Von Maíra Mathias und Raquel Torres, Outra Saúde*
Wie in vielen anderen sozialen Bereichen möchte die Regierung Bolsonaro auch die Ausgaben für das öffentliche Gesundheitswesen begrenzen. Zudem hat sie mehrere ideologische Offensiven gegen verschiedene Präventionsprogramme, vor allem im Bereich der Sexualaufklärung, gestartet. Gerne hätte Bolsonaro auch die im Wahlkampf großartig versprochene Ausweisung der cubanischen Ärzt*innen aus Brasilien inszeniert. Doch da stahl ihm die cubanische Regierung die Show: Nach der Wahl zog sie aus Sicherheitsgründen das medizinische Personal aus Brasilien ab.
Jair Bolsonaro fing schon an, das brasilianische Gesundheitswesen zu verändern, bevor er überhaupt das Amt des Präsidenten antrat. Alles begann mit der Einstampfung des Programms Mais Médicos (Anmerk. d. Red.: Abkommen zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in abgelegenen Gebieten Brasiliens durch ausländische Ärzt*innen). Während der Wahlkampagne im Jahr 2018, aber auch während seiner Karriere als Parlamentsabgeordneter, missbrauchte er einige Male die von der Regierung Dilma Rousseff getroffene Vereinbarung mit Cuba, Kernbereich des Programms, für seinen paranoiden Diskurs. Die Fachleute des karibischen Landes seien seinen Worten zufolge Agenten der ausländischen Regierung, die das Ziel verfolgten, den Sozialismus in Brasilien einzuführen. Als der rechtsextreme Politiker in der Stichwahl im Oktober 2018 zum brasilianischen Präsidenten gewählt wurde, war die Frage nicht mehr, ob, sondern wann die Partnerschaft enden würde. Was nicht erwartet wurde, war, dass dies mehr als einen Monat vor Amtsantritt des neuen Präsidenten geschehen würde, und zwar auf Initiative der cubanischen Regierung, die in einer Erklärung betonte, dass das brasilianische Volk wissen würde, wer für die Entscheidung verantwortlich ist.
Das Programm Mais Médicos hatte die Zustimmung von 94 Prozent der Patient*innen. Dank der Initiative hatten 700 Gemeinden zum ersten Mal in der Geschichte einen Arzt oder eine Ärztin. Das galt vor allem für indigene Völker. Nach dem Abzug der cubanischen Mediziner*innen wurde bald deutlich, dass der plötzliche Mangel an Ärzt*innenen nicht das einzige Problem dieser Bevölkerungsgruppen war, denn die Regierung Bolsonaro leitete eine Ära der ständigen Bedrohung ihrer Gebiete und Rechte ein. Der Präsident bekräftigte mehrfach seine Absicht, die Verfassung zu ändern, um indigene Territorien für die Agrarwirtschaft und den Bergbau zu öffnen. Seine Versuche, die Beweise für die exponentielle Zunahme der Entwaldung im Amazonasgebiet – vorrangiges Ziel für Viehzucht und Bergbau – zu minimieren, wurden weltweit geächtet, was zum Rausschmiss des Präsidenten des Instituto Nacional de Pesquisas Espacisais (Nationales Institut für Weltraumforschung), Ricardo Galvão, führte.
Noch während des Wahlkampfs hatten die Abgeordneten der parlamentarischen Fraktion für Landwirtschaft und Viehzucht, die sogenannten „Ruralist*innen“, Jair Bolsonaro ihre Unterstützung zugesichert. Teil dieser Gruppe, die die Interessen von Verbänden und Unter nehmen der Großgrundbesitzer*innen und des Agrobusiness repräsentiert, war auch Tereza Cristina, die Landwirtschaftsministerin der neuen Regierung. Finanziert von Unternehmen, die Pestizide produzieren, ist sie unter dem vielsagenden Spitznamen „Muse des Giftes“ bekannt. Obwohl die politische Kraft dieses Sektors in den letzten Jahrzehnten omnipräsent war, war der Weg für ihn noch nie so frei wie heute. Folglich wurde ein starker Anstieg der Zulassung und des Einsatzes von Pestiziden erwartet. Dennoch ist es erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit die Veränderungen stattgefunden haben. In nur zehn Monaten hat die Regierung die Registrierung von 382 Pestiziden angekündigt, mehr als eines pro Tag. Dies ist die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2005. Bolsonaro löste schon am ersten Tag seines Mandats den „Nationalen Rat für Lebensmittel- und Ernährungssicherheit“ (Conselho Nacional de Segurança Alimentar e Nutricional) auf – ein Organ, das in den PT-Regierungen für die Schaffung von Programmen zur Bekämpfung des Hungers und zur Förderung des Familien- und Biolandbaus von grundlegender Bedeutung war.
