"Universal Health Coverage" (dt. etwa allgemeine Gesundheitsabsicherung) wird als neues globales Gesundheitsziel gehandelt. Als Teil des internationalen Netzwerks Medicus Mundi International (MMI) hat medico in zwei Studien kritisch beleuchtet, was unter Universal Health Coverage verstanden wird. Und was darunter verstanden werden sollte.
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Die wenigsten Menschen in den Ländern des Südens verfügen über eine finanzielle Absicherung im Krankheitsfall. Wer Gesundheitsleistungen in Anspruch nimmt, muss dafür in der Regel direkt und „aus eigener Tasche“ aufkommen. Die Folgen: ausgerechnet Arme und Mittellose, die aufgrund prekärer Lebensumstände häufiger krank sind, werden von einer angemessenen Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Weitere 100 Millionen Menschen werden jährlich in die Armut getrieben, weil sie für „katastrophale Gesundheitsausgaben“ privat aufkommen müssen. Solange der Zugang zu Gesundheitsversorgung an die private Kaufkraft der einzelnen gekoppelt ist, bleibt das Ziel Gesundheit für Alle in weiter Ferne.
Mit den zum Jahrtausendwechsel von den Staats- und Regierungschefs der Welt verabschiedeten „Millennium-Entwicklungszielen“ wurde ein erstes globales Aktionsprogramm entworfen, dessen Wirkung aber höchst punktuell geblieben ist. Zwar gehören die Förderung der Müttergesundheit, die Reduzierung der Kindersterblichkeit und die Bekämpfung einzelner Krankheiten wie HIV/AIDS ohne Frage zu den zentralen Aufgaben des Bemühens um globale Gesundheit, doch bleiben die Erfolge, die mit solch vertikalen Ansätzen erzielt werden, ohne gleichzeitige Stärkung horizontaler Gesundheitssysteme wenig nachhaltig.
Mit der Resolution der Weltgesundheitsversammlung 2005 und dem Weltgesundheitsbericht von 2010 wurden die Grundlagen eines Konzepts gelegt, das einen breiteren Ansatz verfolgt: das Ziel von „Universal Health Coverage“ (UHC) – zu deutsch: etwa „allgemeine Gesundheitsabsicherung“ – ist es, allen Menschen eines Landes einen umfassenden Zugang zu Gesundheitsversorgung ohne das Risiko eines finanziellen Ruins zu ermöglichen. Das Konzept vereint drei Dimensionen: den Anteil der abgesicherten Bevölkerung, den Umfang der Versorgungsleistungen und den Anteil von Direktzahlungen. Im besten Falle gilt UHC für die gesamte Bevölkerung, der ein umfassendes Paket an Leistungen zu Teil wird, ohne dass individuellen Zuzahlungen geleistet werden müssen. Auch wenn weiterhin viele Widerstände gegen dieses Konzept bestehen – einer der größten privaten Geldgeber im Bereich der globalen Gesundheit, die Bill Gates Stiftung, setzt einiges daran, dass das Ziel nicht zu hoch auf der Agenda rutscht –, so hat es doch gute Chancen primäres Gesundheitsziel bei den neuen Entwicklungszielen zu werden, die 2015 die alten Millennium Development Goals (MDGs) ablösen sollen.
Als Teil des internationalen Netzwerks Medicus Mundi International (MMI) hat sich medico intensiv mit einer kritischen Analyse von Universal Health Coverage auseinandergesetzt. In der vermeintlichen Freiheit in der Umsetzung besteht die Gefahr, dass aus dem symbolischen Kubus eine „Black Box“ werden könnte, so eine der Befürchtungen. Schnelle marktbasierte Strategien könnten den nachhaltigen jedoch oft langwierigeren Programmen unter Einbeziehung der Bevölkerung vorgezogen werden. Der mächtige globale Gesundheitsmarkt wittert neue Absatzmärkte. Dieser Gefahr muss ein klarer Riegel vorgeschoben werden, fern von leeren Phrasen. Die auch in den Texten der WHO gestärkte Beteiligung der Bevölkerung muss in klare Programme gepackt werden, bei welchen die Menschen nicht nur Empfänger wohltätiger Maßnahmen sind, sondern „Eigentümer“ ihrer Gesundheitssysteme, so MMI. Ansätze dieser „Demokratisierung“ der Gesundheitssysteme gibt es diverse, wenn es auch, sowohl im Norden als auch im Süden, noch dringenden Ausbaubedarf gibt.
Das wohl größte Hindernis bleibt jedoch weiterhin die Finanzierung. Hier gilt es sowohl auf nationaler wie auch auf globaler Ebene alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Über eine umfassende progressive Besteuerung gerade auch der privaten Vermögen könnten viele Länder ihre fiskalischen Möglichkeiten für den Aufbau von Gesundheitssystemen erweitern. Dies muss jedoch auch global gedacht werden. Nationale Beschränkungen zu überwinden, ist nicht nur menschenrechtlich, sondern auch historisch gerechtfertigt. Die Abhängigkeit der armen Länder des Südens von Entwicklungshilfegeldern muss überwunden werden. Notwendig ist ein globales System systematisch organisierten Umverteilens, wie es medico schon seit Jahren vorschlägt. Ohne Sicherung einer nachhaltigen Finanzierung droht jedes noch so umfassende Konzept bei einer Minimalversorgung für die Armen und privat finanzierten Zusatzleistungen für die Reichen zu versacken.
Eine weitere Schwäche des WHO-Konzepts, so der Bericht, ist die Fokussierung auf die Krankenversorgung. Auf dem Weg zu einem umfassenden Gesundheitsansatz müssen auch die sozialen, infrastrukturellen, ökonomischen und politischen Systeme transformiert werden, wie schon in 1978 formulierten Basisgesundheitspflege (Primary Health Care) der WHO. Dieser historische Vorläufer, das Konzept „Gesundheit für Alle“, darf nicht in Vergessenheit geraten.
Werden diese Ergänzungen ernst genommen - so zusagen in Form eines Global Universal Health Coverage Plus – wird es ein Gesundheitsziel, das breite Unterstützung erfahren sollte.