich um die Sicherheit ihres Townships zu kümmern. Mit beachtlichen Resultaten, die auch der »National Commissioner«, der Polizeichef des Landes bestätigt. (Der übrigens ein guter aller Bekannter von medico ist und u.a. maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des Ottawa-Abkommens zum Verbot von Antipersonenminen hat.) Für ihn steht außer Frage, daß der in Südafrika herrschenden Gewalt mit polizeilichen Mitteln alleine nicht zu begegnen sei. Nur integrierte Ansätze, die auf Bildung, Jobs, die Beteiligung der Kommunen und Kirchen am politischen Leben, auf die Wiedererlangung von Selbstvertrauen, aber auch auf die Rückgewinnung eines Vertrauens in die Polizei setzt, die aufgrund ihrer Beteiligung an der Rasenpolitik noch immer weitgehend diskreditiert ist, könnten zu einer Entspannung der Lage beitragen. Dazu aber sei viel Geld notwendig. – Geld das Südafrika solange nicht hat, wie falsche Prioritäten gesetzt werden.

Im Garten der Botschaftsresidenz war übrigens kein Coca-Cola Standbild zu bewundern. Dafür aber gab es den Stand einer Brauerei aus Namibia, die dem deutschen Reinheitsgebot verpflichtet ist, sowie eine kleine Ausstellung von Luxuskarossen aus Bayern. Er wolle ja niemanden hervorheben, so der Botschafter zu seinen Gästen, aber er müsse doch sagen, daß nur Dank der Unterstützung von BMW und der Windhoek-Brauerei der Empfang so schön habe gestaltet werden können. – Wandel durch Handel? – Der Minister reagiert mit dem sarkastisch-visionären Vorschlag, an seine Diplomaten künftig Uniformen mit Werbeaufnähern auszugeben.

Thomas Gebauer

In Südafrika bedarf es der sozialen Versorgung von Millionen ausgeschlossenen und depravierten Menschen. Soziale Reformen werden gebraucht, keine U-Boote aus Deutschland. Um reale Demokratie geht es, nicht um Deklamationen. medico ist daher gerade im südlichen Afrika seit langem den Basisbewegungen verbunden,. die nicht nur für ihre Mitglieder ums Leben und Überleben kämpfen, sondern die auch jene Netzwerke bilden, die als demokratische Alternative Südafrikas fungieren. Unsere umfangreichen und detaillierten Projektlinien zu Südafrika präsentieren wir Ihnen gern auf Verlangen zu. Bitte spenden Sie für die medico Arbeit in Südafrika.


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