Luiz Henrique Mandetta, der gewählte Gesundheitsminister, pflegt ebenfalls enge Beziehungen zu den „Ruralist*innen“. Als Parlamentsabgeordneter erlebte er 2015 einen Konflikt zwischen Großgrundbesitzer*innen und den Guarani-Kaiowá, der zur Ermordung des Indigenen Simão Vilhalva führte. Als Arzt untersuchte er den Leichnam und erklärte anschließend, das Opfer sei Stunden vor der Konfrontation gestorben. Später belegte ein medizinischer Bericht das genaue Gegenteil. Bereits an der Spitze des Gesundheitsministeriums äußerte Mandetta seine Absicht, die Organisation der Hilfe für die indigene Bevölkerung neu zu ordnen und auf Bundesebene zu zentralisieren. Glücklicherweise hat sich seine Idee nicht verwirklicht.
Mit Ausnahme der Zuständigkeit für die Gesundheit von Indigenen spielt die nationale Regierung in Brasilien keine sehr wichtige Rolle bei der direkten Bereitstellung medizinischer Angebote und Dienstleistungen für die Bevölkerung. Das universelle öffentliche Gesundheitssystem, bekannt unter der Abkürzung SUS, ist schwerpunktmäßig kommunal organisiert.
Allerdings „erbte“ das Gesundheitsministerium aus früheren Perioden eine Reihe von Krankenhäusern und Instituten in Rio de Janeiro, der ehemaligen Hauptstadt des Landes. Wie die mit dem Bildungsministerium verbundenen Universitätskliniken leiden diese Einrichtungen seit längerem unter Personalmangel und fehlenden Investitionen. Als „Lösung“ dieser Probleme hat der neue Gesundheitsminister nun verstärkt Militärs auf Verwaltungsposten in diesen Institutionen gehievt.
Schon in der Regierung des Konservativen Michel Temer (der nach der Amtsenthebung von Dilma Rousseff das Amt übernommen hatte) waren die Ergebnisse der dritten nationalen Erhebung über den Drogenkonsum im Land, die auf Ersuchen der Bundesregierung selbst von Lateinamerikas größter öffentlicher Forschungseinrichtung, der Oswaldo Cruz-Stiftung (Fiocruz), erstellt wurde, in einer Schublade liegen geblieben. Denn das Ergebnis der Studie war, dass es in Brasilien keine Epidemie illegaler Drogen gäbe. Ebenso unzufrieden mit der Schlussfolgerung ging die Regierung Bolsonaro weiter und griff die Stiftung an, die die Studie erstellt hatte. Der Minister für Staatsbürgerschaft, Osmar Terra, gab Erklärungen ab, dass er nicht an die Arbeit von Fiocruz glaube. Ebendieser Terra begann mit einer weiteren diffamierenden Kampagne, diesmal gegen die Regulierungsbehörde Anvisa, die eine öffentliche Konsultation zur Regulierung des Anbaus und der Vermarktung von medizinischem Cannabis eingeleitet hatte. In diesem Fall erwog die Regierung, den Direktor und Präsidenten der Agentur zu entlassen, entschied sich jedoch, Reaktionen des Kongresses vorwegnehmend, einen Militär für einen der Direktorenposten zu nominieren und Druck auszuüben, damit sie die Änderungen nicht genehmigen.
Gleichzeitig begann die Regierung eine Kampagne gegen Sexualkunde und die Prävention von Schwangerschaft und sexuell übertragbaren Infektionen in Schulen. „Diejenigen, die das Kind über Geschlechtsverkehr aufklären, sind der Papa und die Mama. Die Schule ist ein Ort, um Physik, Mathematik, Chemie zu lernen“, sagte Bolsonaro kurz nach der Wahl. In ähnlicher Weise und auch während des Übergangs zur neuen Regierung erklärte Mandetta, dass es Aufgabe der Familien und nicht der Regierung sei, bei der Prävention von HIV/AIDS zu handeln. Die erste konkrete Maßnahme erfolgte im Januar, als das Gesundheitsministerium Passagen von seiner Website entfernte, die sich an Transgender-Männer mit Informationen über sexuell übertragbare Krankheiten richtete.
Kurz darauf bat Jair Bolsonaro das Ministerium, eine Broschüre für Jugendliche zurückzuziehen, die nach den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation erstellt und seit 2008 verteilt wurde. Das Dokument informierte über Themen wie gesunde Ernährung, Veränderungen im Körper und natürlich die Prävention von unerwünschten Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten. Der Präsident sagte, das Material sei „kompliziert“, weil es Abbildungen der Geschlechtsorgane enthalte und zeigte, wie man zum Beispiel Kondome überzieht. Und er schlug den Eltern vor, die Seiten mit solchen Illustrationen zu zerreißen, bis das Heft komplett eingesammelt wäre.
Neben den spezifischen Fragen im Zusammenhang mit Teilbereichen der Gesundheit gibt es ein historisches Problem des öffentlichen Gesundheitssystems SUS, das seit seiner Gründung im Raum steht: seine unzureichende Finanzierung. Während die verfügbaren Ressourcen nie ausreichten, um das System aufrechtzuerhalten, wurde nach 2016 klar, dass sich die Situation nur noch verschlimmern konnte. Denn in diesem Jahr wurde die so genannte Änderung der Ausgabenobergrenze angenommen, die bestimmte Ausgaben der Union, einschließlich der Gesundheitsausgaben, bis 2036 auf Eis legte. Der damalige Abgeordnete Jair Bolsonaro stimmte für den Änderungsantrag. Und die Sparpolitik seines Wirtschaftsteams lässt keinen Zweifel daran, dass der Bereich Gesundheit nach Auffassung der Regierung kein zusätzliches Geld brauchte. Das Argument ähnelt dem der Weltbank, die 2018 eine Reihe von Dokumenten mit Empfehlungen an die damaligen Präsidentschaftskandidaten Brasiliens veröffentlichte und betonte, dass es möglich sei, Ergebnisse in den SUS zu erzielen, ohne ihre finanziellen Ressourcen zu erhöhen. Immerhin war die Bank vernünftiger als der derzeitige Präsident, da ihr Dokument zumindest die Notwendigkeit signalisiert, den Gesundheitsbereich bei der Ausgabenobergrenze auszuschließen.
Die Regierung Bolsonaro hingegen will diese Gesetzgebung nicht nur beibehalten, sondern hat auch einen Vorschlag vorgelegt, um die verfassungsmäßigen Mindestbeträge zu reduzieren, die Bundesstaaten und Kommunen dem Gesundheitswesen zuweisen müssen. In einem Punkt sind sich Regierung und Weltbank jedoch vollkommen einig: Für beide ist die Universalität, das Grundprinzip des SUS, nicht so wichtig. Gegen sie ist der jüngste Schlag gegen das im November angekündigte neue Finanzierungsmodell für die medizinische Grundversorgung gerichtet. Eine der wichtigsten Änderungen ist die Art und Weise, wie die Regierung Ressourcen an die Kommunen weitergibt. Derzeit wird dieser Transfer basierend auf der Einwohner*innenzahl jeder einzelnen Kommune durchgeführt. Mit den Änderungen wird sie sich nur noch auf die Anzahl der in den Basisstationen der Gesundheitsversorgung registrierten Personen beziehen.
Eine so wichtige Veränderung mit gravierenden Auswirkungen auf das Gesundheitsmodell, das den SUS weltweit bekannt machte, sollte breit in der Gesellschaft diskutiert werden. Das neue Modell wurde jedoch nur zwischen Kommunal-, Landes- und Bundesverwaltungen vereinbart, ohne die Zustimmung des Nationalen Gesundheitsrates, der sozialen Kontrollinstanz des Bereichs. Rechtlich kann die Änderung nicht ohne die Beratung des Kollegiums durchgeführt werden. Doch von einem Herrscher, der sich offen für diktatorische Regime der extremen Rechten einsetzt und jede Form von sozialem Aktivismus verachtet, ist ziemlich klar, was zu erwarten ist.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der ila 431, Dezember 2019.
* Outra Saúde (Andere Gesundheit) informiert ein Fachpublikum und die brasilianische Öffentlichkeit über Entwicklungen im Gesundheitsbereich. Das von medico unterstützte Portal ist ein Referenzpunkt für die Verteidung des Rechts auf Zugang zu Gesundheit und des öffentlichen Gesundheitssystems SUS.